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Von Wehen und Wundern: Mainz‘ älteste Hebamme

Anne Simon ist Hebamme aus Leidenschaft, und das seit über fünfzig Jahren. Erst Angestellte, macht sie sich später selbstständig und betreut Frauen in Hausgeburten. In 22 Jahren sind es 350 Babys, die sie zuhause zur Welt gebracht hat. Heute führt die 78-Jährige keine Geburten mehr durch – ist aber nach wie vor in der Vor- und der Nachsorge tätig.

Frühe Gewissheit
Als Kind wächst sie in Oppenheim auf, später zieht die Familie nach Mainz, wo Anne Simon ihre Mittlere Reife absolviert. Sie ist elf Jahre alt, als ihr jüngster Bruder zur Welt kommt. „Ich erlebte die Schwangerschaft meiner Mutter damals sehr intensiv mit, und als mein Bruder auf der Welt war, hatten wir von Beginn an einen ganz engen Draht zueinander.“ Es sei ihre erste Vollvorsorge für einen anderen Menschen gewesen, und so war ihr klar, dass sie einmal Hebamme werden wollte. Nach ihrem Schulabschluss ist Anne allerdings noch zu jung für die Ausbildung und wird Arzthelferin. Im Anschluss geht sie nach Hamburg. „Dort gab es die erste Schule, bei der die Ausbildung nichts kostete und man dazu sogar 400 Mark Taschengeld bekam. Die einzige Bedingung: Wir mussten in der Klinik wohnen.“
Während der Zeit in Hamburg lernt Anne Simon ihren späteren Mann kennen. Der Auslandskorrespondent lebt in London und ist auf der Durchreise. „Zwischen uns ging alles recht fix und ich bin nach meinem Abschluss in Hamburg erstmal für gewisse Zeit mit ihm nach London gegangen.“ Nach einem halben Jahr kommt das Paar zurück nach Deutschland, und wieder hat Anne Glück: Sie erhält einen Job in der Augenheilanstalt in Wiesbaden, in der auch Geburtshilfe angeboten wird. „Das war für mich beruflich eine der schönsten Zeiten. Ich hatte dort ein Zimmer und arbeitete im 24-stündigen Wechsel mit einer weiteren Hebamme zusammen. Uns wurde von Seiten der Belegärzte viel Selbstständigkeit ermöglicht, was eine gute Vorbereitung für meine späteren Hausgeburten war.“ Doch allzu lange bleibt sie nicht in Wiesbaden. Nach der Hochzeit 1974 gehen sie und ihr Mann nach New York. Aus geplanten drei Jahren werden zehn, und in dieser Zeit bringt sie ihren Sohn Daniel zur Welt. Eigentlich eine einfache Geburt, erleidet sie im Anschluss eine atonische Nachblutung. „Mein Zustand war sehr kritisch und ich lag lange im Krankenhaus.“ Die Folge: Anne Simon wird die Gebärmutter entfernt. Für eine Hebamme ein bitterer Moment. „Ich hatte damals Glück, überhaupt zu überleben. Aber natürlich hat mich das geprägt und über die Jahre immer wieder beschäftigt. Heute denke ich, dass es so sein sollte. Mit mehr eigenen Kindern hätte ich nicht in der Form für andere da sein können, wie ich es war.“

Mainzer Schule
Nach zehn Jahren New York kommt Anne zurück nach Mainz und erhält ein Angebot: Ein befreundeter Professor möchte mit ihr zusammen eine Hebammenschule aufbauen. Die Schule geht 1985 an den Start. Anne kümmert sich um die Dozenten, wählt die Schülerinnen aus, managet die Schule. Dennoch merkt sie, dass dies noch nicht ihr Weg ist. 1990 macht sie sich selbstständig. „Ich wusste ganz tief in mir drinnen, dass ich es anders machen möchte. Ich wollte persönlich für Frauen da sein, und das ging nur mit der Selbstständigkeit.“ Zu Beginn sind es vor allem die Mund-zu-Mund- Propaganda und ihre Kontakte, die ihr helfen. Sie erhält Belegbetten in einem Hofheimer Krankenhaus, in denen sie Frauen unterbringt, bei denen eine Hausgeburt kritisch wäre. Viele Jahre ist Anne Tag und Nacht in Bereitschaft, schläft auf den Couches bei „ihren“ Familien. Das alles macht ihr nichts aus. Gab es gefährliche Momente? „Ich kann mich nur an eine einzige Geburt erinnern, bei der ich Hilfe aufgrund einer kleinen Nachblutung holen musste.“ Ihre letzte Hausgeburt begleitete sie 2013.

Eigene Räume
Acht Jahre später geht dann ein großer Wunsch in Erfüllung: Mit dem Anne Simon Netzwerk, das sie 2010 gegründet hatte und das aus über 15 Therapeuten besteht, erhält sie von der Mainzer Wohnbau Räumlichkeiten auf dem Hartenberg. 2022 eröffnet der gemeinnützige Verein das „Annvertrauen Familienzentrum“. Für Anne Simon ein besonderer Moment: „Durch meine Hausgeburten war ich immer eng in die Familien eingebunden, ich war quasi Teil der Familie. Dadurch habe ich vieles miterlebt. Themen, die weit über die Geburt hinaus gingen. Da hatten Kinder schulische Probleme und vieles mehr. Das alles lässt einen nicht kalt, und mir wurde klar, wie wichtig Unterstützung in unserer Gesellschaft ist. Jung und Alt – im Familienzentrum findet jeder Gehör.“ Coaches, Ernährungsberater, Heilpraktiker und Osteopathen sind dort tätig. Das Angebot reicht von der Gestalttherapie bis zum Yogakurs, es gibt Krabbelgruppen und Informationsabende, aber auch Austauschnachmittage für Alleinerziehende. „Wir möchten Lebenshilfe sein und ein Ort, an dem sich zahlreiche Kompetenzen bündeln, von der Geburt bis zur Sterbebegleitung.“ Anne Simon ist Hebamme mit Herz und Leidenschaft. Ihr Leben lang war sie für andere da. Ob sie stolz ist? „Dankbar. Ich bin einfach unendlich dankbar für das, was ich tue. Und ich bin glücklich, auch im hohen Alter noch ein erfülltes Leben zu haben.“ www.annvertrauen.de

Text: Alexandra Rohde
Fotos: Inga Steeg

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