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So wohnt Mainz: Leben auf der Rheininsel Rettbergsaue

Im herbstlichen Sonnenschein schippern wir auf die Rettbergsaue. Der 5-PS-Motor tackert gemächlich. Vor uns kreuzt ein Schlepper und wirft Wellen. Das Boot schaukelt heftig und bleibt doch auf Kurs.

Vom Mombacher Ufer gelangt man auf die Insel oder vom Bootssteg in Wiesbaden Biebrich. Hier legt auch die Tamara ab, die offizielle Personenfähre, mit der man die Rettbergsaue erreichen kann. Die Tamara verkehrt jedoch nur in den Sommermonaten Ende April bis Mitte September. Nun kommen nur noch Bewohner auf die Insel

Die Rettbergsaue ist eine Rheininsel, 3 km lang und bis zu 400 m breit. Sie gehört zu den größten Inseln im Rhein. 90 Prozent der Insel ist Naturschutzgebiet. Die Restfläche steht zur Naherholung zur Verfügung: Weiße Sandstrände bieten sich besonders für Eltern mit Kindern als Ausflugsziel an. Auch Campingfreunde finden hier ideale Voraussetzungen.

Was kaum jemand weiß: Die Rettbergsaue ist auch bewohnt. Der nassauische Oberleutnant und Adjutant des Herzogs, Carl von Rettberg, erwarb im 17. Jahrhundert die Insel, um dort eine Vieh- und Pferdezucht zu betreiben. Die ehemaligen Stallungen sind heute schön hergerichtete Backstein- und Fachwerkhäuser, in denen 12 Menschen abgeschottet vom Rest der Welt leben und wohnen. Ein schmaler Pfad führt vom Strand zum Gehöft. Hier kommen nur die Bewohner herein. Ruhe und Natur pur, wie auf einem anderen Planeten.

Um einen begrünten, von Säulen gerahmten Innenhof stehen die Häuser und eine alte Scheune, die bis vor kurzem noch als Kunstgalerie diente. Vor zwanzig Jahren wohnte hier eine Art Kommune. Heute sind es ein paar Familien und unsere Gastgeberin Angelika Stehle, 34 Jahre jung, mit ihrer Familie. Ihr Haus war früher ein Schweinestall, jetzt ist es ein feiner Fachwerkbau. Vor zweieinhalb Jahren hat sich die kleine Familie entschieden, auf die Insel zu ziehen. Über eine Zeitungsannonce wurden sie auf das Haus aufmerksam: 120 qm, drei Zimmer, Wohnküche, Bad, mitten unter Vögeln und Wildschweinen.

Angelika ist gelernte Fotografin und seit 2003 selbstständig (www.angelikastehle.com). Drei Mal die Woche fährt sie mit ihrem Boot ans Biebricher Ufer und von dort in ihr Atelier in die Rheinallee 40 in Mainz. Ihre Kunden kommen hauptsächlich aus der Unternehmensbranche: Mitarbeitermagazine, Porträts, Website-Bilder und mehr bietet sie an und hat sich mittlerweile in der Umgebung einen guten Namen erarbeitet. Angelikas Freund macht in Bio-Eis (www.daseis.eu), erhältlich unter anderem im natürlich-Naturkostladen in Mainz.

Gemeinsam haben sie die Innenräume verputzt und mehrere Sachen selbst angefertigt: eine Garderobe aus Treibholz, ein riesiges Bett, entstanden aus einem ehemaligen Wandregal mit speziell angefertigter Matratze, oder die großflächigen Arbeitsplatten in der Küche. Originell: Im Badregal stehen sämtliche Toilettenpapierrollen, die sich seit ihrem Einzug hier angesammelt haben. „Wenn das Regal voll ist, dann ziehen wir aus“, lacht Angelika. Die Rollen sind das einzige Sammlerobjekt im Haus. „Alles, was ich zwei Jahre nicht angefasst habe, kommt weg. Ich hänge nicht an diesen materiellen Dingen.“ Daher finden sich auch keine Bilder an den Wänden und die Einrichtung wirkt spartanisch und reduziert.

Übervoll und reichhaltig dagegen die Natur. Die Mitbewohner bauen vieles im Garten an und führen daher ein relativ autarkes Leben. Man muss schon eine spezielle Art Mensch sein, um sich hier wohl zu fühlen. Liebe zur Natur, Ruhe und ab und an etwas Einsamkeit sind unabdingbar. Bestenfalls entdeckt man ungeahnte Talente in der andwirtschaft.

Das Ambiente wirkt immer noch wie eine aus der Welt geratene Kommune, die ein Leben nach eigenen Regeln führt. Wir sind fasziniert von der Ruhe und Natur, als wir das Anwesen verlassen. Die letzten Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne flackern auf den Wellentälern des Rheins, als wir wieder übersetzen. Die Rettbergsaue: eine, aber nicht die einzige bewohnte Insel im Rhein. Zumindest aber eine der schönsten.

www.tamara.rettbergsau.de

Text: David Gutsche
Fotos: Frauke Bönsch

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