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Mit eigenen Händen – Solidarische Landwirtschaft in Mainz & Wiesbaden

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von Falk Ruckes, Foto: Solawi.org

„Kennst du den Acker, auf dem das Gemüse gewachsen ist, das bei dir auf dem Teller landet? Kannst du dir aussuchen, welche Sorten für dich auf dem Feld angebaut werden?“ Wer weder leidenschaftlicher Hobbygärtner ist, noch einen Selbstversorgerhof zum Lebensdomizil auserkoren hat, muss Fragen wie diese vermutlich verneinen. Aber keine Sorge: Links und rechts des Rheins tut sich was auf den Äckern und Feldern: In Mainz und Wiesbaden sind die ersten Solidarischen Landwirtschaften, kurz Solawis, gegründet worden.

Die Idee: Mehrere Privatpersonen teilen sich Kosten und Ernteertrag eines landwirtschaftlichen Betriebs. „Die Leute wollen in vielen Bereichen ihres Lebens wieder mehr in die eigene Hand nehmen“, erklärt Klaus Wollner von der Initiative Apfelkompott: „Unser Ziel ist es, dem Einzelnen mehr Mitbestimmung über seine Nahrung zu geben.“ Und die Resonanz auf das Vorhaben ist enorm, das Projekt schon teils ausgebucht. Die große Nachfrage führen die Initiatoren unter anderem zurück auf den regionalen Ansatz und die Kenntnis über Weg und Qualität der Produkte.

In Mainz wird geerntet

Nach ersten Geh-und Anbauversuchen konnte die Solawi Mainz im letzten Winter genügend Land und eine Halle in Gonsenheim pachten, um durchzustarten: Bei einer übervollen Infoveranstaltung letzten Januar fanden sich 120 Menschen, die bei der alternativen Nahrungsversorgung dabei sein wollten. Seitdem werden auf anderthalb Hektar Land zahlreiche Pflanzenkulturen streng ökologisch angebaut: Mit Wasser wird sparsam umgegangen, gegen Schädlinge kommt keine Chemie zum Einsatz, sondern lediglich Netze und als Dünger dient Pferdemist von benachbarten Höfen.

Da außerdem das Gemüse in der Regel direkt nach der Ernte an die Mitglieder verteilt wird, entfallen Energie und CO2-Emissionen für Lagerung und lange Transportwege. Für Thilo Kaster stellt das Konzept vor allem „eine coole Möglichkeit“ dar, um das Bewusstsein der Leute zu verändern: „Für einen Supermarkt-Kunden ist der Produzent seiner Nahrung anonym. Bei uns wissen die Leute dagegen genau, wer, wo und auf welche Weise etwas anbaut.“ Die Mitglieder können, wenn sie Zeit finden, selbst beim Anbau helfen.

solawi4Nicht verkaufen, sondern verteilen

Neben dem ökologischen Ansatz umfasst die Solawi auch eine andere Art zu wirtschaften. Die Erzeugnisse werden nicht verkauft, sondern verteilt. Der solidarische Gedanke steht, wie der Name schon sagt, im Mittelpunkt: Eine gesunde Ernährung soll allen Menschen zugänglich sein – unabhängig von der Größe ihres Geldbeutels. Die Initiative richtet sich daher vor allem auch an sozial Schwächere, zum Beispiel Alleinerziehende oder Geflüchtete. „Es ist wichtig zu verstehen, dass wir Lebensmittel von ihrem marktwirtschaftlichen Preis befreien“, betont Klaus Wollner. „Jedes Mitglied zahlt nach seinen eigenen Möglichkeiten.“

Dass dieser Ansatz in der Praxis funktioniert, beweist die Mainzer Gruppe. Unter ihren Mitgliedern finden sich Gutbetuchte wie Finanzschwache. Auf der Jahreshauptversammlung gab jeder an, wie viel er finanziell beitragen möchte. Das Ergebnis: Die Kosten waren mit leichtem Plus gedeckt. „Man darf sich Solawi aber nicht als irgendwas total abgefahren Politisches vorstellen“, lacht Franziska Jockers. Es geht einfach darum, ein elementares Grundbedürfnis zu stillen: Jeder soll genug zu essen haben.

Kontrolle zurück gewinnen

Die Attraktivität besteht auch in der Rückgewinnung der Kontrolle, was auf den Feldern angebaut wird. „Wenn wir uns die heutigen Konzerne ansehen, zeigt sich, dass der Kunde viel Selbstbestimmung abgegeben hat“, prangert Richard Eisenblätter vom Apfelkomplott an. Welche Sorten Obst oder Gemüse in den Regalen landen, bestimme schon lange nicht mehr der Verbraucher. Großproduktionen bauen zudem nur wenige Arten an. Die Solawi lehnt sich auch gegen diese monokulturelle Form der Nahrungsproduktion auf und setzt auf Vielfalt.

Ihr Anbau-Mix schont nicht nur die Böden, sondern erlaubt dem Team auch, das ganze Jahr über saisonales Gemüse zu ernten. Man gewinnt sogar eigenes Saatgut und zieht Jungpflanzen heran. Ziel ist eine Unabhängigkeit vom Markt, um eine Ernährungs-Souveränität zu erreichen. Das Konzept kommt gut an: In Mainz gibt es genügend Interessierte, um eine zweite Gruppe zu gründen. In Wiesbaden ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis mit dem Anbau begonnen wird. Wer solange nicht auf selbst angebautes Gemüse verzichten möchte, dem sei ein Marktbesuch empfohlen oder das Gemüse-Abo des Lieferanten NOVUM.

Fotos: Netzwerk Solidarische Landwirtschaft, Stadt Mainz