Nero Claudius Drusus war der römische Feldherr unter Kaiser Augustus und Gründer von Mogontiacum (oder Moguntiacum), dem heutigen Mainz. Er kam im Jahr 13 oder 12 vor Christus mit einer Horde Krieger, erkannte die Schönheit der Landschaft und vor allem die militärischen Vorteile, um genau hier am Hügel vor dem Rhein das römische Reich vor den Germanen im Osten zu verteidigen. Rhein und Main dienten als natürliche Grenzen, die vom Feind schwer zu überwinden waren. So eroberte er beinahe widerstandslos das Gebiet, das damals so gut wie unbesiedelt war. Denn es bestand überwiegend aus feuchtem und sumpfigem Boden. Die Römer legten alles erst einmal trocken, bevor sie ihr Feldlager errichteten. Zwei Legionen mit insgesamt 12.000 Mann aus aller Herren Länder wurden nach Mogontiacum entsandt, um hoch auf dem Kästrich das damalige Lager zu errichten, das als Militärstützpunkt diente. Da die Soldaten versorgt werden mussten, siedelten sich im Umland – zum Beispiel im heutigen Weisenau – Landwirte und Handwerker an. Auch Händler kamen. Die Siedlung wuchs. Nach weiteren Feldzügen gen Osten wurde Mainz Ende des 1. Jahrhunderts Hauptstadt der Provinz Germania Superior (Obergermanien). Im Gegensatz zu Trier, wo auch gerne Kaiser Augustus residierte, blieb Mainz aber hauptsächlich Militärstützpunkt. „Eine Stadt an der Front“ – so nennt sie Marion Witteyer, Leiterin der Landesarchäologie, Mainz. Erst um 460 n. Chr. , nach inneren Machtkämpfen, dem Fall des Limes und immer wieder einfallenden Germanen verließen die Römer die Stadt, und die Rheinfranken rückten nach. Was aber ist von den Römern geblieben?
Die Stadt an der Front
Spaziert man durch Mainz, lässt sich kaum erahnen, dass sich hier mal ein 36 Hektar großes Legionslager befand. Die genaue Lage war bei der Unimedizin und auf dem Kästrich, der seinen Namen auch von den Römern erhielt (Castrum). Von dort hatte man eine gute Sicht auf die damals weite Ebene. Erst nach der Zerstörung des Limes, der alten Grenze, wurde um den Militärstützpunkt herum eine Stadtmauer mit Stadttor gebaut. Die Überreste des Stadttors wurden gerade von Grünzeug befreit und konserviert. Während und nach diesem außergewöhnlichen Fund wurden sogar ganze Bauprojekte verlegt, damit die Überreste an der Originalstelle bleiben konnten. Eine Kopie des Dativius-Ehrenbogens steht auf dem Ernst- Ludwig-Platz hinter dem Schloss. Die Überreste des Originals findet man – wie viele weitere Ausgrabungsstücke – im Römisch-Germanischen Zentralmuseum am Cinestar. Bei dem Bogen handelte es sich um einen Säulendurchgang, der zu einem öffentlichen Gebäude führte. Welches, das ist den Mainzer Archäologen noch ein Rätsel. Ein weiterer wichtiger Fund sind die bekannten Römerschiffe. Die Wracks wurden erstmalig 1981/82 bei den Bauarbeiten des Hilton-Hotels in der Rheinstraße gefunden. Dort lag zu römischer Zeit der Hafen, denn der Rhein war damals wesentlich breiter. Heute kann man im Schifffahrtsmuseum die hölzernen Wracks und zwei beeindruckende Nachbauten bestaunen, mit bis zu 18 Metern Länge. Die Schiffe dienten als militärische Mannschaftsboote, mit denen die Rhein-Grenze gesichert wurde, die rechts-rheinischen Truppen versorgt und hochrangige Personen transportiert wurden. Die bekannteste Truppe ist die Legio XIIII, zu ihr später mehr. Die Legionäre in Mainz kamen aus dem ganzen römischen Reich – von England bis zum Orient. Das machte Mainz zu einer multikulturellen Stadt. „Nur die Sprache und das Geld einten die Menschen“, weiß Archäologin Witteyer. Deshalb gab es verschiedene Glauben und Heiligtümer, die auch gegenseitig toleriert wurden. Das Doppelheiligtum für die orientalischen Göttinnen Isis Panthea und Mater Magna ist das bekannteste in Mainz. „Diese Entdeckung in den letzten 30 Jahren spricht für die Wichtigkeit von Mainz in römischer Zeit“, sagt Witteyer. Das Heiligtum wurde 2000 entdeckt und ist heute in der Römerpassage als Isis-Tempel öffentlich zugänglich.
Das Römische Theater
Doch die Römer waren nicht nur Soldaten, sondern auch Genießer. Zu ihrem Alltag gehörten Thermenbesuche, zum Beispiel in der Weißliliengasse. Aber auch Schauspiel und Theater waren für Römer ein Muss. Die Überreste des römischen Bühnentheaters, das für mehr als 10.000 Zuschauer Sitzplätze bot, kann man heute am Südbahnhof gut beobachten. Hier wurden neben Dramen Feierlichkeiten durchgeführt, wie zum Beispiel die jährliche Trauerfeier zu Ehren von Feldherr Drusus. Nach einer triumphreichen Schlacht fiel er auf dem Heimweg der Legende nach von seinem Pferd und verstarb. Abgeordnete aus 60 verschiedenen Provinzen kamen, um dem Stiefsohn des Kaiser Augustus‘ und Gründer von Mainz zu gedenken. Am 18. Mai starteten die Restaurierungsarbeiten des 20 Meter hohen Drusussteins auf der Zitadelle. Eine unprofessionelle Restaurierung und die Umwelteinflüsse der letzten Jahrzehnte haben dem römischen Denkmal zu schaffen gemacht. Mithilfe von 1,4 Millionen Euro soll ihm bis Oktober neuer Glanz verliehen werden. Auch das Bühnentheater wird seit längerem saniert. Imposante Schaubilder am Rand und im Internet zeigen die Ausmaße dieses Monuments. „Das oberste Ziel ist es, die Originalsubstanzzu erhalten“, sagt Marion Witteyer. Den Mainzern soll bewusstwerden, welches Kulturgut hier gefunden wurde und warum man nicht einfach mit dem Fahrrad vorbeidüst. Es handelt sich schließlich um das größte Theater aus römischer Zeit nördlich der Alpen. Auch das Gelände soll gangbar gemacht werden. Ende 2020 wird ein gläserner Aufzug installiert, um das am Hang gelegene Theater auch barrierefrei zu gestalten. Der Rotary Club Mainz möchte zudem die Sitzreihen ausbauen, damit es für Veranstaltungen genutzt werden kann. Flamenco- und Jazzabende fanden hier schon statt, auch ein Horror-Musical. Doch mittlerweile sind die Sitzgelegenheiten morsch und es bedarf weiterer Finanzierung. Die Forschung um die Anlage ist bis heute nicht abgeschlossen. Indizien sprechen dafür, dass es ein Theater davor gab, welches überbaut wurde. Das Römische Theater steht also für das geheimnisvolle Mainz, in dem es noch viel zu entdecken gibt. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Trier, wo es viele römische Hochbauten gibt, muss man in Mainz erst mal graben, um auf Funde zu stoßen. Vor allem die Neustadt stellt die Archäologen immer wieder vor Rätsel. War Mainz doch größer als gedacht? Und bedeutsamer? Witteyer und ihr Team versuchen das Puzzle um das römische Mainz zu lösen. Nicht zu vergessen sind dabei die Vororte, in denen man bereits fündig wurde: Im Zahlbachtal in Bretzenheim trifft man Pfeiler aus Stein an, die die Überreste einer Wasserleitung bilden. Das Aquädukt war 7 Kilometer lang und transportierte Wasser auf den Kästrich. In Weisenau hatten sich zahlreiche Töpfer angesiedelt. Im Bettelpfad kann man noch heute Überreste von Töpferöfen finden. In der Gräberstraße wurden auf 2,5 Kilometer zahlreiche Römer beigesetzt. Die Grabsteine befanden sich direkt an der Straße, damit die Verstorbenen nicht vergessen werden. Grabbeigaben geben Auskunft über das Leben der Verstorbenen. Sie sind eine wichtige Quelle für die Archäologen.
Der Germanicus-Bogen in Mainz-Kastel
Natürlich sind auch in Kastel wichtige Funde aus der Römerzeit zu entdecken. Der Vorposten, schon damals Castellum Mattiacorum genannt, war durch eine hölzerne Rheinbrücke mit dem Legionslager verbunden und Teil des Militärstützpunktes. Der römische Ehrenbogen ist einer der großen Funde, der sowohl von den Mainzern als auch von den Wiesbadenern zu wenig beachtet wird, meint Karl-Heinz Kues. Er ist 1. Vorsitzender der Gesellschaft für Heimatgeschichte Kastel e. V. In den Touristen- Stadtplänen von Mainz wird er nicht benannt. Dabei handelt es sich um den größten römischen Ehrenbogen nördlich der Alpen. Ein Besuch des Originalfundorts lohnt sich: In der Nähe der St. Georgs Kirche befindet sich in der Großen Kirchenstraße der Zugang zum Ehrenbogen. Eine rote, haushohe Wandbemalung macht auf den Eingang, aber vor allem auf die ursprüngliche Größe des Bogens aufmerksam. Im September 1986 stießen die Bararbeiter auf riesige Steinquader, die von dem damals frisch gegründeten Verein vor der Mülldeponie gerettet wurden. Nachdem die Denkmalpflege Rheinhessen eingeschaltet wurde, fand eine Grabung statt und langsam ahnten die Archäologen, um was für einen bedeutsamen Fund es sich handelt: Ein Ehrenbogen mit drei Durchgängen auf einer Betonplatte, die so massiv ist, dass sie ein ganzes Haus tragen kann, so Kues. Bei genauem Blick lässt sich die Inschrift der XIIII. Legion auf einzelnen Quadern erkennen. Man fand heraus, dass sie ursprünglich aus dem Odenwald kamen. Der Bogen wurde zu Ehren Drusus‘ Sohn Germanicus gebaut – daher der Name – und diente als Zeichen an die Germanen: Hier beginnt das römische Reich! Germanicus verstarb ein Jahr nach seinem Triumph über die Germanen im 17. Jahr nach Christus in Syrien. In überlieferten Schriften steht, dass demnach drei Bögen errichtet wurden, um den „Liebling des Volkes“ zu ehren: in Rom, in Syrien und ein Bogen am Ufer des Rheins – also Mainz? Manches spricht dafür…
Die Römergruppe „Legio XIIII“ aus Ottweiler
Der ein oder andere hat sie bereits in Mainz getroffen. Sie kommen drei bis vier Mal pro Jahr verkleidet in ihrer Rüstung für Auftritte in Schulen und Museen oder für eine Kulturreise. Im Juni sollte an der Zitadelle zum zweiten Mal ein Römerfest in Zusammenarbeit mit Archäologin Marion Witteyer und internationalen Gruppen stattfinden. Auch andere Veranstaltungen waren geplant, wie die Feier der Gründung Roms in Italien oder das Universitätsfest der Altertumswissenschaften in Saarbrücken. Alles fiel der sog. Corona-Krise zum Opfer. Für andere Veranstaltungen im Restjahr muss abgewartet werden. Normalerweise trifft sich die Original Römergruppe regelmäßig einmal im Monat, um für Dienstmärsche unter realen Bedingungen zu trainieren oder an Projekten zu arbeiten. Sie wurde von Peter Klein gegründet, der schon als Kind durch seinen Großvater in Kontakt mit antiken Kulturen kam: „Insbesondere begeistert mich das universelle Denken im Imperium, die Kunst und die zahlreichen römischen Philosophen mit modernen Denkansätzen, wie sie erst wieder in der Renaissance entdeckt wurden.“ Die Idee zur Gründung der Legio XIIII kam Klein als er Alte Geschichte in Mainz studierte. Wichtig war ihm von Anfang an der Bezug zu Mainz. Auch die Schreibweise XIIII deutet auf die Mainzer Zeit hin: „Das besondere an Mainz ist eine gewisse historische Kontinuität als Festungsstadt und ihre militärisch herausragende Bedeutung in römischer Zeit.“ Somit hoffen wir, dass wir bald wieder verkleidete Römer in der Stadt treffen werden. Den römischen Alltag kann man aber auch sonst gut nachempfinden, zum Beispiel mit Römerbrot, Römertopf und dem schon damals bei den Römern beliebten Weingenuss.
Anke Wichmann
Fotos: Stephan Dinges