Text: Carina Schmidt
Fotos: Katharina Dubno
Die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger trifft alleinerziehende Frauen ab 2011 besonders hart. Nach dem Sparpaket der Bundesregierung müssen Hartz-IV-Empfänger es sich gut überlegen, ob sie sich Nachwuchs leisten können. Denn ab 2011 rechnen die Jobzentren ihnen das Elterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro als Einkommen an. Durch diese neue Regelung wird der Betrag nun vom Arbeitslosensatz (der Grundsicherung) abgezogen, fällt also komplett weg. Ursprünglich sollte das Elterngeld jungen Eltern als „Schonraum“ dienen, damit sie sich ohne finanzielle Engpässe „in das Familienleben hineinfinden können“. Wie die neue Familienpolitik vorsieht, sind von diesem Angebot arme Mütter und Väter ausgeschlossen, was in der Praxis vorwiegend alleinerziehende Frauen trifft.
Tamara ist 27 Jahre, alleinerziehende Mutter und Hartz-IV-Empfängerin. Sie hat Psychologie studiert und ihren Abschluss hochschwanger Ende März 2010 mit sehr gut bestanden. Und das trotz frischer Trennung, Wohnungswechsel und der Tatsache, dass sie die Vorbereitungen für die Geburt ihrer Tochter alleine treffen musste. Zwei Monate später kam Suna zur Welt. Seitdem ist die junge Absolventin Mama und das Vollzeit. „Ich habe mich immer auf mein Kind gefreut. Aber wie sich die Verantwortung als Alleinerziehende lebt, das kann man sich vorher nicht vorstellen. Plötzlich musste ich bei allem immer an zwei Menschen denken.“
Erzwungene Armut
Nach der Geburt wechselte Tamara erneut die Wohnung, da die vorherige Einzimmerwohnung zu klein wurde und ihr mit Kind 60 Quadratmeter zustanden. Problematisch sei nun, dass sie sich die neue Wohnung eigentlich ohne Elterngeld ab Januar kaum leisten könne. „Was an Mietzuschuss bezahlt wird, richtet sich nach dem Mietspiegel, bloß für den maximal übernommenen Quadratmeterpreis gibt es in Mainz heute kaum noch eine Wohnung.“ Für Tamara bedeutet das, nun trotz qualifizierter Ausbildung in Armut leben zu müssen: „Dinge wie ein Kinobesuch, Biolebensmittel oder ein Babyschwimmkurs für Suna kann ich mir ohne die 300 Euro abschminken. Im Grunde genommen können wir uns nichts mehr leisten, was Lebensqualität ausmacht. Es geht um unsere Existenz, denn alles, was über den alltäglichen Grundbedarf mit Kindhinaus geht, fällt weg.“ Ob sich das ab Mai ändert, wenn sie ins Berufsleben starten möchte? Das steht noch auf wackeligen Beinen, weil ohne eine Stelle gibt es keinen Krippenplatz für Suna und ohne Krippenplatz kann sie nicht arbeiten gehen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Szenenwechsel: Atillya hat einen Termin beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Sie ist Mutter von drei Kindern, darunter eine 18-jährige Tochter, ein 16-jähriger Sohn und ein fünfmonatiger Sohn. Aufgewachsen ist die heute 38-Jährige in Bulgarien. Vor 10 Jahren starb ihr erster Mann, zwei Jahre später zog sie nach Deutschland. Den großen Sohn nahm sie direkt mit, die Tochter lebte zunächst noch bei den Großeltern. Ergün, ihr jüngster, war kein geplantes Kind. Mit dem Vater habe sie zwar noch Kontakt, doch er arbeitete saisonal als Bauarbeiter, verdient selbst maximal 700 Euro. Und sie fragt berechtigt: „Wie soll er mir da helfen?“ Atillya hat außerdem immer selbst gearbeitet, wollte unabhängig sein, um ihre Kinder zu versorgen. Meistens war sie als Putzhilfe beschäftigt, mal bei einer Reinigungsfirma, zuletzt in einem Privathaushalt. „Als ich dann schwanger war, hat mich mein Chef sofort gekündigt“, schildert die Alleinerziehende.
Hilfsangebote kommen oft zu spät
Dabei kam es vorher schon dick. Atillya ist inzwischen nämlich auch Großmutter. Ihre Tochter Gyulyay hat seit einem Jahr ebenfalls einen Sohn. Gyulyay lebt erst seit vier Jahren in Deutschland und erinnert sich: „Ich hatte viele Probleme in der Schule, kannte die falschen Leute und machte Sachen, die ich nicht durfte.“ Im Alter von 17 Jahren bekam sie dann ihren Sohn. Eigentlich wollte sie noch ihren Hauptschulabschluss machen und anschließend eine Ausbildung zur Friseurin. Bei ihrer Mutter musste Gyulyay sich mit ihrem Bruder ein Zimmer teilen. Drei Wochen vor der Geburt zog sie in ihre eigene Wohnung, sie stand noch komplett leer. Das sei auch die Bedingung vom Jobcenter, um Einrichtungshilfe zu bekommen. Attilya konnte das aber nicht mit ansehen: „Ich habe Freunde und Bekannte in Bewegung gesetzt, um wenigstens die wichtigsten Möbel zu besorgen. Gyulyay ist ja auch mein Kind.“ Tatsächlich dauerte es vier Monate, bisder Vermittler vom Jobcenter kam. Was die junge Mutter bis dahin schon angeschafft hatte, wie einen Wickeltisch oder Kinderbett, dafür gab es kein Geld mehr zurück. Freizeit nennt die 18-Jährige ein Fremdwort. Auch mit den Freundinnen von früher habe sie kaum noch Kontakt: „Die führen ja ein ganz anderes Leben ohne Kind. Im Moment bleiben mir nur meine Mutter und meine Brüder.“
Notlagenverwaltung statt Beratung
Waltraud Meuser vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) kennt viele solcher Schicksale aus ihrem Beratungsalltag. „Der Zirkus und damit die Armutsschleife fängt erst richtig an, wenn die teuren Haushaltsgeräte wie Waschmaschine und Kühlschrank kaputt gehen oder die Stromnachzahlung kommt: Dann bluten die Haushalte langsam aus.“ Vorzeitig aus diesem Kreislauf herauszukommen fiele besonders jungen Frauen schwer, die vorher noch kein festes Arbeitsverhältnis hatten, so wie in den Fällen von Tamara und Gyulyay. „Zwar hat in Mainz jeder ab dem zweiten Geburtstag des Kindes Anspruch auf einen Kindergartenplatz, in der Praxis kann das aber kaum eingehalten werden“, weiß die Sozialpädagogin. Und dieser soziale Abwärtstrend gehe weiter. Eigentlich stünde für den SkF als Beratungsstelle die psychosoziale Betreuung im Vordergrund, neben Angeboten wie Krabbelkreisen, Hilfe bei der Beschaffung von finanziellen Mitteln und konkreten Sachleistungen wie der hausinternen Kleiderkammer. Eigentlich, denn dazu bleibe heute gar keine Zeit mehr: „Seit Hartz-IV machen meine Kolleginnen und ich aber fast nur noch Notlagenverwaltung.“ Was sie den Betroffenen im Vorfeld rate? „Dass sie versuchen, Ersparnisse zu bilden, um wenigstens die ersten drei Monate mit Kind überbrücken zu können, bis alle Gelder bewilligt sind.“
Um die Zukunft der Betroffenen sorgen sich auch die Beraterinnen des Diakonischen Werks. Weder sie noch andere Wohlfahrtsverbände könnten das finanzielle Loch auffangen. Dabei seien rund Dreiviertel ihrer Klientinnen von der Elterngeldkürzung betroffen, dass heißt knapp 300 Frauen. „Das ist im hohen Maß diskriminierend. Es stellt sich nämlich die Frage: Welche Kinder sind noch erwünscht?“ gibt Irene Finger, Fachreferentin vom Diakonischen WerkHessen Nassau, zu bedenken. Jungen Familien werde dadurch die Planungssicherheit entzogen und das in einer hochsensiblen Phase, in der sie eigentlich alle Kraft für sich und ihr Kind brauchen. Was den Beraterinnen da an Hilfestellung noch übrig bleibt, ist die Aufklärung. Sie rät den Frauen, Widerspruch einzulegen und Hilfe beim Jugendamt einzufordern, denn: „Wenn eine Mutter im Januar die Heizung nicht bezahlen kann, geht es ja auch schon um Kindeswohlgefährdung.“
Was zu guter Letzt bleibt, ist nicht nur die Frage, wo das hinführt, sondern auch, welches Familienbild dahinter steht, wenn eine Gesellschaft auf das Potenzial von Kindern aus Hartz-IV-Familien verzichtet. Und nicht nur das: Denn auch auf das Potenzial von jungen Frauen wird verzichtet, wenn ihnen der Berufsstart derart erschwert wird. Vieles scheint sich am regressiven Frauenbild nicht verändert zu haben, wenn das Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung und väterliche Zuständigkeit derart gering ist.
Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung für Eltern, die sich nach der Geburt für eine Baby-Pause entscheiden. Die Höhe betrug bislang 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens, dabei mindestens 300 und höchstens 1.800 Euro. Gezahlt wird das Elterngeld maximal 14 Monate, wenn beide Partner abwechselnd zu Hause bleiben. Bis jetzt erhielten Hartz-IV-Haushalte den Mindestsatz von 300 Euro anrechnungsfrei auf die Leistungen der Grundsicherung. Ab 2011 erhalten sie zwar weiterhin 300 Euro von den Elterngeldstellen, dafür wird ihnen aber das Arbeitslosengeld II um genau diese 300 Euro „zusätzliches Einkommen“ gekürzt. Ausnahmen gibt es nur, wenn Eltern vor der Geburt ihres Kindes erwerbstätig waren. Dann erhalten sie einen Elterngeldfreibetrag, der anrechnungsfrei bleibt. Obwohl das Gesetz im Herbst noch nicht verabschiedet war, verschicken die Jobcenter seit September entsprechende Bescheide.