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Totschlag in der Zanggasse vom August 2011 – erster Verhandlungstag beendet


von Frank Schmidt-Wyk
(Artikel aus der Allgemeinen Zeitung)

Die Verlesung der Anklage dauert nicht mal eine Minute: In der Nacht zum 19. August vorigen Jahres, irgendwann vor 6 Uhr, soll der Angeklagte in seiner Wohnung die 30-jährige Christine R. mit einem Stich in die linke Halsseite getötet haben. In der gleichen Nacht hätten sich Täter und Opfer in einer Szenekneipe schräg gegenüber des Tatorts in der Mainzer Zanggasse getroffen. (Foto: Sascha Kopp)

Viel mehr gibt es zum Ablauf des Verbrechens vorerst nicht zusagen – weil auch nach monatelangen Ermittlungen kaum mehr bekannt ist. Folglich klagte die Staatsanwaltschaft das Tötungsdelikt auch nicht als Mord, sondern in der milderen Variante, als Totschlag an.

In seiner überhitzten Dachwohnung war die bereits stark verweste Leiche von Christine R. fünf Tage nach ihrem Tod gefunden worden. Doch Angeklagter Jörg S. (32), gelernter Kaufmann zwar, zuletzt aber nur Gelegenheitsjobber, ein Mensch mit Drogen- und Alkoholproblemen und ohne Lebensentwurf, hat bislang nichts zur Aufklärung beigetragen. Und dabei bleibt es: Wie angekündigt kommt ihm vor der Schwurgerichtskammer des Mainzer Landgerichts kein Wort zu den Anklagevorwürfen über die Lippen. Sein Schweigen ist schwer zu ertragen für die vielen Freunde und Bekannte des Opfers, die zum gestrigen Prozessauftakt Jörg S. ebenfalls stumm ein großformatiges Portraitfoto von Christine entgegenhalten.

Auf der Suche nach einem sexuellen Abenteuer

Am Abend vor der Tat hatte sich Christine R. ohne ihren Lebensgefährten ins Nachtleben gestürzt. Das Paar war erst am Nachmittag aus dem Sommerurlaub zurückgekehrt, ihr Freund, erschöpft vom Fahren, wollte sich lieber früh hinlegen. „Es gehört zu einer Beziehung, dass man auch mal alleine was unternimmt“, sagt der 36-Jährige im Zeugenstand leise. Er sah seine Partnerin nicht lebend wieder.

Es hat ganz den Anschein, dass Christine R. häufiger nachts allein durch die Mainzer Clubs tingelte. Auch in dem Szenelokal in der Zanggasse war sie zuvor schon gesehen worden. Mit ihrer lebhaften Art fiel sie dort am Abend des 18. August auf. Als „quirlig“, aber auch „distanzlos“ beschreibt sie der Barkeeper. Er, wie auch andere Zeugen, sagen: Es sei offensichtlich gewesen, dass sie an diesem Abend ein sexuelles Abenteuer suchte.

Drei Portionen Amphetamin

Auch Jörg S., der in dem Laden als Aushilfstürsteher jobbte, war an diesem Abend da, als Gast, er wohnte ja auf der anderen Straßenseite. Zeugen sahen ihn mit Christine R. innig knutschen, für einen Aushilfsmitarbeiter (27) wirkte es so, „als ob es nicht das erste Mal gewesen wäre.“ Ob sich die beiden vielleicht schon länger kannten, bleibt vorerst offen. Ein anderer Gast gestand, Jörg S. in diesen Stunden zweimal Amphetamin spendiert, ihm eine weitere Dosis zugesteckt zu haben. Manche Zeugen hatten den Eindruck, dass Christine R. ebenfalls unter Drogen stand. Gegen zwei Uhr verschwanden die beiden einträchtig in Richtung von S.’ naher Wohnung.

Gegen 6 Uhr war Jörg S. plötzlich wieder da, um noch einen Cola-Whisky zu trinken, das Lokal machte gerade zu. „Er hatte ein rötliches Gesicht, wirkte als ob er gerade Sex gehabt hätte“, erinnert sich die Aushilfe. „Ja, ich hab’ sie weggebangt“, soll sich S. gebrüstet haben.

„Die Spielregeln der urbanen Kultur“

Ist es dem introvertierten Jörg S. wirklich zuzutrauen, dass er die 30-Jährige umbrachte? Der Clubbetreiber (40) glaubt immer noch an die Unschuld seines früheren Mitarbeiters: „Er war nie impulsiv oder aggressiv.“ Auch der Barmann (25) sagt: „Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass er das getan hat und kann es auch heute nicht.“

Es ist der Aushilfsmitarbeiter, der dem Gericht immerhin einen Denkansatz liefert, der auf ein mögliches Motiv weisen könnte. Es geht um das Verhältnis des Angeklagten zu Frauen. Jörg S. habe die „Spielregeln der urbanen Kultur“ nicht verinnerlicht, wonach es üblich sei, dass man miteinander im Bett lande und tags darauf wieder getrennte Wege gehe. Er habe sich hingegen festgeklammert an den Frauen.

Der Prozess wird am heutigen Mittwoch fortgesetzt.