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Oktober-Kolumne: Dr. Treznok macht sich gern unbeliebt


Es geschah beim Zitadellenfest, am Tag des Denkmals: An einem Informationsstand wurde ich gefragt, wie ich zum Denkmalschutz stünde und ich antwortete spontan, dass mir das völlig egal sei. Das ist meine ehrliche Meinung. Ich liebe moderne Gebäude, die barrierefrei, ökonomisch beheizbar und praktisch sind. Von mir aus kann man die Zitadelle abreißen und etwas Vernünftiges hin bauen. Schnell kann ich mich unbeliebt machen, wenn ich nicht die richtige Gruppenmeinung vertrete. Von Naturliebhabern ernte ich regelmäßig missbilligende Blicke wenn ich sage, dass ich ungern an Orte gehe, die ich nicht auf planierten Wegen erreiche. Natur ist ja schön und gut, solange sie außerhalb der Stadtgrenzen bleibt und mich in Ruhe lässt. Der Volkspark reicht mir vollkommen, mehr Natur brauche ich nicht.

Dass mich das angebliche Aussterben der Orang-Utans kalt lässt, hat schon häufiger Tierliebhaber erzürnt. Aber ich kann einfach keine Betroffenheit entwickeln. Aktuell leiden mehrere Menschen in meinem großen Bekanntenkreis an Krebs, Aids, Alkoholismus oder anderen gefährlichen Krankheiten. Deren mögliches Sterben finde ich viel beunruhigender, und Orang-Utans befinden sich nicht in meinem Bekanntenkreis. Außerdem hatten die Orang-Utans im Frankfurter Zoo erst kürzlich Nachwuchs, sodass von Aussterben keine Rede sein kann.

Mit meiner Haltung zum Alkohol kann ich schnell die fröhliche Stimmung in einer geselligen Runde von Weinliebhabern ruinieren. Alkohol riecht ekelhaft, schmeckt scheußlich und macht gaga im Kopf. Die meisten Gewaltverbrechen werden nachweislich unter dem Einfluss von Alkohol begangen und die Unfallgefahr ist immens erhöht. Meiner Meinung nach braucht das kein Mensch, und eine alkoholfreie Gesellschaft wäre aus meiner Sicht wundervoll. Aber auf mich hört ja keiner. Trotzdem schauen mich alle an, als hätte ich eben die Prohibition eingeläutet.

Als ich neulich in einer linken Aktivistengruppe äußerte, dass ich Julia Klöckner von der CDU gut finde, sah ich sofort das Entsetzen in den Gesichtern meiner Genossen. Meiner Meinung nach zeigt Julia Klöckner von allen rheinland-pfälzischen Parteipolitikern die klarste Haltung zu Fragen kritischer Bioethik wie Präimplantationsdiagnostik, eugenische Selektion oder Euthanasie, und zeichnet sich durch überzeugende Fachkompetenz in diesem Themenbereich aus. Als Anarchist kann mir ihre Parteizugehörigkeit ja sowieso egal sein.

Endgültig unbeliebt mache ich mich mit meiner Begeisterung für Benedikt XVI, den Wir-Sind-Papst-Papst. Seit seinem Ausspruch: „Homosexuelle sind von Gott geliebte Menschen und haben ein bedingungsloses Lebensrecht!“ mag ich den Mann. Nachdem ich im vergangenen Jahr mitbekommen habe, dass man in Uganda gegen den Papst protestiert, weil er so schwulenfreundlich ist und die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle verhindern will, habe ich mich aus Solidarität zu den Schwulen und Lesben in Uganda auf die Seite des Herrn Ratzinger geschlagen. Als nicht-katholischer schwuler antifaschistischer Anarchosyndikalist bin ich dann aber auch den meisten Katholiken erstmal suspekt.

Eine eigene Meinung zu haben ist oft gar nicht so einfach. Man muss sich der dominierenden Gruppenmeinung unterwerfen, will man anerkannt werden und mitreden dürfen. Aber ich habe genug gute Freunde, die mich annehmen wie ich bin, und das Mitreden lasse ich mir sowieso von niemandem verbieten, also kann ich mir eine eigene Meinung durchaus erlauben. Sollte ich den Herrn vom Denkmalschutz-Verein mit meiner Äußerung bezüglich der Zitadelle verärgert haben, so tut mir das leid, aber ich kann nicht anders. Und sollte ich die sensor-Leser mit dieser Kolumne gegen mich aufgebracht haben, kann ich auch das nicht ändern. Wenn mich nun alle nicht mehr mögen, dann ist das nicht mein Problem.

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