Text: Sophia Weis, Illustration: Lisa Lorenz
Es geht ein Ruck durch Deutschland. Ob ein Bahnhofsprojekt in Stuttgart oder die Schulreform in Hamburg – vielerorts fordern Menschen mehr Mitbestimmungsrechte. Die Politik muss reagieren und auch in Mainz tut sich etwas.
Ende Januar war es so weit: Etwa 150 Mainzer fanden eine persönliche Einladung von Oberbürgermeister Michael Ebling in ihrer Post. Die „Auserwählten“ wurden stichprobenartig aus dem Melderegister ermittelt und sollen einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung bilden. In dem Schreiben werden sie ermutigt, aktiv an politischen Entscheidungsprozessen in Mainz mitzuwirken. Unter dem Motto „Meine Stadt. Meine Ideen“ haben sie ab März die Möglichkeit, in einem Bürgerforum ihre Anliegen und Wünsche für die Zukunft von Mainz vorzutragen. Diskussionspunkte sind nicht festgelegt, die Agenda bestimmen die Teilnehmer. „Die Distanz zwischen politisch Verantwortlichen und denen, die das nicht sind, wird größer“, so Ebling. „Deshalb müssen wir sie wieder stärker zusammen führen. In Mainz gibt es unheimlich viele Leute mit Gedanken, die die Stadt nach vorne bringen. Und deswegen finde ich es klug, dass wir das stärker in unsere politische Meinungsbildung hinein holen.“ Ein lobenswertes und doch gewagtes Vorhaben, denn effektive Bürgerbeteiligung ist auch auf den Sachverstand der Teilnehmer angewiesen. So ist nicht unwichtig, einen Blick für das große Ganze mitzubringen, damit am Ende umsetzbare Konzepte erarbeitet werden können. Wenn jeder nur über den Hundehaufen vor seiner Haustür diskutieren will, ist das nicht nur konstruktiv. „Wir unterscheiden daher zwischen Bürgerinformation und –beteiligung. Es gibt einfach manche Themen, bei denen mehr die Information und andere Themen, bei denen mehr die Beteiligung im Vordergrund steht“, so Ebling weiter.
Selbst ist der Bürger
Glücklicherweise sind die Mainzer schon recht geübt im Mitmischen, denn die Stadt hat bereits in der Vergangenheit Diskussionsforen angeboten, wie die „LuFos“ zum neuen Einkaufscenter in der Ludwigsstraße oder Workshops zur „Mainzel-Bahn“. Und das ist gut so, denn auf keiner anderen staatlichen Ebene sind die Folgen von politischen Entscheidungen so unmittelbar für den Bürger spürbar, wie auf der kommunalen. Partizipation benötigt natürlich nicht zwingend eine Einladung der Politik, sie kann auch von den Bürgern selbst ausgehen. Jüngstes Beispiel für einen solchen Fall ist die geplante Sanierung des Rathauses, die zunächst im Alleingang vom Stadtrat beschlossen werden sollte und aufgrund eines Einwohnerantrags nun doch Thema der öffentlichen Debatte ist. 2.000 Unterschriften waren für den Antrag nötig, der bewirkt hat, dass die Mainzer nun in mehreren Symposien (25. Januar und 15. März, jeweils 18 Uhr im Rathaus) ihre Meinung zu den Sanierungs- und Neubauplänen äußern können. Und auch Bürgerinitiativen waren in Mainz in der Vergangenheit erfolgreich, zum Beispiel die Bewegung „Kohlefreies Mainz“, die sich erfolgreich gegen das geplante Kohlekraftwerk auf der Ingelheimer Aue aussprach.
Bürgerbeteiligung als Chance
Im direkten Lebensumfeld kann man durch Eigen-Engagement also viel bewirken. Auf Landesebene hingegen sind die Hürden für direkte Mitbestimmung höher. 30.000 Unterschriften verlangt die Landesverfassung Rheinland-Pfalz für eine Volksinitiative, durch die Gesetzesentwürfe und andere Vorschläge eingebracht werden können. Ganze 300.000 Unterschriften sind für ein Volksbegehren notwendig, das gegen bereits bestehende Gesetze setzt. Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ findet diese Hürden nahezu unüberwindbar und fordert daher eine Senkung der Quoten. Die Chancen dafür stehen gut, denn die neue Ministerpräsidentin Malu Dreyer als auch Oberbürgermeister Michael Ebling wollen das Thema Bürgerbeteiligung vorantreiben. Ob das Experiment in Mainz gelingt, bleibt abzuwarten: „Erfahrungen damit gibt es in Deutschland bisher nur wenig. Der Erfolg hängt zuallererst davon ab, ob die eingeladenen Personen überhaupt Interesse an der Teilnahme haben“, erklärt Ebling. Trotz ungewissen Ausgangs ist die Initiative der Stadt ein Zeichen dafür, dass bei Politikern ein Umdenken stattfindet. Sie scheinen Bürgerbeteiligung immer weniger als Bedrohung, sondern als eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie wahrzunehmen. Immerhin lassen sich so gezielt die Interessen der Bevölkerung bündeln. Außerdem wird der Zusammenhalt in der Gemeinde gestärkt. Vor allem aber kann Partizipation bei den Menschen das Interesse für Politik wecken und das Gefühl mindern, dass „die da oben“ einem sowieso nicht zuhören. Zwar wird durch Bürgerbeteiligung nicht automatisch ein für alle Beteiligten zufriedenstellendes Ergebnis garantiert, dennoch ist sie ein guter Weg, Entscheidungen zu legitimieren und das Vertrauen in deren Träger zu stärken.