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Auf die Ohren: Theaterprojekt „Alles muss raus“ & Kulturtelefon im Juni

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von Gabriel Werchez Peral
Fotos: Martina Pipprich

Freunde der akustischen Unterhaltung wackeln derzeit in Mainz mit den Ohren. Hier findet Kultur ihren Weg je nach Angebot durch Kopf- oder Telefonhörer. Aus den Straßen rund um den Tritonplatz kommen 14 Jugendliche angelaufen und sammeln sich vor einer Menschenmenge. Die Personen auf dem Platz haben etwas gemeinsam: Alle tragen Kopfhörer. Wie auf ein geheimes Signal läuft die kopfhörertragende Meute los, klatscht synchron in die Hände oder starrt kollektiv in den Himmel. Passanten sehen sich das Geschehen irritiert an. Was im ersten Moment wie eigenwillige Hifi-Reklame für ein Technik-Warenhaus aussieht, entpuppt sich als die neue Jugendclubproduktion „Alles muss raus!“ des Mainzer Staatstheaters. Unter der Leitung von Anna Scherer und Mirko Schombert ist ein interaktives Theaterstück entstanden, bei dem das Publikum zu einem Teil der Handlung wird. Es mag seltsam klingen, doch gerade weil die gesamte Kommunikation zwischen Akteuren und Publikum über die Kopfhörer stattfindet und sie so von der Außenwelt abkapselt, entsteht ein Wir-Gefühl. „Wie in einer Blase werden Schauspieler und Zuschauer plötzlich zu einer Gruppe zusammengeschweißt“, erklärt Schombert dieses Stilmittel. Die Jugendlichen agieren als Darsteller und steuern mit dem Publikum bestimmte Orte in Mainz an. Auf dem Weg entdeckt das Publikum nicht nur die Stadt als Bühne aus einer neuen Perspektive. In meist emotionalen, manchmal trivialen und oft lustigen Szenen verknüpfen die Schauspieler persönliche Erinnerungen mit universalen Themen wie Heimat oder Anonymität. „Das Stück ist wie der Soundtrack ihres Lebens in der Stadt“, sagt Scherer und berichtet, dass sich gerade ältere Zuschauer in die eigene Jugend zurückversetzt fühlen. Am 4. Juli läuft die letzte der insgesamt 15 Vorstellungen, ein Großteil davon im Juni. Bei „Alles muss raus!“ sollten die Zuschauer an das Wetter angepasste Kleidung tragen. Außerdem ist etwas Kondition gefragt, da der Rundgang durch die Stadt mit diversen Mitmachaktionen ungefähr zwei Stunden dauert.

Balsam für die Ohren

Für alle, die sich lieber bequem zurücklehnen und ihre Ohren auf dem heimischen Sofa pflegen möchten, gibt es ansonsten das Mainzer Kulturtelefon. Ein Anruf genügt und schon erklingt ein Kurzkrimi mit Lokalkolorit oder arabische Lyrik aus dem Telefonhörer. Die monatlich wechselnden Lesungen sind zwischen vier und sechs Minuten lang. Ziel des Kulturtelefons ist es, im Jahresverlauf einen Mix aus Prosa und Lyrik aus der Region zu präsentieren. „Beim Kulturtelefon bieten wir aber auch Freiraum für in der Heimat verfolgte Literaten“, erzählt Marcus Weber, Kulturmanager vom Literaturbüro e.V. und Programmgestalter des Angebots. So hat im Mai beispielsweise eine im Exil lebende tunesische Dichterin ihr Gedicht am Telefon präsentiert. Die telefonischen Lesungen der Autoren versteht Weber in erster Linie als Appetithäppchen auf deren Gesamtwerk. Das Kulturtelefon wird in Kooperation von der Stadt und dem Literaturbüro betrieben. Weber sucht laufend gute Texte, jeder kann seine literarischen Werke einsenden und sich auf einen der jährlich zwölf Plätze bewerben. Alle Autoren erhalten neben der Nennung mit Foto und Leseprobe im öffentlich ausliegenden Programmheft ein Honorar von 25 Euro. „Bisher verzeichnet das Kulturtelefon 100 bis 120 monatliche Anrufer“, berichtet Weber. Schon seit 1980 gibt es in Mainz bei Anruf Literatur, frei nach dem Motto von Matthyas Jenny, Begründer des ersten Literaturtelefons im deutschsprachigen Raum: „Die Leute sollen nicht zu den Dichtern gehen müssen, sondern umgekehrt.“ Ob die Dichter nun die Hörer zu Hause besuchen oder sie auf einem Spaziergang begleiten, kulturhungrige Ohren werden in Mainz reichhaltig beschallt.

Kulturtelefon: 06131-693944 www.staatstheater-mainz.com