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November-Kolumne: Dr. Treznok ist für Religionsfreiheit


An einem schönen Oktobersamstag wollte ich ein paar Besorgungen in der Stadt erledigen, als ich am Höfchen, gegenüber des Theaters, einen guten Freund traf, der zusammen mit anderen Genossen ein riesiges Transparent der Antifaschistischen Aktion hochhielt. Ich fragte, wogegen hier protestiert wird, und mein Freund zeigte auf einen kleinen Infostand vor dem Theater, so klein, dass ich ihn übersehen hätte. „Das sind Rassisten“, klärte mich der Freund auf.
Sofort ging ich hinüber und holte mir ein Flugblatt der vermeintlichen Rassisten. Eine dubiose Gruppe von Islamhassern warnte vor der Islamisierung Europas und forderte schärfere Einreisegesetze. Schnell solidarisierte ich mich mit den Antifas und ehe ich mich versah, hielt ich ein Ende ihres langen Antifa-Transparentes.

Nach ein paar Minuten kam ein älterer Herr von der Gegenseite und wollte mich in eine Diskussion verwickeln, was ich jedoch ablehnte. Dann begann er, auf einen etwa 20-jährigen Aktivisten einzureden, der neben mir stand. Der Vertreter der Islamhasser betonte, dass alle Religionen faschistisch seien, und der Antifa-Bengel sagte daraufhin: „Wir sind gegen jede Religion.“ Sie schienen nicht zu bemerken, dass sie inhaltlich die gleiche Position vertraten, und gifteten sich weiter an. Ich aber musste sofort an eine Freundin denken, die gläubige Jüdin ist und von Leuten dieser Denkweise vor 70 Jahren vergast worden wäre. „Halt!“, schrie ich, „wir sind nicht gegen Religion, sondern für Religionsfreiheit.“

Als gläubiger Christ erwarte ich Respekt und Toleranz für meine Haltung. Ich habe einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Dazu gehören Christen, Juden, Muslime, Pantheisten, Polytheisten, Buddhisten, Atheisten, Hare Krishnas und viele, denen das alles ganz egal ist. Manche glauben an morphogenetische Felder oder an die Orgon-Theorien von Wilhelm Reich. Esoteriker wollen in den Flow kommen und sich an das Universalbewusstsein andocken. All das sind unterschiedliche Glaubensvorstellungen – der Atheismus ist schließlich auch ein Glaube, nämlich der Glaube an die Nicht-Existenz Gottes, die sich weder beweisen noch widerlegen lässt. Im Grundgesetz ist die Religions- und Glaubensfreiheit ein wesentlicher Bestandteil, und das zu Recht. Schließlich sollen in Deutschland keine Juden mehr vergast werden, und wir wollen eine Gesellschaft der Toleranz und Akzeptanz verwirklichen, in der jeder seine weltanschaulichen Vorstellungen leben kann, vorausgesetzt er verstößt damit nicht gegen gültiges Recht.

Vor ein paar Tagen hatte ich ein Gespräch mit einer jungen Frau, der ich mich als gläubiger Christ zu erkennen gab, während sie sich als Atheistin bezeichnete. „Ich habe Probleme mit der Kirche“, meinte sie, was mich verwirrte. Als Nicht-Christin hat sie doch gar keinen Bezug zur Kirche, also warum hat sie damit ein Problem? Ich bin Nicht-Jude, habe aber kein Problem mit einer Synagoge, und wenn meine Freundin Lucy in der Fußgängerzone sitzt, um mit ihren Freunden „Hare Krishna“ zu singen, so ist das ihr gutes Recht. Auch wenn mir dieser Glaubensansatz fremd ist, habe ich keine Probleme damit, denn ich fühle mich in meinem Glauben sicher und kann die anderen so lassen wie sie sind. Selbstverständlich wird auch meine Toleranz oft auf eine harte Probe gestellt, wenn ich es mit reaktionären Katholiken, schwulenhassenden Muslimen oder rassenhygienischen Atheisten zu tun bekomme. Aber gerade deshalb ist vielleicht der interreligiöse Dialog wichtig, um sich in den Positionen anzunähern und auszutauschen. Wenn junge Antifaschisten dieselbe Position vertreten wie rassistische Islamhasser, dann finde ich das bedenklich. Wir brauchen eine Gesellschaft der Toleranz und der Freiheit, in der jeder seinen eigenen spirituellen Weg finden darf, eine Gesellschaft der Vielfalt. Anti-religiöse Gleichschaltung hatten wir schon, und ich finde es wird Zeit, die Fesseln des Nationalsozialismus abzuwerfen, um frei zu werden füreinander und um die oft widersprüchlichen Glaubensvorstellungen anderer zu respektieren. Das bedeutet Religionsfreiheit, und deshalb ist sie im Grundgesetz verankert. Religionsfreiheit bedeutet nicht zwanghafte Freiheit von Religion, sondern die freie Entscheidung für Religion oder auch Nicht-Religion.