Niemand kennt seinen Namen, es ist weder bekannt, woher er genau kommt, noch, welche Ausbildung er genossen hat – die Rede ist vom so genannten „Naumburger Meister“, der im Mittelalter zahlreiche Skulpturen im Mainzer Dom und in Naumburg den Westchor
und den Westlettner geschaffen hat. Jetzt hat Diana Ecker (Foto) im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum eine Skulptur vorgestellt, die mit großer Wahrscheinlichkeit ein Abbild von ihm selbst ist.
In gebückter Haltung steht der dargestellte Mann erhöht auf einer Säule und stützt mit seinem Körper den über ihm befindlichen Triumphbogen des romanischen Ostchors ab. Die Last ist ihm anzusehen, er trägt er eine große Bürde. Diana Ecker ist überzeugt, dass es sich bei der dargestellten Skulptur um den so genannten „Naumburger Meister“ handelt. Es sind zahlreiche Indizien, die sie zu diesem Schluss kommen lassen.
Ecker ist Konservatorin für kirchliche Denkmalpflege im Bistum Mainz. Im Rahmen ihrer Dissertation, die nächstes Jahr erscheinen soll, hat sie unter anderem die Skulptur untersucht.
Die Figur stand früher neben dem Heilig-Kreuz-Altar vor dem Ostchor des Mainzer Domes, und wandte ihr Gesicht den Laien zu, die dort die Messe feierten. Obwohl die Namen von mittelalterlichen Baumeistern meist nicht überliefert worden sind, waren sie ihren damaligen
Zeitgenossen durchaus bekannt. „Der Naumburger Meister stand vor der Herausforderung, gleichzeitig selbstbewusst und doch demütig aufzutreten. Denn er war ja kein Adliger oder Bischof, sondern gehörte der Zunft der Handwerker und damit einem niederen
Stand an. Gleichzeitig durfte er darauf hoffen, aufgrund seines Beitrags zum Dombau, das heißt zu einem gottgefälligen Werk, einen Platz im Himmel für sich gewinnen zu können“, erklärt Ecker.
Deshalb ist er in einer gebeugten Haltung dargestellt, die an eine Atlas-Darstellung aus der Antike erinnert. Er trägt die Last (und die Verantwortung) des Kirchenbaus auf seinen Schultern. Gleichzeitig kann er diese Last auch stemmen, wie die leicht nach oben verschobene Konsole über seinem Kopf zeigt. Seine Kleidung ist bis in die Textur hinein dargestellt: Über einem Leinenkleid trägt er einen Wollmantel, dazu feine Leder-Schuhe. Kein typisches Aussehen für Arbeiter auf der Dom-Baustelle der damaligen Zeit, sondern eines leitenden Bau- oder Werkmeisters entsprechend.
Ihm direkt gegenüber befand sich eine Säulenstütze mit einem filigran gearbeiteten Blattkapitell im damals modernsten Stil der französischen Gotik. In der Anordnung stehen sich also der Meister und sein spektakuläres Werk gegenüber. Zudem stützt seine Figur den Ostchor des Doms. Da die damalige romanische Krypta im 13. Jahrhundert abgebrochen wurde, bedurfte es großer Baukunst, das Bauwerk statisch zu sichern. „Bewusst setzte der Baumeister sein Bildnis an die statisch relevante Stelle und brachte damit unmissverständlich seine bedeutende Stellung und seine Leistung zum Ausdruck“, sagt Diana Ecker.
„Wenn mit dieser handwerklich und künstlerisch virtuosen Figur ein Selbstbildnis des konkret an diesem Ort tätigen Baumeisters vorliegt, und dieser identisch ist mit jenem anschließend in Naumburg tätigen Bildhauer beziehungsweise Architekten, dann liegt der Schluss nahe, dass es sich um ein Bildnis des Naumburger Meisters handelt“, so ihre These.
(Foto: hbz/Stefan Sämmer)