Wer kennt diesen Gedanken nicht: Manche Dinge werden einfach dann besonders gut, wenn man sie selbst macht. Das findet auch Verena Czicholl von der Baugemeinschaft 49° Nord – Rundum bunt. „Eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen ist eine der größten Investitionen des Lebens“, stellt sie fest. Warum dann nicht gleich alles richtig machen und auch die Nachbarn schon vor Bezug aussuchen?
Das und anderes leisten Baugemeinschaften. Sie sind Gruppen von Menschen, die gemeinsam bauen. Was früher oft als links verschrien war, erobert seit einigen Jahren die deutschen Lande. Vor allem Personen und Gruppen, die mit gemeinschaftlichen Strukturen oder weltanschaulichen oder ökologischen Ausrichtungen leben möchten, können mit einer Baugemeinschaft eine engagierte Hausgemeinschaft gründen. Der IT-Experte hilft dem Rentner, der Rentner passt auf die Kinder der Ärztin auf und bestimmte Dinge können geteilt werden. „Auch das Flächenteilen ist durchaus charmant“ sagt Verena: „Wenn jeder ein paar qm abgibt, hat man schnell 150 qm zusammen“. So kann man neben der eigenen Wohnung auch noch eine Werkstatt, einen Coworking-Space und einen Gemeinschaftsgarten planen: „Oder eine Dachterrasse, auf der man gemeinsam sein Feierabendbier genießt.“
Von der Idee zum Bau
Das Land organisiert seit geraumer Zeit Infoabende zu Baugemeinschaften auf der Zitadelle. Ein Beraterteam aus Dortmund hilft Interessenten, indem es erklärt, was Baugemeinschaften sind und wie sie umgesetzt werden. „Wir sind da immer hingegangen“, erzählt Verena „und haben im Anschluss eingeladen, sich in einer Weinstube zu treffen.“ Denn ebenso wichtig wie übereinstimmende Vorstellungen ist, dass man sich gut versteht. Steht erst einmal eine Interessengemeinschaft, folgt jede Menge Arbeit. Zuerst muss ein passendes Grundstück gefunden werden. Aber auch die Gestaltung eines Hauses bringt lange Diskussionen mit sich. Jürgen Nikolay von der Baugemeinschaft „Lebensbunt“ (Foto) kann davon ein Lied singen. Er hat lange nach passenden Flächen gesucht und irgendwann mit viel Glück etwas in Gonsenheim gefunden. Seine Gruppe beschäftigt sich aktuell mit dem Planungs- und Finanzierungskonzept. Jede Menge Holz. Dennoch haben sich in Mainz bisher um die neun Bau- und Mietgemeinschaften gebildet. Neben 49° Nord -Rundum bunt und LebensBunt gibt es das Wiesenviertel, die Lebensfülle, stattVilla, Queer im Quartier oder Z.WO.zusammen. wohnen im Heiligkreuz-Viertel.
Mangelware Fläche
Das Problem in vielen Städten: Es mangelt oft an Grundstücken. So scheitern viele Vorstellungen an der dichten Bebauung und dem knappen Wohnraum- Angebot. Ein Haus in der Boppstraße (Neustadt) war einst im Angebot: „Das war aber klein und baulich sehr dicht“, sagt ein Baugemeinschaftsmitglied. Auch 11.000 qm Bauland in Ebersheim gehören der Stadt. Hier könnte man theoretisch bauen und 2020 einziehen. „Doch das Interesse sähe vermutlich anders aus, wenn wir diese Fläche in der Neustadt anbieten würden – Ebersheim ist eben auf dem Land“, sagt Birgit Pohlmann vom Beratungsteam der Stadt. Für viele ist die Wohnpolitik zudem unübersichtlich. Und an einigen Stellen ist unklar, ob Fördergelder oder Zuschüsse beantragt werden können. Zuletzt ist die Bekanntheit von Baugemeinschaften nicht sehr groß, weswegen auch das Interesse bisher eher zurückhaltend ist.
Erste Erfolge
Auf dem ehemaligen IBM-Gelände, dem sogenannten Heiligkreuz-Viertel, ist inzwischen aber ein Baufeld von 3.600 qm für Baugemeinschaften vorgesehen. Die 3 Baugemeinschaften 49°N, Z.WO und Baugemeinschaft Mainz Heilig Kreuz bewerben sich um dieses. „Wir haben Glück, dass wir Pioniere sind“, sagt Verena Czicholl von 49°N. Es kann sogar sein, dass alle drei Baugemeinschaften auf dem Baufeld unterkommen. Am weitesten ist die Planung bei „LebensBunt“ vorangeschritten: Insgesamt 1.200 qm pachten sie von der Kirchengemeinde in Gonsenheim, um ein Haus mit bis zu neun Eigentumswohnungen zu errichten. „Was uns auszeichnet, sind die ruhige Lage und der ökologische Aspekt“, so Jürgen Nikolay. Das Haus soll mit Qualitätsbaustoffen errichtet werden und Solarpanels auf dem Dach haben.
Mieten statt Bauen
Für viele ist Bauen zu teuer oder zu kompliziert, gemeinsames Wohnen aber trotzdem ein Thema. Im Verein „stattVilla“ haben sich daher 20 Interessenten zusammengeschlossen, die ein Mehrgenerationenprojekt auf Mietbasis verwirklichen wollen. Dazu finden Gespräche mit der Mainzer Wohnbau zum neuen Areal am Hartenbergpark statt. Für das Gelände der ehemaligen Peter-Jordan-Schule steht das Baukonzept fest, aber es gibt Wohnungen unterschiedlicher Größe und Gestaltung. Eine Gemeinschaftswohnung soll für Begegnungen realisiert werden. „Wir wünschen uns eine aktive Nachbarschaft, Gemeinschaftsräume und gemeinsame Unternehmungen mit der Hausgemeinschaft“, sagt Dorothea Ebbing, Vorsitzende von stattVilla. Die Wohnbau zeigt sich aufgeschlossen, denn: „Baugruppen bringen eine gewisse Stabilität an gutem Wohnen und Miteinander und somit Zufriedenheit“, so Sprecherin Claudia Giese. Ob Baugemeinschaften in Mainz sich in großem Stil durchsetzen werden, darf bezweifelt werden. Sie finden aber in jedem Fall ihre Nische im kontinuierlich wachsenden Interesse an gemeinschaftlichem Wohnen.
Text Nora Cremille Fotos Jonas Otte