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So wohnt Mainz – Am Ufer auf vier Rädern

von Ida Schelenz und Domenic Driessen (Fotos):

Fünf Quadratmeter Singlewohnung mit Rheinblick: Anita Westrup braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Seit September tourt sie in ihrem Mitsubishi L030-Wohnmobil „Knudsen“ durch Deutschland. Im Moment steht es am Rheinufer in Mainz-Kastel.

„Wenn ich losfahre, muss alles gut verstaut sein“, erzählt Anita während sie ihr Sofa umklappt und in einen Esstisch verwandelt, „sonst fliegt mir hier alles um die Ohren.“ Vier bis fünf Leute haben Platz in ihrer Kajüte. Und nicht nur deshalb fühlt man sich im Inneren von Knudsen (ein Wohnmobil ohne Namen bringt schließlich Unglück) wie auf einem kleinen Flussdampfer. „Jedes Mal wenn ein Auto vorbeifährt, schwankt hier alles mit, aber dann fühl ich mich wie zu Hause. Ich komme aus dem Norden. Mit Wind und Wasser geht’s mir gut.“

Der Norden, das ist Papenburg in Niedersachsen, etwa 350 Kilometer von Mainz entfernt. Seit Herbst 2016 ist Anita Volontärin beim SWR. Alle ein bis zwei Monate muss sie dafür den Ort wechseln, von Stuttgart über Baden- Baden nach Mainz. „Ich wusste, dass diese Zeit stressig werden würde. Deswegen habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, nicht bei jedem Standortwechsel eine neue Wohnung anmieten zu müssen.“

Improvisation gefragt

Die Entscheidung war nicht einfach und mit Umstellung und Verzicht verbunden. Bis der Geruch der Vorbesitzer aus- und ein Gefühl von Wohnlichkeit eingezogen war, dauerte es eine Weile. „Mein Schwager hat mir geholfen, das WoMo auf Vordermann zu bringen“. PVC für den Boden, weiße Farbe im Innenraum, eine selbstgebaute Toilette aus einem OBI-Eimer und einem Kinder-Klositz. Statt Chemie verwendet sie ökologisch abbaubares Kleintierstreu. So wird das Geschäft zum geruchsneutralen Dünger, den sie alle paar Tage im Feld ausleert.

Außerdem an Bord: eine Elektro- und Gasheizung für kalte Nächte, ein Klapprad und Campinggeschirr aus Bambus. „Ich musste ganz genau abwägen, was mitkommen darf und was nicht. Tassen kann ich unterwegs zum Beispiel gar nicht gebrauchen, viel zu schwer.“ Auch auf einen Wasseranschluss muss Anita verzichten. Zum Kochen und Zähneputzen kauft sie Kanister an der Tankstelle. Spülen, Waschen und Duschen wird meistens improvisiert – auf der Arbeit, im Schwimmbad oder im Café um die Ecke.

Reduktion auf das Wesentliche

Der Umzug auf vier Räder war auch ein Bruch mit Anitas altem Leben. In Paris, wo sie ihren Master gemacht hatte, lebte sie mit ihrem damaligen Freund in einer schicken Innenstadt-Wohnung. „Es war ein geiles Leben aber ich habe gemerkt, dass es mir in den Füßen juckt.“ Da kamen die Trennung und das Volo gerade recht: ein neues Abenteuer, eine Chance, unterwegs zu sein und etwas zu erleben. „Man braucht so wenig“, stellt die 27-Jährige kopfschüttelnd fest. Netflix-Abende und Tiefkühl-Pizza, Strom, Dusche und eine feste Adresse – Erinnerungen aus ihrem alten Leben.

Unterhaltung geht auch anders: „Auf der Brücke ist immer viel los und wenn sich im Rhein die Lichter spiegeln, könnte ich ewig zuschauen.“ Ob man da nicht einsam wird, fragen sie viele. „Wie denn?“, entgegnet Anita, „Angler, Jogger, Politessen, ich habe immer Nachbarn um mich herum.“ Auch Besuch empfängt sie gerne, obwohl sie da oft die gleichen Fragen beantworten muss: Ja, meine Toilette ist ein Eimer. Nein, ich habe keine Angst vor Einbrechern. Ja, ich wohne ohne WLAN.

Tägliche Herausforderung

So romantisch das Nomadenleben auch sein kann, vor allem im Winter wurde sie oft herausgefordert: eingefrorene Lebensmittel, kalte Nächte, keine warme Dusche. Aber Not macht erfinderisch: „Meine Lieblings-Begegnung waren meine Strom-Eltern“, erinnert sich Anita. „Es war November und ich war gerade in Stuttgart. In meinem Wohnmobil waren es höchstens acht Grad und ich wusste, dass die Nacht ohne Heizung knackig werden würde. Also brauchte ich Strom. Ich klingelte mich durch die Nachbarschaft und hinter der vierten Tür traf ich Peter und Inge.“ Beide sind leidenschaftliche Camper und seit 30 Jahren in der Welt unterwegs Ohne zu zögern schlüpften sie in ihre Crocs und verlegten eine Leitung zum Wohnmobil.

„Das war der Hammer. Zum ersten Mal seit zwei Monaten hatte ich Strom. Ich hab geschrien vor Freude.“ Auch in Mainz hat Anita viele Bekanntschaften gemacht und neue Freunde gefunden. Doch schon bald muss sie weiterziehen. Zurück nach Stuttgart geht es dann und zum Auslandseinsatz nach Paris. „Mainz ist definitiv meine bisherige Lieblingsstation. Der Platz am Rhein ist ein Traum. Am liebsten würde ich noch viel länger bleiben“, seufzt sie. Irgendwann, wenn das Volo vorbei ist, darf es dann auch mal wieder eine Wohnung sein. Bis dahin gibt es Anitas Reise auf: www.lavagablonde.com.