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Vom Angsthasen zum Zungenschmeichler – Besuch beim Rhetorik Club Mainz

Viele haben das schon einmal erlebt, ob als Kind in der Schule „Du gehst jetzt mal an die Tafel und erklärst deinen Mitschülern die gestrigen Hausaufgaben“ oder im Job: Angstschweiß, nervöses Zittern, Bauchschmerzen, Hitze und Herzklopfen beim Reden vor einer Gruppe. Lassen sich solche Angstzustände vermeiden, abbauen und ist das lernbar? Die Kunst des Sprechens haben sich einige lokale Vereine auf die Flagge geschrieben. Wir tauchen ein und besuchen den Rhetorik Club Mainz.

Er gehört wie 15.900 weitere in 142 Ländern (90 in Deutschland) zum Dachverband Toastmasters International. Die Non-Profit-Organisation wurde 1924 in den USA gegründet und hat weltweit circa 345.000 Mitglieder – in Mainz sind es 28, neun davon weiblich. Der Name Toastmasters stammt übrigens von: „Toast aussprechen“. Und Rhetorik kommt aus dem Altgriechischen und steht für Redekunst bzw. nach Aristoteles die Kunst durch Rede zu überzeugen oder zu einer bestimmten Handlung zu bewegen. Seit der Aufklärung wurde die Disziplin jedoch zunehmend aus dem Alltag, den Wissenschaften und dem Denken verdrängt.

Ein ganz „normaler“ Clubabend…

Der Rhetorik Club residiert im City Hilton. Jan-Marco (alle duzen sich), der Präsident, wirft mich direkt ins Haifischbecken: „Dich sehe ich hier zum zweiten Mal. Damit gehörst du praktisch schon dazu und wirst uns jetzt eine Stegreifrede halten.“ Tatsächlich habe ich vorher schon mal rein geschnuppert bei einer Wettbewerbs-Vorentscheidung. Also nun eine kurze Rede (1 bis max. 2,5 Minuten) vor gut 20 Teilnehmern. 30 Sekunden Vorbereitungszeit zum Thema: „Aluhelm mit Spitze oder goldener Pyramidenhelm?“.

Die Sekunden schnellen an mir vorbei. Welcher Helm, wieso Alu, eher Pyramide oder einfach doch keine Lust? Schon geht es los. Also willkommen geheißen alle, um Zeit zu schinden, weiter überlegen und dann spontan doch in die Rolle gefunden. Ich begeistere mich für den tollsten Helm der Welt, der negative Energien aufsaugt und den ich in schmerzhaften Selbstversuchen dem goldenen Pyramiden-Exemplar vorziehe. Peinlich, was ein Quatsch. Doch die Zuhörer sind angetan, mein „Bewerter“ begeistert. Dass ich Schiss hatte, mir das schwierig und komisch vorkam, hat offenbar niemand bemerkt.

Leader-Macher

Auf dem Cover des ersten Leitfadenbuchs „Kompetente Kommunikation“, lautet ein Motto des „Toastmasters“-Dachverbandes: „Wo Leader gemacht werden“. Rhetorik also nur für Führungskräfte? In der Gruppe geht es vielmehr darum, sich selbst und das Gegenüber weiterzuentwickeln, Kritik zu äußern und dabei bestehende Schwächen zu berücksichtigen. Wichtig: Möglichst viel Applaus als Motivation und Anerkennung. Kleine Tipps wie Stift weglegen, ohne Papier vortragen und nicht mit der Brille rumspielen, erfüllen zudem ihren Zweck.

Selbst Stand-up Comedy hat ihren Nutzen. Eine Disziplin nennt sich „Humorvolle Rede“ und gilt als besonders schwierig. Immer wieder gut auch der Füllwörterzähler (halt, ja, also …), bei mir waren es zum Beispiel gleich acht „Ähms“. Debattiert wird hier übrigens eher selten, es geht um die Kunst der Rede. Trotzdem schlägt Jan-Marco für das nächste Mal spontan ein Debattier- Battle zum Thema „Verschwörungs-Theorien“ vor. Mitmachen will allerdings niemand.

Europapokal in Warschau

Club-Schatzmeister Matthias Zimmerschied (28 Jahre) ist ein mittlerweile gut geschulter Rhetoriker. Er hat in Wiesbaden bei der letzten Städte-Ausscheidung die beste Stegreifrede gehalten, in Bensheim deutsch-südwestweit gewonnen und sich somit für die „Europameisterschaft“ in Warschau qualifiziert. Das erste Leitfadenbuch hat er komplett durchgearbeitet und immer mehr Blut geleckt: „Da geht noch was. Vielleicht auch bis zum Berufsredner“, ist er sich sicher.

Schon länger im Business ist Traudel Schönborn. Sie bietet in der Volkshochschule Rhetorik-Kurse an. Die nächsten Termine gibt es im Frühjahr (Anfang März): 18 Stunden auf ein Wochenende verteilt, für 123 Euro. In höheren Preislagen sind die Angebote noch spezialisierter: Coachings, Seminare, Fortbildungen… Mit Wasser gekocht wird überall. Beim Rhetorik Club Mainz ist aber vor allem die angenehme familiäre Atmosphäre hilfreich und empfehlenswert. Gäste sind stets willkommen am 1. und 3. Dienstagabend jeden Monat im City Hilton. Der Mitgliedsbeitrag liegt bei 54 Euro pro Halbjahr.

von Thomas Schneider

Illustration: Lisa Lorenz