Mainz wächst und zählt mittlerweile über 225.000 Einwohner. Der vor Gonsenheim mit Abstand größte Stadtteil ist die Neustadt, die jüngst auf den amtlichen Meldebögen die 30.000er-Latte riss.
Mainz hat rund 120.000 Haushalte, also fast die Hälfte der Einwohnerzahl. Was das über die Personenzahl pro Haushalt aussagt, ist ungefähr klar: Der Trend geht zu kleineren Einheiten. Zwei-Zimmer- und Drei-Zimmer-Wohnungen überwiegen, von denen sich 85 Prozent im Geschosswohnungsbau und 14 Prozent in Ein- und Zweifamilienhäusern befinden. Darüber hinaus zählt Mainz bundesweit zu den Städten mit den höchsten Mieten. Die Kaufpreise für Ein- und Zweifamilienhäuser weisen starke Zuwächse auf und stiegen seit 2012 um mehr als 60 Prozent.
Faire Mieten?
Vor allem die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist in Mainz ungebrochen. Und der Bedarf nimmt weiter zu, auch weil tausende neue Arbeitsplätze z.B. in der Biotechnologiebranche entstehen. Die alte Prognose, dass 2030 Angebot und Nachfrage in Mainz ausgeglichen sein werden, kann nicht gehalten werden. Der Ukrainekonflikt und andere Probleme verschärfen das Ganze, sowohl beim Thema Energiepreise als auch Zuzug. Das Angebot ist knapp. Bei der Wohnbau Mainz sind über 7.000 Suchende registriert. Laut Statistischem Bundesamt lebten 2021 etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung in überbelegten Wohnungen. Besonders betroffen sind Familien mit drei oder mehr Kindern, speziell in Großstädten. Gleichzeitig wohnen laut dem Institut der deutschen Wirtschaft sechs Prozent der Mieterhaushalte in großzügigen Bleiben mit richtig viel Platz, beispielsweise Singles in einer Vierzimmerwohnung, darunter auch Senioren über 70 Jahre. Bezahlbarkeit ist dabei die zentrale Herausforderung und muss langfristig gesichert werden. Während das obere Preissegment eher gesättigt ist, mangelt es an günstigen Wohnungen für die unteren bis mittleren Einkommensgruppen. Ein wichtiges Teilsegment stellt dabei der geförderte Wohnungsbau dar, der Haushalten mit geringem Einkommen mit Hilfe eines Wohnberechtigungsscheins die Anmietung einer geförderten Wohnung ermöglicht. Dieses Instrument wird immer wichtiger, erst recht wenn der Wohnungsbau demnächst komplett zum Erliegen kommt, aufgrund des schlechten Zinsumfeldes. Niemand kann es sich mehr leisten, in dem Segment zu bauen, es sei denn, der Staat fördert die Wohnungen. Falls nicht, müsste selbst die Wohnbau qm-Preise über 20 Euro aufrufen, um am Ende bei einer schwarzen Null zu landen.
Mietspiegel-Schwankungen
Auch beim Mainzer Mietspiegel ist es zu „erheblichen Sprüngen“ gekommen. Er eröffnet Spielräume für Vermieter, immer im maximalen Bereich dessen, was erhöht werden kann, die Miete kontinuierlich über Jahre hinweg nach oben anzupassen: 10,39 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete – so viel zahlen in Mainz die Mieter einer Wohnung laut aktuellem Mietspiegel im Schnitt. Damit liegt die Stadt etwa auf dem Niveau von Frankfurt mit 10,29 Euro und Darmstadt mit 10,44 Euro. Und es wird deutlich: Die Spanne der in Mainz gezahlten Mieten ist groß. Die teuersten Wohnungen sind jene, die seit 2016 gebaut wurden und kleiner als 40 qm sind. Hier werden Quadratmetermieten zwischen 12,08 Euro und 17,38 Euro gezahlt, im Mittel 16,25 Euro. Die mit 8,46 Euro durchschnittlich günstigsten Mieten werden für Wohnungen zwischen 60 und 80 qm entrichtet, die zwischen 1949 und 1960 errichtet wurden. Hier liegt die Spanne zwischen 6,92 Euro und 11,18 Euro. Der höchste Anstieg sei bei Wohnungen mit bis zu 40 qm aus der Bauperiode 1949 bis 1960 zu verzeichnen: um 75 Prozent auf 12,50 Euro pro Quadratmeter. Zunehmend haben also nicht nur Niedrigverdiener, sondern auch Haushalte mit mittlerem Einkommen
Probleme, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Es werde ein deutliches Plus an Wohnraum benötigt. Sozialdezernent Lensch weist darauf hin, dass mit dem sozial geförderten Wohnraum eine zunehmende Gruppe von Wohnungen entstehe, die in den Mietspiegeln nicht enthalten sind: „Wir haben hier eine Art Zweitmarkt.“ Die neu gebauten Wohnungen „beeinflussen nicht den Preis in den anderen Einstufungen“. Förderungen gehen aktuell „bis in die Mittelschicht hinein“. Selbst ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Bruttojahreseinkommen von 90.000 Euro ist mittlerweile förderberechtigt. Noch in den Achtzigerjahren gab es in der alten Bundesrepublik rund 4 Mio. Sozialwohnungen. Inzwischen sind es nur noch 1,1 Mio. in Ost und West – bei mehr als 11 Mio. anspruchsberechtigten Haushalten. Wäre eine Verstaatlichung also die Lösung des Problems? Martin Malcherek von den LINKEN plädiert für einen Zukauf an Wohnungen durch die Stadt, wo es nur geht. Dadurch entsteht zwar keine einzige neue Wohnung, das Mietniveau ließe sich aber zum Teil senken.
Verdichtung
Auch die Nachverdichtung hat – jedenfalls in der Innenstadt – ihre Grenzen erreicht. Malcherek plädiert für den Ausbau etwa des Layenhofs in Finthen. Der ehemalige OB Ebling versprach zudem einen neuen Stadtteil. Doch wo kann der liegen? Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit: zwischen Hechtsheim (etwa Bereich Heuerstraße) Richtung Ebersheim auf der linken Seite der Rheinhessenstraße. Von Ebersheim aus sind Flächen gemeint, die sich an den heutigen Stadtteilrand in Richtung des Ebersheimer Sportplatzes anschließen. Doch hier wurden kürzlich Windräder geplant, eine Wohnungsbebauung wird dadurch immer schwieriger. Im Quartier „Am Medienberg“ Nähe ZDF will die Wohnbau ab 2025 noch rund 450 Wohnungen in vier großen Blöcken errichten, von denen mittlerweile 40 Prozent sozial gefördert werden sollen. Das ist der einen Partei zu viel, der anderen Partei nicht genug. Die Frage, wie wir zukünftig wohnen, wird auch eine Ressourcenfrage sein. Doch durch die Entwicklung der Baukosten und Zinsen bricht gerade alles zusammen. Draußen „funktionieren“ die Grundstücke und Neubaugebiete nicht mehr. Die gesamte Stadtentwicklung steht derzeit auf der Kippe, was den Wohnungsmarkt betrifft, weil niemand mehr in der Lage ist, zu wirtschaftlichen Bedingungen zu bauen. Viele Bauträger haben sich zurückgezogen. Die Branche wartet auf Entscheidungen. Beim Biotechnologie- Ausbau von 50 geplanten Hektar etwa benötigt Mainz großzügig gerechnet 10.000 Wohnungen. Das sind 80 bis 100 Hektar Flächenbedarf. Das muss dringend beschlossen werden, ansonsten droht der Kollaps. Schon lange hält die gesamte Infrastruktur von Mainz – insbesondere in der Innenstadt – mit diesen unguten Entwicklungen nicht mehr Schritt.
Verwaltungs-Chaos
In der Mainzer Stadtverwaltung sind mehr als 1.000 Stellen nicht besetzt, ein Drittel aller Stellen der Verwaltung. Natürlich kommt der Großteil bei den Kitas zustande, aber auch alle anderen Ämter haben Probleme. Dies führt zu langen Bearbeitungszeiten, gar Schließungen, vor allem das Sozialdezernat hat Probleme. Der Kräftemangel macht sich auch in den Schulen bemerkbar. Nach einer nicht-repräsentativen Umfrage der Bildungsgewerkschaft vom Februar fehlen fast 6.300 Lehrkräfte im Land, um den gesamten Unterrichtsausfall zu decken. Zudem müssten oft auch Ersatzkräfte einspringen, die kein Lehramt studiert haben. In manchen Fällen müssten diese sogar Klassenleitungen übernehmen. Eine aktuelle Umfrage unter Schulleitern ergab kürzlich, dass im Schnitt eine offene Stelle an jeder Schule in Rheinland-Pfalz fehlt.
(Kinder-) Ärzte-Mangel
Es gibt kaum noch Ärzte in der Stadt. Wer einen Allgemeinmediziner oder Kinderarzt sucht, hat in Mainz ein Problem. Chronische Überlastung macht sich breit, manche Praxen schließen demnächst und finden keine Nachfolger. Kinderärzte nehmen keine zusätzlichen Kinder mehr, sind am Limit – etwa in der Neustadt –, vom Medikamentenmangel ganz zu schweigen. Bei manchen Ärzten stehen die Menschen mittlerweile draußen vor dem Fenster und warten, siehe Hindenburgstraße. Verschärft wird die Situation durch die Mitversorgung der Neuankömmlinge mit Fluchterfahrung. Dies führt dazu, dass anfragende Eltern zum Teil an Kinderarztpraxen in einer Entfernung von mehr als 50 Kilometer verwiesen werden, schreibt kürzlich die Allgemeine Zeitung: Einer Mutter aus Mainz sei ein freier Termin in einer Praxis nahe Frankenthal angeboten worden. Aber auch viele andere Ärzte haben Wartezeiten von Monaten.
(Nah-)Erholung und (kaum) Grün
In den letzten Jahren wurde in Mainz nachverdichtet, was das Zeug hielt. Die Innenstadt hat kaum noch Erholungsflächen, Spielplätze, Grün etc. Ein betonierter Platz nach dem anderen wurde eröffnet, Bäume gefällt; im Sommer tummeln sich alle auf dem Goetheplatz in der Neustadt oder im Volkspark. Es gibt fast keine Erholungsflächen in der Innenstadt: etwas Winterhafen, etwas Schloss – das war es. Der Großteil der City ist versiegelt, die Wiesen am Rhein sind plattgedrückt. Natürlich bedeutet Bauen auch immer Versiegelung. Aber was ist der Ausgleich? Wie wird etwa das ersehnte Bürgerufer am Zollhafen aussehen, das nächstes Jahr entstehen soll? Sicher wird man Grün sichern und erweitern müssen, auch sonst sehr auf Klimaschutz achten. Aber das Bauen erzeugt einen Haufen CO2. Es gibt Zielkonflikte. Nur man muss sie in einen Konsens bringen, also lösen.
Verkehr und Mobilität
Über das Thema Raum im Verkehr und Baumfällungen etc. wird täglich viel geschrieben. Sei es der ewige Streit ums Auto vs. Rad vs. E-Roller, der Ausbau des ÖPNV, der Straßenbahn – auch hier werden die Fördergelder langsam aber sicher knapp. Die wachsende Zahl der Einwohner bringt auch eine wachsende Zahl an Fahrgästen oder KfZ etc. mit sich, die wiederum Raum benötigen. Das Thema Wohnen steht damit Seite an Seite mit dem Thema Mobilität, und auch hier zeigt sich in Mainz an allen Ecken und Enden immer wieder der begrenzte Platz der einstigen Festungsstadt.
Energie- und Klimawende
Dieses Thema on top ist ein Killer für viele Tür-an-Tür-Beziehungen. Nicht weil die Bürger beim Umbau nicht mitmachen wollten. Sondern weil sie sich mit den Details des Projekts überfordert fühlen. Alleine die Wohnbau muss über 1.000 Gas- Boiler ersetzen mit Kosten um die 10.000 Euro pro Stück – locker also 10 Mio. Euro. Und sie sind nicht die einzigen. Zudem werden viele Städte und Straßenzüge aufgerissen, Leitungen neu verlegt, ganz Mainz wird neu verdrahtet. Kürzlich stellten die Stadtwerke den Wärmemasterplan vor, der bis 2045 umgesetzt werden könnte – falls nicht wieder etwas gesetzlich gekippt wird. Aktuell heizen in Mainz mehrere zehntausend Haushalte und Gewerbebetreibende ihre Häuser und Betriebe noch mit Erdöl, Kohle oder Erdgas. Für viele Menschen in der Innenstadt wird Fernwärme infrage kommen. Doch die Vororte haben Probleme: Sie müssen auf Wärmepumpen oder Pelletkessel umstellen. Der einstige Immobilienboom gerät auch damit an seine Grenzen. Es wird für viele eng in den nächsten Jahren: drei oder gar fünf Billionen Euro an Kosten bis 2045 in ganz Deutschland schätzt das Allensbacher Institut. Statt damit zu beginnen, Verbote für bestimmte Heizungstypen auszusprechen, hätte die Regierung ein ansprechenderes Förderkonzept auflegen müssen. Das hätte viele Eigentümer von allein zum Umstieg auf klimafreundliche Alternativen bewogen.
Lösungen gefragt
Doch was ist die Lösung? Muss sich der Staat wirklich einmischen, wenn ein Hausbesitzer neuen Wohnraum schaffen will, dafür aber alten Mietern ein Zimmer verkleinert – und das auch noch kompensiert? Sollte die Gemeinschaft der Steuerzahler es mit Pendlerpauschale und Co. finanziell ausgleichen, dass Leute aufs Land ziehen, um dann immer weitere Strecken in die Stadt zur Arbeit zu fahren? Oder ist nicht vielmehr das der Deal: Wer ins Umland zieht und dort mehr Wohnraum für weniger Geld bekommt, muss nicht noch dafür belohnt werden, zum Arbeitsplatz zu pendeln – auf Kosten der Umwelt und der Stadtbewohner, die höhere Mieten zahlen und zudem mehr Verkehr ertragen müssen, schreibt etwa der Spiegel. Das Verhältnis von Markt und Staat neu auszutarieren, ist eine Generationenaufgabe. Sie stellt sich fast in allen Bereichen – und ist meist abstrakt. Doch beim Thema Wohnen und Mobilität wird sie sehr konkret und trifft jeden und jede. Martin Malcherek von den LINKEN etwa fordert, höher zu bauen – wenn denn noch gebaut werden könnte – oder in anderen Stadtteilen, wie dem Layenhof, oder zwischen Hechtsheim und Ebersheim. Hier muss die Politik schnell handeln, wenn es diese Flächen noch geben soll. Wir stehen momentan vor einem Baustopp und einem Ende des „billigen Geldes“, der günstigen Zinsen. Mainz wächst – und nun vor allem auch noch draußen „auf der grünen Wiese“: Hinten am Stadion sind bis zu 50 Hektar Biotechnologie geplant, doch offenbar fragt sich niemand, wo all diese Menschen wohnen sollen, während schon jetzt besagte infrastrukturelle Aspekte von Kinderbetreuung, über Ärzte, Verkehr und Verwaltung gnadenlos hinterherhinken. Es ist immer noch das Credo des (wirtschaftlichen) Wachstums, was sich womöglich als fatal herausstellen wird. Mainz bräuchte eine Schrumpfkur – eine Verlangsamung des Zuzuges und wirtschaftlichen Ausbaus, dort wo es nicht unbedingt nötig ist, bis die Infrastruktur in genügendem Maße „hinterher“gezogen wurde: bis die Anzahl der Wohnungen einem gesunden Maß entspricht. Dazu natürlich auch weiterhin Investitionen in den kommunalen Wohnungsbau, Ankauf von Immobilien etc., aber eine Verzögerung des Ausbaus und Zuzugs, wo man es sich leisten kann – nicht ein künstliches Auf-die-Tube-Drücken –, und Politiker und Entscheider, die diese Zusammenhänge erkennen und sie auch mal gegen Widerstand durchdrücken, womöglich in einen Masterplan gießen, statt des aktuellen Gegeneinanders im Stadtvorstand, wo es scheint, als würde jeder sein eigenes Süppchen kochen. Ansonsten wird es immer schwieriger, die Menschen hier weiterhin adäquat unterzubringen. Und spätestens nächstes Jahr, wenn die restliche Bautätigkeit am Wohnungsmarkt zum Erliegen gekommen sein wird, muss gehandelt werden – rechtzeitig zur Kommunalwahl im Juni 2024.
Text David Gutsche