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Staatstheater stellt neuen Spielplan vor – Zehn Prozent mehr Besucher

theater
Gemeinsam mit Ina Karr (Chefdramaturgin Oper), Jörg Vorhaben (Chefdramaturg Schauspiel, rechts), Honne Dohrmann (Tanzdirektor, 2.v.l.) und Hermann Bäumer (Generalmusikdirektor, links) hat der Intendant des Staatstheaters, Markus Müller, heute das Programm der Spielzeit 2016/17 vorgestellt. „Wir freuen uns sehr über eine enorme Steigerung der Besucherzahlen und über die Diskussionsfreude und Theaterbegeisterung der Zuschauer: In dieser Stadt Theater zu machen, inspiriert sehr“, betonte Müller.

„Das spornt uns an, unser Konzept weiter zu stärken und die inhaltlichen Linien zu vertiefen. Wir werden auch in der kommenden Spielzeit lokale Themen besetzen, mit unserem starken Ensemble und den Hausregisseuren arbeiten, große spartenübergreifende Projekte wagen – also im besten Sinne Stadttheater sein. Zugleich bauen wir die überregionale und internationale Vernetzung und Wahrnehmung des Hauses weiter aus.“

Wie sehr sich die Kunst einmischen muss, wie politisch das Theater sein soll und ist – die Frage stellt sich heute mit neuer Aktualität. „Ist, dass du schaffst und bildest, genug?“, ließ Hindemith seine Hauptfigur in Mathis der Maler ausrufen. Er schrieb die Oper in einer Zeit, in der in Berlin auf öffentlichen Plätzen Bücher verbrannt wurden, das Thema war existenziell für ihn. Nach zwei Spielzeiten, die geprägt sind durch eine intensive Auseinandersetzung mit Stadt und Gesellschaft und die das Staatstheater Mainz zu einem Ort (und zuweilen auch zum Auslöser) lebhafter Diskussion gemacht haben, wird auch das dritte Jahr bestimmt sein von der Überzeugung, dass Theater Teil der kritischen Öffentlichkeit ist. Auch wenn bei aller Lust an der Utopie und an neuen Entwürfen der Einfluss des Spiels auf die wirkliche Welt unterschiedlich groß sein dürfte – das Theater als Raum, in dem jeder zum eigenständigen, freien Denken aufgefordert wird, ist heute wichtiger denn je.

Oper

Auf dem Spielplan der kommenden Saison steht dafür ein reiches Repertoire klassischer und zeitgenössischer Stoffe zur Verfügung: In der Oper treffen wir neben Mathis der Maler auf machtvolle Frauen, die zerrissen werden zwischen privaten Leidenschaften und politischer Raison: Vincenzo Bellinis Norma und Christoph Willibald Glucks Armide. Zwei faszinierende Figuren, die von zwei ausdrucksstarken Regisseurinnen in Szene gesetzt werden – Hausregisseurin Elisabeth Stöppler, die Regie führen wird bei Mathis der Maler sowie bei Norma (der Dirigent bei beiden Opern wird Generalmusikdirektor Hermann Bäumer sein), und Lydia Steier, die unter der musikalischen Leitung von Clemens Schuldt Armide inszenieren wird.

Ergreifend in Musik und Handlung übersetzte Wirklichkeit finden wir in Giacomo Puccinis La Bohème – es ist die Dichte des Kammerspiels, die Mitgefühl weckt, und die empathische Zeichnung der Figuren stützt die Behauptung, dass Kunst mit ihren Mitteln der Humanität und dem Respekt vor dem einzelnen Menschen zum Recht verhelfen kann. Inszenieren wird Monique Wagemakers, die musikalische Leitung liegt bei Hermann Bäumer.

Einen sicheren Platz hat im vielfältigen Spielplan eines Mehrspartenhauses die Unterhaltung – gerne klug und mehrdimensional umgesetzt: Im Weißen Rössl ist nicht nur eine der beliebtesten Operetten, sondern erzählt zugleich eine bitterböse und ironiegetränkte Geschichte. Wie geschaffen also für das Regiegespann Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, die bereits bei der Pension Schöller im Schauspiel ihr Talent für doppelbödige Komik unter Beweis gestellt haben. Am Dirigentenpult steht Paul-Johannes Kirschner. Der vermutlich berühmteste Vertreter für turbulenten Humor dürfte William Shakespeare sein. Nach The Fairy Queen in der ersten Spielzeit wird nun Hausregisseur Niklaus Helbling seine Lesart der wunderbaren Liebeskomödie in Form von Benjamin Brittens A Midsummer Night’s Dream im Kleinen Haus zeigen.

Anselm Dalferths Hörtheater hat sich mittlerweile einen ausgezeichneten Ruf beim Publikum und in der Fachwelt erworben. 2016/17 wird die Reihe mit zwei Produktionen fortgesetzt und die Besucher dürfen sich freuen auf weitere Neuentdeckungen im Reich der Klänge und auf Hörerfahrungen, die gelegentlich auch unsere anderen Sinne ansprechen.

Schauspiel

Dass eine relevante gesellschaftliche Auseinandersetzung immer wieder bei der Frage landet, was uns als Menschen ausmacht – oder vielleicht besser noch: was uns überhaupt erst zum Menschen macht, belegt das Schauspielprogramm der kommenden Spielzeit. Hausregisseur Jan-Christoph Gockel geht gemeinsam mit Ensemblemitglied und Puppenbauer Michael Pietsch diese Frage ganz existenziell an: Ich, Pinocchio lassen sie die berühmte Holzpuppe sagen. Es ist eigentlich der Mythos vom Pygmalion und damit zugleich die Illusion eines Kunstwerks, das Wirklichkeit wird. Ein „echter“ Junge will Pinocchio sein, er will „Ich“ sagen, was aber genau heißt das? Im Gegensatz zur Puppe jedenfalls wird der Mensch „aus Fleisch und Blut“ auch genau davon bestimmt – von seinen Leidenschaften, Sehnsüchten, Begierden. Die wiederum erforscht Gesine Schmidt in ihrem dokufiktionalen Projekt Begehren und fragt sich, was öffentliche Bekenntniswut, Sehnsucht nach Devianz und der Wunsch nach Selbstaufgabe in der Verschmelzung mit dem Anderen bedeuten. Begehren entsteht als Auftragswerk für das Staatstheater Mainz.

Die Eröffnungsproduktion des Schauspiels im Großen Haus wird zum einen ein fulminantes Ritterspektakel mit allen Theatermitteln sein – zum anderen der Versuch, herauszufinden, was einen Menschen dazu bringen kann, unbeirrbar an seinen Träumen festzuhalten. Niklaus Hebling inszeniert Kleists Das Käthchen von Heilbronn.

Von der existenziellen Auseinandersetzung mit der conditio humana ist es ein logischer Schritt zur Debatte darüber, wie unser Zusammenleben aussehen und organisiert sein soll. Mit Henrik Ibsens Ein Volksfeind (Regie: Dariusch Yazdkhasti), Friedrich Dürrenmatts Die Physiker in der Inszenierung des leitenden Regisseurs K.D. Schmidt und Michael Bulgakows Der Meister und Margarita in der Regie von Jan-Christoph Gockel stellen sich Fragen nach der Verantwortung des Einzelnen, nach dem Mut, diese auch gegen Widerstände zu behaupten, nach der nötigen Fantasie und Eigenwilligkeit, die die Figuren dafür brauchen – und auch hier wieder nach der Rolle der Kunst. Die antiken Tragödien haben den unauflösbaren Konflikt zwischen privaten Leidenschaften und gesellschaftlichen Regeln zeitlos in dramatische Form gebracht. Mit Euripides‘ selten gespieltem Orestes bringt Niklaus Helbling ein Stück über Recht und Rache auf die Bühne und zeigt damit, dass von 408 vor Christus bis heute die wesentlichen Fragen dieselben geblieben sind. Und diese können Autoren auch mit den Mitteln der Komödie stellen: Ibrahim Amir hat 2015 ein Stück geschrieben über eine Mutter und ihren Sohn, der nach Syrien ausreisen will, anstatt sich in Deutschland auf seinen Schulabschluss vorzubereiten – K.D. Schmidt wird Stirb, bevor du stirbst inszenieren. Der englische Autor Duncan Macmillan kommt seinerseits dem dunklen Thema Depression mit einem hochkomischen Stück vielleicht am besten bei: All das Schöne wird als Deutschsprachige Erstaufführung an externen Spielorten zu sehen sein, in der Regie von Jana Vetten.

Gesellschaftliche Normen und private Leidenschaften bestimmen unser Leben – aber auch die Sehnsucht nach Transzendenz. Religion war und ist das große Thema des Menschseins. Hausregisseurin Sara Ostertag begibt sich zusammen mit der Autorin Katja Brunner auf die Spuren einer Frau, die als große Mystikern gilt und ihrer Zeit weit voraus war: Hildegard von Bingen.

tanzmainz

Im Tanz findet das Ringen des Individuums um Selbstbehauptung und Miteinander einen anderen, physischen Ausdruck. Das Ensemble von tanzmainz wird auch in der neuen Spielzeit wieder – angeleitet von sehr unterschiedlichen, internationalen und anspruchsvollen Choreografen – nach Bildern dafür suchen. Eléonore Valère Lachky, Cecilia Moiso und Adrienne Hód antworten mit der Produktion FAM auf die Vorgängerproduktion HOM und liefern die weibliche Sicht der Dinge. Und Guy Nader und Maria Campos sowie Alessandra Corti gehen in Magma der Idee nach, von welchen inneren und äußeren Kräften wir bestimmt werden – womit wir wieder beim Thema wären. Im Zentrum der tanzmainz-Spielzeit 2016/17 aber steht eine große spartenübergreifende Produktion: Mit Hochzeit von Koen Augustijnen und Rosalba Torres Guerrero wird auf der Bühne des Großen Hauses das Leben an sich gefeiert. Ein Fest, das mit so vielen Hoffnungen und Erwartungen angefüllt wird, soll stellvertretend stehen für die Widersprüchlichkeiten, Fantasien und Verrücktheiten unseres Lebens. Mit dabei sind die Mainzer Band Vibes und Schauspieler des Ensembles.

Außerdem ist die zweite Ausgabe des tanzmainz festival in Planung – in der Hoffnung auf viel Unterstützung, wollen wir in Mainz wieder eine solche Euphorie für den internationalen zeitgenössischen Tanz auslösen wie beim ersten Mal.

justmainz

Im jungen Staatstheater justmainz wird es in der kommenden Spielzeit um das ganz normale, manchmal so schwierige Leben gehen – dem es dennoch gilt, immer auch die komischen, die anrührenden Seiten abzugewinnen. Besonders gut gelingt das in Der Kleine und das Biest, einer sensiblen und liebevollen Auseinandersetzung mit der Geschichte einer Familie, in der sich die Eltern trennen – ab 5 Jahren. Und in der Oper kann mit den Mitteln der Musik den ganz jungen Zuschauern vermittelt werden, dass es vom Eigenen zum Fremden und von der Wirklichkeit zur Utopie ein gar nicht so weiter Weg ist, der sich, angetrieben von Neugier und Fantasie, schnell zurücklegen lässt: Sara Ostertag will in I can see you from the future diesen Weg gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen gehen. Auch tanzmainz wird in der kommenden Spielzeit wieder eine Produktion für junges Publikum erarbeiten: Der Choreograf Andreas Denk entwickelt unter dem Titel Hilfe! mit vier Tänzern ein Stück über Vertrauen und Freundschaft. Und schließlich wird als großes Familienstück Drei Haselnüsse für Aschenbrödel in einer Inszenierung von Nora Bussenius zu erleben sein.

Mit allen Mitteln der Kunst also geht es auf der Bühne auch in der Spielzeit 2016/17 um den Menschen: Darum, was ihn bestimmt, was ihn ausmacht, wer und was ihn beherrscht. Und darum, wie wir unser Zusammenleben miteinander gestalten. Das Theater mischt sich ein – mit seinem Erfahrungswissen, seinem steten Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen, seiner radikalen Subjektivität. Wir werden durch Theater nicht zu besseren Menschen. Aber wir bekommen den Impuls zum Zweifel angeboten, zur Möglichkeit, zwischen Schwarz und Weiß ein weniger eindeutiges Grau auszumachen, eine Fermate, die Zeit zum Überlegen gibt — und schließlich ist nichts unterhaltender als Denken …
Das Jahresheft mit allen Premieren und zahlreichen Wiederaufnahmen liegt ab dem 16. April aus und steht ab sofort auf der Homepage www.staatstheater-mainz.com.

Im Juli erscheint die justmainz Broschüre mit dem ausführlichen theaterpädagogischen Programm und den partizipativen Angeboten. Ebenfalls in den nächsten Wochen wird der umfangreiche Konzertspielplan für alle Altersstufen in einer eigenen Broschüre veröffentlich.

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