Einzelhandel, Gastronomie, Tourismus – kaum eine Sparte erlebt seit vergangenen März eine unbesorgte Zeit. Besonders und beispiellos betroffen ist die Kulturbranche mit ihrem Musiksektor. Häufig steht in Berichten die düstere wirtschaftliche Komponente im Vordergrund. Das auch in Mainz demonstrierende Aktionsbündnis Alarmstufe Rot weist etwa auf die „First in, last out“ Problematik hin, welche verdeutlicht, dass die Veranstaltungsbranche als eine der ersten Branchen runtergefahren wurde und vermutlich eine der letzten sein wird, die zur Normalität zurückkehrt. Im Vergleich zu vielen anderen Wirtschaftszweigen bot der Sommer trotz ausgetüftelter Mini-Open-Air-Shows mit Hygienekonzepten kaum Entspannung. Der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz weist in mehreren offenen Briefen auf die existentiellen Probleme der Kulturhäuser und Solo-Selbstständigen (der Musikbranche) hin. Auch abseits wirtschaftlicher Ängste müssen Musizierende seit März 2020 bittere Verzichte hinnehmen. Sowohl professionelle Musikschaffende als auch Laien vermissen trotz vieler Bemühungen den einst elementaren Alltagsbestandteil.
Nicht dasselbe
In Mainz weiß und erlebt das vermutlich niemand mehr als Dr. Gerhard Scholz, der seit 23 Jahren das Peter-Cornelius-Konservatorium westlich vom Hauptbahnhof leitet. Etwa 4.000 Schüler und Schülerinnen sind in der Musikschule, die auch Studiengänge anbietet. Der Großteil der Musizierenden besteht aus Kindern und Jugendlichen, doch auch etwa 400 Erwachsene und Senioren lernen Instrumente, gehören Ensembles oder Chören an oder nehmen an musikpädagogischen Kursen teil. Wie schon während der ersten Corona-Welle findet der Unterricht den ganzen Januar über nicht vor Ort statt. Alternative Möglichkeiten, die auf Zoom-Calls oder Telefonunterricht beruhen, haben auch hier Einzug gefunden. Während diese in der ersten Pandemie- Phase noch voller Optimismus gefeiert wurden, hat sich neun Monate später Ernüchterung eingestellt, berichtet Dr. Gerhard Scholz. Auch wenn das Konservatorium erfolgreich und kurzfristig im Frühling neue Konzepte entwickeln konnte, lässt sich der persönliche Kontakt langfristig nicht ersetzen. Insbesondere der Einzelunterricht funktioniert zwar auch in digitalen Sphären, der Direktor weist jedoch darauf hin, dass es „nicht dasselbe“ ist. Besonders schmerzlich sei der Ausfall der sonst täglich stattfindenden Vorspiele: „Das sind wichtige Erlebnisse, auf die Kinder und Jugendliche hinarbeiten. Für alle ist das ein wichtiger Schub und die Bestätigung ihres Tuns.“
Gemeinsam geht nur im Sommer
Dem bitteren Verzicht zum Trotz bemüht sich Dr. Gerhard Scholz eine positive Stimmung zu verbreiten. Entgegen der Befürchtungen hat das Konservatorium keinen Rückgang an Mitglieder zu verzeichnen, womit die Finanzierung gesichert ist. Nun wandert der Blick bereits in die wärmere Jahreszeit. Vor allem für die gebeutelten Ensembles und Chöre des Hauses bietet sich eine erfreulichere Perspektive. Da ein gemeinsames Musizieren digital aufgrund der Verzögerungen faktisch unmöglich ist und Gruppenzusammenkünfte in geschlossenen Räumen kaum umsetzbar sind, hat das PCK schon im Sommer 2020 den Fokus auf die Erweiterung der Räumlichkeiten nach draußen gelegt. So konnten etwa im Hinterhof Orchesterproben stattfinden, auf einem Parkhaus-Deck der Afterwork-Chor und auf der Dachterrasse unter einem Sonnensegel Rockbands jammen. Komplett müssen auch die Mitglieder von Ensembles und Chören nicht aufs Musizieren verzichten. Scholz berichtet etwa, dass der Chorleiter seinen Sängern kleine Übungsschnipsel bereitstellt. „Das ist am Anfang ein guter Ersatz, aber am Ende fehlt einfach, dass der Mensch neben einem da ist“ gibt er jedoch offen zu.
Keine Alternative
Unmut über die Einschränkungen für Musizierende seitens der Politik äußert der Direktor des Konservatoriums hingegen nicht. Er werde „hinreichend informiert, aber auch ernst genommen“ und weist etwa auf ein Telefonat mit dem Oberbürgermeister zu Beginn der Beschränkungen hin. Die Wege sind kurz, schließlich gehört die Musikschule zur Stadt. Anderswo beäugt man den Umgang mit Musikschaffenden kritischer. Der Verwaltungsratsvorsitzende vom Bachchor Mainz, Dr. Bernd Sucké, berichtet etwa, dass der Chor bereits seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland nicht mehr proben konnte: „Der Chorsaal in der denkmalgeschützten Christuskirche ist im Hinblick auf die Belüftung nicht einmal für Kleingruppen – selbst bei Einhaltung der Corona-Hygienevorschriften – für Proben geeignet.“ Ein Ausweichen auf andere Räume sei finanziell nicht möglich und Proben im Freien oder online sind keine Alternative. Als Grund führt Sucké an, dass „das Aushören der Harmonien und die klangliche Feingestaltung“ auf diesen Wegen nicht gewährleistet werden kann. Für die Mitglieder des Bachchors liegt dementsprechend ein Lebensinhalt auf Eis – ein Problem, für das sich der Verwaltungsratsvorsitzende „mehr Bewusstsein seitens der Politik“ wünscht. Er pocht auf die Wichtigkeit der Kultur und die nicht bewiesene Ansteckungsgefahr bei Konzertbesuchen mit Hygienemaßnahmen und wünscht sich, dass sowohl Profi- als auch Laienmusiker sowie Personen, die in diesem Zusammenhang tätig sind, früh geimpft werden.
Proben mit Hygienekonzept?
Auch im Bereich der Populärmusik müssen sich Bands den Probebeschränkungen anpassen und stehen diesen divers gegenüber. Die beiden Mainzer Bands „Terztanz“ und „Lilli Rubin“ bezeichnen ihren Probebetrieb als sehr eingeschränkt mit einer kurzen Ausnahme im Sommer. Zoom-Proben erteilt man eine klare Absage aufgrund der nicht verhinderbaren Verzögerung. Die Beschränkung von normalen Proben sehen die Mitglieder von Terztanz trotzdem als verständlich an und wollen gerne „ein Teil der Lösung und nicht des Problems“ sein. Etwas kritischer stehen dem die Bandkollegen von Lilli Rubin gegenüber, die ein grundsätzliches Verbot als nicht gerechtfertigt sehen: „Bezüglich der Probensituation sehen wir unsere Band als Arbeitsgemeinschaft. Dass wir nicht gemeinsam proben dürfen, ist für uns unverständlich, da es möglich wäre, Hygienemaßnahmen beim Proben einzuhalten und die Ansteckungsgefahr zu minimieren.“ Für eine derartige Regelung genügt ein Blick ins Nachbarland Frankreich, dessen Regierung trotz Ausgangsbeschränkungen Kunstschaffenden während der zweiten Welle die Möglichkeit zum Proben gegeben hat – unter Berücksichtigung eines
Hygienekonzepts. Auch wenn Lilli Rubin nicht direkt darauf Bezug nehmen, wünscht sich die Band für das neue Jahr einen realistischeren Plan: „Es fehlt etwas in unseren Leben.“
Text Till Bärwaldt Fotos Simon Zimbardo