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Portrait: Die Seherin von Gonsenheim

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Text Julius Braun  Foto Katharina Dubno

Dietlind Herlert-Schaaf sagt mit Lenormand-Karten die Zukunft voraus. Als Medium ist sie weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

In Mainz-Gonsenheim, in einem Reihenhaus in der Hugo-Eckener-Straße 33, lebt eine Frau mit scheinbar übernatürlichen Fähigkeiten. Dietlind Herlert-Schaaf kann in die Zukunft blicken. Das behauptet sie zumindest selbst. Was sie dafür braucht, sind Lenormand-Wahrsagekarten und ein fragendes Gegenüber. „Meine Prognosen stimmen zu 80 bis 90 Prozent“, sagt sie.

 

Anzapfen des Unterbewusstseins

Seit über 38 Jahren arbeitet die Fünfundsiebzigjährige als Medium. Sie trägt rote Haare mit pinken Strähnen, einen Blumenschal mit violettem Top und einen Ring mit Herzsymbol. Und sie sieht nicht nur die Zukunft einzelner Personen: Auch die politischen Entwicklungen in Mainz kann sie voraussagen. Der Stadt Mainz soll es demnach zukünftig gut ergehen. Der Arbeitsraum der Wahrsagerin liegt im ersten Stock des Reihenhauses. Aus der Ecke starrt eine ausgestopfte Eule. In einer Glasvitrine stapeln sich Porzellanpuppen, Tier- und Engelsfiguren sowie Kerzen. „Alles Geschenke von meinen Kunden“, sagt Herlert-Schaaf. „Aber ich bringe es nicht übers Herz sie wegzuräumen.“ Ich bin gekommen, um von ihr mehr über das Wahrsagen zu erfahren. Neben meinen Füßen schnarcht ihr alter Pudel namens Bugsy. Die Karten muss ich selbst mischen und mit der linken Hand drei Stapel formen. „Dabei wird das Unterbewusstsein angezapft. Und das Unterbewusstsein kennt Ihr Leben.“

Bestseller-Medium

Herlert-Schaaf sieht sich als eine Wiedergeburt von Marie Anne Lenormand, eine der bekanntesten Wahrsagerinnen der neueren Zeit. „Meine Fähigkeiten sind angeboren.“ Das Wahrsagen ist bei ihr so etwas wie Familientradition. Ihre Großtante legte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs Karten. Ihre Tochter ist eine bekannte Handleserin. Anfangs deutet Herlert-Schaaf nur ihren Freunden die Zukunft. Doch die finanzielle Not macht daraus einen Nebenverdienst. „Ich hatte kein Geld mehr. Ohne das Wahrsagen hätte ich mein Haus verkaufen müssen“, erzählt die gelernte Stenografin. Anfang der 90er Jahre beginnt ihre Rundfunkkarriere – unter anderem mit der monatlichen Sendung „Die Seherin von Mainz Gonsenheim“ beim Hessischen Rundfunk. Sie schreibt drei Bücher über das Kartenlegen. Mit „Mystisches Kartenlegen“ landet sie einen Bestseller. Zuletzt besuchte sie 3sat-Moderatorin Katrin Bauerfeind in der Hugo-Eckener-Straße. Heute nimmt die Wahrsagerin 75 Euro pro Sitzung. „Man darf keinen Reichtum daraus schlagen“, sagt sie. „Sonst verliert man die Begabung.“

Mache keinen Humbug

Jede der 36 liebevoll gestalteten Wahrsagekarten, die Herlert-Schaaf aufdeckt, hat eine eigene Bedeutung. Doch den wirklichen Sinn erkenne man in der Reihenfolge der Karten. Der Pudel unter mir schnarcht noch immer. „Das Schicksal ist vorprogrammiert“, sagt die Seherin. „Es gibt auch viele Betrüger unter den Kartenlegern“, räumt sie ein. Die erkenne man daran, dass sie ihre Kunden vor einer Sitzung geschickt ausfragen. „Ich mache ja keinen Humbug. Ich mache mediale Lebensberatung.“ Dann legt sie meine Vergangenheit, ohne mich vorher danach zu befragen. Und tatsächlich liegt sie erstaunlich oft richtig.

Ganz normal?

Hellsehen, Channeling, Auralesen und Engelsheilung – Esoterische Praktiken sind immer beliebter. Laut einer Umfrage halten etwa 40 Prozent der Deutschen etwas von Astrologie oder New Age. Jeder Vierte ist aufgeschlossen gegenüber Wunderund Geistheilern: alles aktuelle Daten aus der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus). „Esoterische Vorstellungen gelten zunehmend als normal“, sagte der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack in einem Interview mit „Die Zeit“. Okkultismusforscherin Sabine Doering- Manteuffel sieht darin sogar „eine stille spirituelle Revolution“, die unsere Weltbilder nachhaltig verändert. „Die Leute kommen zu mir, wenn sie ein Problem haben“, sagt die Mainzer Seherin Dietlind Herlert- Schaaf. Für sie ist die Wahrsagerei sowieso ganz normal. Genauso wie für ihre Kunden. Die seien zwischen 14 und 90 Jahre alt und kämen aus allen Gesellschaftsschichten. Darunter Ärzte und Politiker. Zum Schluss verrät sie mir noch, was den Mainzern in Zukunft so bevorsteht. Für 2015 sieht sie große Neuerungen, die Glück bringen werden. Und auch für die neue Regierung erkennt sie „Ansehen und Anerkennung“. Die „Schranken“ und Hindernisse würden sich lösen. Und: „Die Dinge tragen bald Früchte und entwickeln sich.“ Na, das will man doch hören!