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Stormy Heather ist Gründerin der ersten Mainzer Burlesque-Schule

Optische Täuschung: In der Burlesque
wird oft mit Stereotypen gespielt. Das Martiniglas, das Stormy Heather im Bild trägt, ist das eigentliche Kostüm –
die „Beine“ sind Attrappen (Foto: Neil Nez Kendall)

„Um ein Kleidungsstück möglichst elegant auszuziehen, eignen sich Häkchen oder Druckknöpfe. Was gar nicht geht: Klettverschluss – der ist zu laut und kann am restlichen Kostüm hängen bleiben.“ Es ist ein kühler Märzmorgen. Mir gegenüber sitzt die Burlesque-Performerin Stormy Heather, die mit Hingabe von ihrer Kunst erzählt. Eine Viertelstunde zuvor hat die elegant gekleidete Frau mit kurzen, dunklen Haaren, blauen Augen und roten Lippen die Holztür zu der Tanzschule in der Walpodenstraße aufgeschlossen. Unser Gespräch führen wir in einem langen Saal mit Parkettboden und Spiegelwand. Stormy Heather bringt Menschen bei, kunstvoll vor anderen die Kleider abzulegen.

Foto: Verena Gremmer

Darbietungsform mit langer Geschichte
Burlesque ist eine Form des erotischen Tanzes, die ihre Wurzeln in den Varietés und Zirkussen der 1920er und 30er Jahre hat. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geriet Burlesque weitgehend in Vergessenheit; eine Renaissance setzte ab den 90er Jahren ein. Anders als beim klassischen Strip liegt der Fokus bei Burlesque nicht auf Nacktheit an sich – ein Indiz dafür sind die üppigen Kostüme und Routinen, in deren Gestaltung Burlesque-Performer viel Arbeit und Hingabe stecken. Stormy hält dennoch fest: „Klar ist Burlesque sexuell – auf jeden Fall.“ Aber: „Hier geht‘s ums Teasen, hier geht‘s ums Reizen – nicht darum, möglichst schnell die Hüllen fallen zu lassen.“ Die lebhafte Frau arbeitet selbst mitunter wochenlang an einem Act, den dazugehörigen Outfits und der Beschaffung aller Accessoires. Die Libellenflügel, die sie zu unserem Gespräch mitgebracht hat, stammen ursprünglich aus dem Fundus der Münchner Staatsoper.

München, Mailand, Mainz
München ist auch die Stadt, in der Stormy vor 12 Jahren mit Burlesque begann. Inzwischen kann sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ihre Darbietungen haben sie in ganz Europa herumgeführt: von Manchester über Hamburg und München bis nach Mailand. In ihre alte Heimatstadt Mainz zog Stormy vor ein paar Jahren zurück – auch weil sie die Mainzer Kultur und Lebensart vermisste. Als kurz danach die Pandemie begann, wechselte sie wie viele andere Kunstschaffende zu Kursen per Zoom; doch war es eine enorme Erleichterung, als 2022 wieder Shows vor einem Publikum möglich wurden. Regelmäßig organisiert Stormy Heather in Mainz den „Salon Privé“ in der Alten Lokhalle.

 

Foto: Conny Trumann

Sich im eigenen Körper wohlfühlen
Faszinierend war für Stormy von Anfang an die Akzeptanz für den eigenen Körper, die bei Burlesque mitschwingt: „Wir werden in sozialen Medien mit genormter Schönheit bombardiert – die spielt aber bei Burlesque keine Rolle. Burlesque ist für jede Körperform, jedes Alter da.“ Und auch für alle Geschlechter: Mit Boylesque gibt es eine weitere Form für Menschen, die sich als männlich definieren. „Mir gibt Burlesque das Gefühl, dass ich mich in meinem eigenen Körper wohlfühlen kann, egal, wie er aussieht.“ Sie lacht und schiebt hinterher: „Und dieses Körpergefühl zu vermitteln sehe ich auch etwas als meinen Erziehungsauftrag an.“

Das Publikum ist Teil der Show
Bei Veranstaltungen wie dem Salon Privé wechseln sich Burlesque- und Boylesque-Acts mit Varieté, Livemusik, Drag- und Akrobatik-Performances ab. Auf der Bühne stehen nicht nur professionelle Performer. Am Ende eines achtwöchigen Kurses in ihrer Burlesque-Schule haben die Teilnehmenden auch die Möglichkeit, selbst aufzutreten – eine Gelegenheit, die ziemlich viele von ihnen wahrnehmen. Aber auch das Publikum (übrigens oft mehr Frauen als Männer) ist Teil der Show. Viele werfen sich für den Abend in Schale; am Anfang gibt es immer ein Intro, in dem mit allen Beteiligten das enthusiastische Feiern und Applaudieren des Bühnengeschehens geübt wird. Dabei werden auch einige Verhaltensregeln ausgegeben: etwa, dass in die Menge geworfene Kleidungsstücke am Ende des Abends wieder zurückgegeben werden sollten. Vorstellen kann man sich ein Burlesque-Event also eher als kollektives Erlebnis.

www.stormy-heather.com
instagram.com/stormy_heather_burlesque
Text Andie Rothenhäusler