von Monika Nellessen (aus der Mainzer Allgemeinen Zeitung)
„Opa, warum trägst du immer weiße Hemden?“ fragte Benjamin (3), der Enkel von Jens Beutel, neulich. Bald werde der Großvater auch farbige Hemden anziehen, gab der scheidende Oberbürgermeister bei seiner offiziellen Verabschiedung gestern zu Protokoll. Es war zum Schluss dann doch ein sehr emotionaler Ausklang im Frankfurter Hof. Mit Beutels Vize, Bürgermeister Günter Beck (Grüne) als Moderator, der mit belegter Stimme dem Stadtoberhaupt die Bronzestatue „Einhorn“ von Liesel Metten überreichte. Mit dem musikalischen Überraschungsgast Margit Sponheimer, die „Was gestern war, das kommt nicht wieder“, sang. Mit 450 Ehrengästen, darunter zahlreiche Stadtoberhäupter und sämtliche Mainzer Honoratioren, die sich parteiübergreifend zum Applaus für Beutel erhoben. Und mit einer bemerkenswerten Rede des Mainzer Bischofs Kardinal Karl Lehmann. (Foto: Sascha Kopp)
Untadelige Amts- und Lebensführung
Lehmanns „Überlegungen zum Amt in der Demokratie“ nahmen in der Stadt ihren Ausgang, der griechischen Polis als Ursprung der Demokratie. „Gibt es wegen der Balance von Nähe und Distanz hier besondere Chancen – und auch Gefahren?“ fragte Lehmann rhetorisch. Und: „Hätte dann der erste Bürger der Stadt, der Oberbürgermeister, das schönste Amt?“ Nur eingeschränkt, wie sich aus den Ausführungen des Bischofs ergab. Denn einerseits brauche der Amtsträger persönliche Autorität, die sich nicht zuletzt aus einer untadeligen Amts- und Lebensführung speise. Zugleich müssten aber die Bürger dem Amtsträger Anerkennung und Respekt zollen. Daran hapere es heutzutage, so Lehmann. Indem die „Amtspflicht“ sich im öffentlichen Bewusstsein darauf verenge, dass der Amtsträger keine wirtschaftlichen Vorteile aus der politischen Macht ziehen dürfe, sei die Regie möglicher Skandale vorgezeichnet.
„Der Mächtige, der sich schwach gezeigt hat, fällt der Meute zum Opfer“, zitierte der Kardinal den Staatsrechtler Josef Isensee. „Ich denke, wir können dies in unserer Republik, auch in Mainz und gewiss auch in unseren Kirchen bis in die jüngste Zeit spüren.“ Dabei gelte „es immer wieder die Balance zu finden zwischen der notwendigen Kritik, auf der anderen Seite aber auch Achtung und Vertrauen“, schloss der Mainzer Ehrenbürger und dankte Beutel ausdrücklich für dessen „hohen Einsatz zugunsten des Gemeinwohls“.
Beutel: Verwaltung wird zu oft schlecht geredet
Dem schloss sich SPD-Fraktionschef Oliver Sucher an, der Beutels politischen Lebensweg einschließlich der 14 Jahre als erster direkt gewählter Oberbürgermeister nachzeichnete. Ein erfolgreicher Vermittler sei Beutel gewesen, einer, der stets die Verantwortung für Mainz vor Parteiinteressen stellte. Von der Sanierung des Großen Hauses bis zum neuen Bürgerservice im Stadthaus trügen viele Projekte der Stadtentwicklung Beutels Handschrift. Auch die Gründe für Beutels Rücktritt sparte Sucher nicht aus. „Die aufkommende Kritik am Ende der Amtszeit hatte, wenn man sie genau betrachtet, nichts mit seinem politischen Wirken zu tun.“ Eine negative Beurteilung nur auf Grund einiger Fehler habe niemand, Beutel erst recht nicht, verdient. Gegenüber Suchers persönlicher Rede, die Respekt, Dank und Ehrlichkeit vereinte, wirkte die Ansprache von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), der Beutel einst von einer OB-Kandidatur in Mainz überzeugt hatte, auffallend distanziert, weil sie fast ausschließlich um die Bedeutung der Landeshauptstadt und nicht um das scheidende Stadtoberhaupt kreiste.
Beutel sieht Zeitenwende in Kommunalpolitik
Beutel selbst nahm nur kurz auf die „öffentliche Kritik“ Bezug, die nicht nur er, sondern auch seine Familie aushalten mussten. Dennoch seien es „gute Jahre“ gewesen, die er als OB gestalten konnte. Er verabschiedete sich mit einem entschiedenen Werben für „seine“ Verwaltung – sie werde in der Öffentlichkeit viel zu oft schlecht geredet. Sein Blick in die Zukunft enthielt auch nachdenkliche Elemente. Aus der „Bürgerdemokratie“, für die er sich immer eingesetzt habe, drohe ein „Postulat der Partikularinteressen“ zu werden. Vor allem aber stehe die Stadt Mainz vor einem „Zeitenwechsel“.
Beutel wörtlich: „Hinter den bekannten Stichworten Transparenz und Kontrolle verbirgt sich die Erkenntnis der politischen Führung dieser Stadt, dass der Weg zum Erhalt der Gestaltungsfähigkeit dieser Kommunalpolitik eben nicht alle Mittel heiligt.“ Künftig werde „die Politik ihren Handlungsspielraum nicht länger am Wünschenswerten“, sondern „noch stärker an nüchternen Zahlen ausrichten“, meinte Beutel. Manche schmunzelten da über den Abschiedstitel der PCK-Schüler, die der Feier einen unbeschwerten Rahmen verliehen. Es war „Sweet Dreams“.