Karsten Bott. Von Jedem Eins
Trabant: Florian Rossmanith
VideoZone: Eric Lanz
17. Februar – 1. Mai
Eröffnung: Mittwoch, 16. Februar, 19 Uhr
Karsten Bott. Von Jedem Eins
Karsten Botts (*1960 in Frankfurt/M.) großangelegtes Sammel-Projekt birgt das Utopische und es zeugt von obsessiver Energie. Es ist so nah am Leben, dass ein Ausweichen kaum möglich ist. Der in Frankfurt am Main lebende Künstler sammelt seit jeher Alltagsdinge aller Art. Sein „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“, das seit 1988 besteht und in dem er die Gegenstände archiviert und katalogisiert, beherbergt mittlerweile über eine halbe Million Objekte aus dem täglichen Leben. Bei den gefundenen, gekauften oder dem Müll entrissenen Objekten handelt es sich um alles, was Menschen in Gebrauch haben oder hatten: Werkzeug, Verpackungen, Klodeckel, Brillenbügel, Zahnbürsten, Zeitschriften, Bimssteine, Eierwärmer, Schneebesen, Radio, Joghurtbecher usw. Sie können alt, neu, abgenutzt, defekt, intakt, beschädigt oder voll von Gebrauchsspuren sein. Es sind vor allem Dinge, die wir als wert- oder kulturlos empfinden, die in Karsten Botts Archiv, in dem keine (Werte-)Hierarchie existiert, Eingang finden. Der Künstler entreißt die Gegenstände dem Kreislauf von Produktion, Erwerb, Gebrauch, Verschrottung und fügt sie in eine fortlaufende Enzyklopädie, in der die Dinge einen Wert um ihrer selbst Willen erlangen.
Karsten Bott interessiert zugleich, welche Dinge die Menschen brauchen und was sie tatsächlich damit machen oder welche Beziehung die Objekte untereinander haben und welche Rolle sie innerhalb eines Terrains wie zum Beispiel der Küche oder dem Bad spielen. Dieser Aspekt kommt als einprägsames Bild in den Ausstellungspräsentationen zum Tragen, in denen der Betrachter stets mit einer schier unendlichen und kaum fassbaren Anzahl von Gegenständen konfrontiert ist. Die Objekte werden in Vitrinen, Regalreihen oder flächendeckend auf dem Boden gezeigt. Sie werden nach Themen, Gruppen oder Typen wie Spielzeug oder Zeitschriften sortiert. Auch übergeordnete Themen wie Glaube, Krieg oder Familie werden als Bereich gefasst. Die Zuordnung der Objekte ist dabei nicht zwingend, die Grenzen zwischen einzelnen Bereichen sind fließend. So lässt sich ein Spielzeugpanzer sowohl in der Kategorie Spielzeug als auch bei Krieg einordnen.
In der Alltäglichkeit der Gegenstände verweisen sie den Betrachter nicht auf fremdes, sondern auf das eigene Leben. Für Karsten Bott stellen sie „Geschichtsdokumente der Menschheit“ dar, die nicht erst vergraben werden müssen, damit später die Archäologen sie als wertvoll erachten. In ihrer Gesamtheit geraten Karsten Botts Präsentationen zu einer Bestandsaufnahme des Lebens und einer in die Gegenwart vorgezogenen Archäologie.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Mainz zeigt die bisher umfangreichste Präsentation des Archivs von Karsten Bott. Annähernd 300.000 Gegenstände werden, auf einer Bodenfläche von 600 Quadratmetern ausgebreitet, zu sehen sein. Die Besucher bewegen sich auf Stegen durch die Ausstellung und befinden sich buchstäblich über den Dingen.
Wir danken der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur für die großzügige Unterstützung der Ausstellung.
Trabant: Florian Rossmanith
Florian Rossmanith (*1978 in Berlin) diplomierte 2008 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Professor Timm Rautert und schloss 2010 mit einem Meisterschülerstudium bei Professor Christopher Muller ab. Von 2009 bis 2010 studierte er mit der Förderung eines DAAD-Stipendiums an der Akademie für Bildende Kunst Wien bei Professor Heimo Zobernig.
Florian Rossmaniths Werk umfasst fotografische, skulpturale und installative Arbeiten, die sowohl planerische als auch spontane Momente beinhalten und die sich inhaltlich zwischen Alltagswahrnehmung, kunstgeschichtlichen Rückbezügen sowie bildanalytischen und rezeptionsästhetischen Fragestellungen bewegen. Dies lässt sich ebenso für die Serie der kleinformatigen Collagen feststellen, aus der eine Auswahl im Rahmen der Reihe Trabant zu sehen sind. Für die noch fortzusetzende und mittlerweile aus etwa 60 Arbeiten bestehende Serie verwendet Florian Rossmanith den eigenen fotografischen Überschuss der letzten Jahre. Er verarbeitet die handelsüblichen Abzüge im Format 9 x 13 cm zu vielschichtigen Collagebildern. In verschachtelten und sich übereinander lagernden Schichten ergeben sich oft ruinös anmutende Räume, wie verlassene Schaufenster- oder Straßensettings oder zerklüftete Interieurs als arrangierte Situationen, deren räumliche Logik sich selbst immer wieder aufhebt. Das Ganze geschieht auf denkbar kleinster Fläche und unterwirft die Sujets lustvoll einem äußerst ökonomischen Prinzip. Sie schwanken zwischen einer unverhohlenen analytischen Vorgehensweise und der äußerst reizvollen Haptik, bei der das Gebastelte, das Handgemachte und der Widerstand des Materials deutlich werden. Florian Rossmanith begegnet dem Medium Fotografie bzw. deren vorgeblichen „wahrheitsgemäßen“ Realitätswiedergabe mit Skepsis. Er arbeitet mit Abbildungen des Realen, baut aber in seine Bilder Störungen ein. Sie finden sich als Dekonstruktionen oder Unterwanderung, zum Beispiel der räumlichen Logik. Daraus folgend, behaupten alle Bilder eine Konstruiertheit, die die Möglichkeit der reinen Realitätswiedergabe und damit der reinen (räumlichen) Illusion negiert, aber das Bild als Ereignis hervorhebt.
VideoZone: Eric Lanz “Eingriff”
Die VideoZone ist eine Reihe der Kunsthalle Mainz, die von Georg Elben (Leiter der Videonale Bonn) kuratiert wird und für die er Künstlerinnen und Künstler aus dem immer weiter zu fassenden Bereich Video einlädt. Im Rahmen der VideoZone werden Vorträge oder Künstlergespräche veranstaltet, die sich ausgehend von der jeweiligen Präsentation explizit mit den Themen Video oder Neue Medien befassen.
In zahlreichen Videoarbeiten von Eric Lanz erfahren alltägliche Dinge, Nahrungsmittel oder Substanzen physische Metamorphosen, die meist Format füllend in extremer Nahsicht gefilmt werden. Nachvollziehbare Vorgänge werden so ins Fremdartige entrückt, und die enorm vergrößerten Substanzen erlangen etwas irritierend Körperliches.
Das Video „Eingriff“ (2001) von Eric Lanz beruht auf der Idee der Bearbeitung von Dingen und Gegenständen. Der Mensch hat für die unterschiedlichsten Zwecke Werkzeuge erfunden und entwickelt, die alle mit einem bestimmten Ziel verwendet werden können. Wenn nun im Video – mutwillig oder aus Unkenntnis – ein Objekt mit einem nicht dafür vorgesehen Hilfsmittel bearbeitet wird, erkennt man auf sehr spielerische Weise den hohen Grad an Spezialisierung, den mechanische Tätigkeiten erreicht haben. Es gibt eben nicht nur eine Schere, sondern hundert verschiedene, die alle über geringfügig andere Qualitäten verfügen. Wenn der zu bearbeitende Gegenstand und das Werkzeug nicht zusammen passen, können sich humorvolle und manchmal auch grausame Effekte ergeben; man möchte am liebsten gleich selbst ausprobieren. Doch die Interaktivität im Video ist nur vorgespielt: der Betrachter kann nur zuschauen (wie bei Karsten Bott, wo er mit den tausend Dingen auch nicht spielen darf).
Eric Lanz wurde 1962 in Biel in der Schweiz geboren und lebt heute in Düsseldorf. Nach seinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Nam June Paik war er auch als dessen Assistent tätig. Neben der eigenen künstlerischen Arbeit hatte Eric Lanz Lehraufträge an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe im Bereich Medienkunst sowie an der Kunsthochschule Mainz in der Klasse für Neue Medien. Zum Wintersemester 2010/11 übernahm er die Professur für Video und künstlerische Fotografie an der Hochschule der Bildenden Künste Saar.