Heute, im Zeitalter des Anthropozän, ist der Mensch zum bestimmenden Faktor der Evolution geworden. Mehrere Künstler begeben sich für Biotopia in die hintersten Winkel wenig erforschter Natur, um dort Essenzen und Modelle für Gegenentwürfe oder zumindest Ansätze für ein Umdenken zu suchen. Bis 30. Juli 2017.
Baggenstos/Rudolf & Hackteria
Julian Charrière
David Claerbout
Daiga Grantina
Dominique Koch
Elodie Pong
Daniel Steegmann Mangrané
Monica Studer/Christoph van den Berg
Phillip Zach
Die Künstlerinnen und Künstler begeben sich in die hintersten Winkel wenig erforschter Natur, um dort Essenzen und Modelle für mögliche Gegenentwürfe oder zumindest Ansätze für ein Umdenken zu suchen. Ausgehend von den letzten Refugien des Dschungels und der Tiefsee entwerfen sie computerisierte Simulationen, biologische Experimente und futuristische Biofiktionen. Sie suchen nach dem Paradox einer vom Menschen geschaffenen unberührten Natur. Dabei mischen sie kritisch-philosophische und animistische Denkweisen mit Versatzstücken von Life-Sciences, Bio- und Geo-Engineering. Gleichzeitig verwenden die Künstlerinnen und Künstler neueste Technologien der Bildkreation und der Materialverarbeitung. Mit Virtual Reality, Computeranimationen und 3D-Drucken generieren sie Bilder von berückender Schönheit oder irritierendem Hyperrealismus. Die Werke pendeln zwischen post-apokalyptischen Szenarien und öko-alternativen Visionen, abstrakt-poetischen Darstellungen und ganz konkreten Do-it-Yourself-Ideen. Auch wenn der Mensch in der Ausstellung nicht sichtbar wird, ist in allen Arbeiten die menschliche Konstruktion ablesbar. Was auf den ersten Blick vielleicht naturbelassen aussieht ist hier immer menschengemacht.
Die Künstlerinnen und Künstler begeben sich auf eine Gratwanderung zwischen alternativen Visionen und dysfunktionalen Dynamiken, die immer dann drohen, wenn Menschen irreversibel in natürliche Prozesse eingreifen. Damit verbunden ist auch eine Kritik des anthropozentrischen und profitorientierten Gesellschaftsentwurfs, der Natur als nutzbare Ressource und nicht als Selbstzweck begreift. Letztlich steht in der Ausstellung das Selbstverständnis der Spezies Mensch auf dem Prüfstand. Die Werke suchen aber auch nach Perspektiven, in denen ökologische und technologische Entwicklungen nahtlos verschmelzen. Dabei loten sie das gegenwärtige Zukunftsdilemma aus, das zwischen vorsichtiger Wahrung der fragilen Koexistenz von Mensch und Natur und radikalen Maßnahmen angesichts apokalyptischer Dynamiken pendelt. Die Balance könnte letztlich sogar der Kontrolle des Menschen entgleiten, um einer posthumanistischen Ära Platz zu machen, in der sich Natur und Technik gegen den Menschen verbünden. In diesen spekulativen Zukunfts-Szenarien sind die Dualismen von Natur und Technik, Fakt und Fiktion, Optimismus und Pessimismus nicht mehr einfach auseinanderzuhalten.
Der in Brasilien lebende Künstler Daniel Steegmann Mangrané macht mit brandneuer Virtual Reality-Technik ein Stück des brasilianischen Regenwaldes dreidimensional erfahrbar. Er ermöglicht ein virtuelles Eintauchen in den Regenwald mit Hilfe von Polygon-Netzen und flüssigen Bewegungseffekten im virtuellen Raum. Er nimmt einerseits Bezug auf indigene Naturwahrnehmung, in der der Mensch sich als Teil der Natur begreift, und konfrontiert andererseits die organischen Geometrien von Blättern, Ästen und Baumstämmen mit Hightech-Raumvermessung. Der Künstler zielt dabei wiederholt auf die bewusste Verschmelzung geometrischer und organischer Formen und damit auch auf die gewissermaßen willkürliche Unterscheidung von Natur und Kultur. Der Schweizer und Wahl-Berliner Julian Charrière zeigt einen überdimensionalen Kühlschrank mit tiefgekühlten tropischen Pflanzen, deren Ursprünge bis in die Kreidezeit zurückreichen. Diese Spezies sind Überlebende einer damaligen globalen Klimakatastrophe. Der Künstler konserviert diese prähistorischen Relikte und spannt dadurch zugleich einen Bogen in die Zukunft. Das Schweizer Duo Studer/van den Berg lässt eine virtuell simulierte Ursuppe brodeln, in der auch die ominöse dunkle Materie ein digitales Abbild erhält. Die Ursuppe suggeriert mit chaotischen Formen und Farben die Möglichkeit eines völligen Neubeginns der Evolutionsgeschichte in einer weit entfernten Zukunft und lässt die Frage nach dem zeitlichen Dazwischen offen. Die in Zürich lebende Amerikanerin Elodie Pong beschäftigt sich dagegen mit der Idee der virtuellen Konservierung bedrohter Arten, die für die Parfümindustrie synthetisch hergestellt werden und lässt diese Pflanzen im 3D-Drucker nachwachsen. Phillip Zachs Interesse gilt Würmern, einer Urform des Lebens, die heute in besonderer Weise durch menschlichen Forschungsdrang betroffen sind und die seit den 1960er Jahren als Modellorganismus der genetischen Grundlagenforschung dienten. Der Wurm erscheint als Metapher für eine durch und durch vom Menschen gestaltete Welt. Zachs Praxis konfrontiert wissenschaftliche Durchdringung und Ausbeutung der Natur mit einer äußerst abstrahierten, dem Artifiziellen verwandten Ästhetik. Auch die Lettin Daiga Grantina erfindet hybride Objekte und Skulpturen aus artifiziellen Materialien, die scheinbar in ständiger Metamorphose als halbtransparente, organische Kreaturen den Ausstellungsraum besiedeln und über eine Sci-Fi-Zukunft hybrider Körper spekulieren. Der Belgier David Claerbout entwirft – ebenfalls am Computer – eine meditative Filmreise durch generische Bilder von idyllischen Wäldern, die begleitet von New Age-Sound eine Art Entspannung in einem nicht-existierenden Illusionsraum hervorrufen. Als selbsternannte Biohacker experimentiert Baggenstos/Rudolf & Hackteria mit ausgedientem Elektroschrott und mutmaßt im eigens in der Kunsthalle eingerichteten Bio-Labor über die Zukunft der Natur im Zeitalter von Cyborgs. Gleichzeitig organisieren sie in Kooperation mit Hackteria, einem Kollektiv von Wissenschaftlern und Künstlern, einen Do-it-Yourself-Workshop und untersuchen Chancen und Risiken aktueller genmanipulativer Technologien. Die Schweizerin Dominique Koch etabliert die biologische Möglichkeit zur potentiellen Unsterblichkeit einer Quallenart als Metapher für gesellschaftliche Systeme, insbesondere die Erstarrung des kapitalistischen Wirtschaftsmodells, dem es am Rande des Zusammenbruchs immer wieder gelingt sich zu regenerieren.
Kuratiert von Sabine Rusterholz Petko, Kunsthistorikerin, freie Kuratorin, Zürich