Wer an diesen Tagen am Staatstheater Mainz vorbei läuft, dem wird die viereckige Holzkiste ins Auge fallen, die auf dem Gutenbergplatz aufgestellt wurde. Die vierte Wand fehlt, so werden alle die neugierig vorbeilaufen herzlich eingeladen, die kleine Bühne zu betreten. Die leere Kiste bietet wenig kreative Vorlage, sondern fordert denjenigen im Innern auf sie mit Leben zu füllen. Sie ist für den Schauspieler in ihrem Innern also Begegnungsstätte mit sich selbst, den Zuschauern außerhalb und denen, die sich zu ihm gesellen. Der Übergang zwischen Schauspieler und Zuschauer ist fließend und die Verbindung zwischen beiden sehr eng. Im konventionellen Theater geht man von einer virtuellen Wand aus, die Schauspieler und Zuschauer trennt. Symbolisch wurde der Kiste auf dem Theaterplatz die vierte Wand entnommen. Die Aufhebung der virtuellen Wand ist das Zielvorhaben der Spielzeit 2014/2015 unter der neuen Leitung von Markus Müller.
Das Theater präsentiert sich aber 2014 nicht nur mit einer neuen Intendanz, auch das Logo erscheint in neuem Design: der fünfzackige eingekreiste Stern, steht mit seinem goldenen Schnitt, also der Gleichheit aller Einheiten für die Intention, alle Theaterbereiche Tanz, Oper, Schauspiel und Musik gleichberechtigt zu fördern und zusammen zu bringen. Eröffnet wird die Spielzeit mit der Sparten übergreifenden Produktion von Henry Purcells „The Fairy Queen“ nach William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, in der Regie des norwegischen Choreographen Jo Strømgren. Die Oper eröffnet mit Simplicius Simplicissmus nach Grimmelshausen, inszeniert von Hausregisseurin Elisabeth Stöppler. Es folgen Meisterwerke wie „Der Barbier von Sevilla“, „Tosca“ und Richard Wagners „Die Meistersänger von Nürnberg“. Mit einigen Luftpolstern im Spielplan, will sich das Theater die Möglichkeit vorbehalten, weitere Opernaufführungen aufzunehmen, wenn die Nachfrage besteht.
In der neuen Reihe Hörtheater wird Regisseur Anselm Dalferth gemeinsam mit den Zuhörern das Theater an den unterschiedlichsten Orten neu vermessen. Es wird darum gehen auszuloten, was den Klang ausmacht, wenn er in uns ankommt. Mit Soundinstallationen wird dieses Vorhaben umgesetzt. Als thematische Klammer des Spielplans spricht Markus Müller vor allem von der „Frage danach, wie wir die Welt bestimmen, in der wir leben – und wie wir von ihr bestimmt werden.“ In der Sparte Schauspiel öffnet Hausregisseur Christoph-Gockel die thematisch regionale Klammer mit Zuckmayers „Schinderhannes„, die Dirk Lauckes mit seiner Dramatisierung von Anna Seghers „Kopflohn“ gen Ende der Spielzeit schließen wird. Gerade das Schauspieltheater wird sich also mit regionalem Erbe beschäftigen. Literarisch und lokal geht es weiter mit dem Projekt „In Arbeit: Neustadt“ von Regisseurin Sara Ostertag. Gemeinsam mit einem Team aus Schauspielern, Musikern und Klangdesignern wird sich Ostertag auf den Weg in die Mainzer Neustadt machen und auf einer Art Entdeckungsreise versuchen, das Leben, Arbeiten und die Stimmung einzufangen und künstlerisch widerzuspiegeln. Diese Authentizität der Theaterarbeit, die sich an Gegenwartsthemen orientiert, erwartet uns Zuschauer auch wieder beim Tanztheater, das unter dem neuen Hauschoreographen Guy Weizmann. Mit der Koproduktion „My private Odyssey“ von tanzmainz und dem Club Guy & Roni feiert Guy Weizman als neuer Choreograph des Balletts und Tanztheaters auf der Staatstheater Bühne am 15. Oktober 2014 Premiere. Auch Weizmann spricht wertschätzend von der ausgeprägten Interaktion zwischen den drei Theaterformen in Mainz. Mit „Plafona now“ in der Choreographie von Sharon Eyal und Gai Behar wird nicht nur die Nominierung von 2013 für den deutschen Theaterpreis FAUST zu sehen sein, die Produktion wird auch das Motiv der Spielzeit nachdrücklich widerspiegeln, in dem es ein Individuum zeigt, dass sich aus einer roboterhaften Menge befreit und selbstständig wird. Mit dem tanzmainz Festival wird sich die Sparte Tanz im Sommer 2015 auf allen Bühnen des Staatstheaters und an vielen Orten der Stadt mit Aufführungen, Workshops und Partys präsentieren. Mit dem Weggang von Theaterpädagoge Mirko Schombert erfährt auch das Kindertheater eine neue Aufstellung aber nicht weniger Beachtung. Ganz im Gegenteil, wird gerade dem jungen Theater bzw. dem Theater für junge Leute eine besondere Fürsorge zukommen. Justmainz hält 2014/2015 für die jungen Zuschauer und Familien insgesamt neun Produktionen bereit, die sich sowohl aus bewährter Theaterliteratur als auch aus neueren Stoffen und Erstaufführungen zusammensetzen, darunter die „Die Schneekönigin“, „Als mein Vater ein Busch wurde“, „(MUCH/less)“ im Musiktheater und „Prinz Hamed und Prinzessin Sharifa“ im Tanztheater.
Das Staatstheater Mainz bemüht sich also auch in diesem Jahr mit neuer Besetzung vor und hinter den Kulissen wieder um eine antikonventionelle, gegenwartsorientierte Theaterarbeit, die Altbewährtes mit Modernität verbindet, Dynamik erzeugt und die Schaffensprozesse im Theater antreibt.