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#mentoo? – Mainzer Männer zeigen Initiative

„Wann ist ein Mann ein Mann?“ Schon in den 80ern hat sich Herbert Grönemeyer mit dieser Frage auseinandergesetzt. Das Resultat: eine knapp vierminütige Pop-Hymne auf das männliche Geschlecht. Doch das Problem ist komplexer, denn bis heute lässt diese Frage Männer verzweifeln.Es scheint, als haben die Emanzipation der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter den Mann in eine Krise gestürzt. Post-Feminismus: Die Grenzen zwischen den Geschlechtern sind fließend, alte Rollenbilder wurden über Bord geworfen.

Für die Frauen bedeutete das Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Freiheit. Für die Männer ging damit die Suche nach einer neuen Rolle los. Dabei machen sich die etwas vor, die meinen, dass alte Rollenbilder endgültig ad acta gelegt wurden. Paartherapien boomen, klassische Familienstrukturen lösen sich auf. Frauen müssen im Job ihren „Mann“ stehen und beklagen einen Verlust von Weiblichkeit.

Bei den Männern: Den Macho will angeblich niemand mehr, außer im Bett. Der Softie funktioniert aber auch nicht. Für viele Frauen ein Dilemma, für die Männer ein Spagat. So kommen auch Erotik und Leidenschaft in Beziehungen zu kurz. Das Spiel der Gegensätze versiegt. Oft der Anfang vom Ende. Beziehungsratgeber ziehen eine traurige Bilanz des 21. Jahrhunderts: Männer seien keine wirklichen Männer mehr. Und Frauen hätten die Fähigkeit zur Hingabe eingebüßt. Wenn Frauen und Männer wieder zurück zu ihren maskulinen und femininen Anteilen finden wollten, müssten sie diese wieder in sich wecken. Aber wie soll das (noch) gehen? Sind Männer steckengeblieben in ihrer Persönlichkeitsentwicklung? Gerade wenn es politisch opportun ist, dass Frauen immer mehr Bewegungen gründen und Popularität erfragen, wo bleiben dann die Männer? Neben zehn Frauen-Bewegungen gibt es gerade mal eine Männer-Initiative. Was haben Männer zu ihrer Rolle zu sagen? Oder dürfen sie heute nach einer #Metoo-Debatte tatsächlich nur noch schweigen und zuhören? Wir haben uns mit einigen Mainzer Männerinitiatven getroffen, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Netzwerke bilden

„Frauen brauchen heute keinen Ernährer mehr, nicht mal einen Erzeuger“, sagt Männercoach Tom Süssmann. Gemeinsam mit Jean van Koeverden, Hubert Frank und Michael Schwarz hat er 2013 die Mainzer Männer Initiative (MMI) gegründet. Man bietet eine zentrale Telefonhotline und beratende Erstgespräche für Männer. Inhaltlich arbeiten die Mitglieder selbstständig. Jeder hat seinen eigenen Themenschwerpunkt und Herangehensweise, denn: Unterschiedliche Männer haben unterschiedliche Probleme und brauchen unterschiedliche Lösungen. Van Koeverden ist Familientherapeut und bietet unter dem Dach der MMI alle zwei Wochen eine Gesprächsrunde nur für Männer. „Im Alltag wird nicht offen über Probleme gesprochen“, meint er. Seine Gesprächsrunde soll dazu einladen, eigene Themen anzusprechen und sich mit anderen Männern auszutauschen. Mitstreiter Tom Süssmann ist seit 2006 in der Männerarbeit aktiv.

Mit dem Angebot www.maennerportal.net schuf er 2016 ein Netzwerk für Männerarbeit im deutschsprachigen Raum: Männerprojekte, Sexualität, Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung. Das Portal soll eine Sammelstelle für all diese Themen sein und mehr. Mit seiner Idee vom „ganzheitlichen Mann“ hat sich Süssmann 2017 als Coach selbstständig gemacht und entwickelte mit dem Konzept „Einfach Mannsein!“ vier Basics, die jeden Mann begleiten: die Aussöhnung mit dem Vater, die Ablösung von der Mutter, die emotionale Abhängigkeit vom Weiblichen beenden und die Frage: ‚Warum bist du hier?‘ Süssmann weiß: „Wenn Männer nicht an sich selbst arbeiten, werden Frauen zu Recht immer unzufriedener.“

Da Reden nicht jedermanns Sache ist, bietet „Männer-Arbeiter“ Michael Schwarz in seiner Lösungswerkstatt einen eher praktischen Ansatz: Durch die Arbeit mit dem Schwert möchte er Männern helfen, nach einer persönlichen Krise wieder zu ihrer Energie zurückzufinden und ihre gesunden Aggressionen (wieder) zu entdecken. Männer sollen so Klarheit erlangen und sich selbst erkennen. „Denken, Fühlen und Handeln müssen im Einklang sein“, sagt Schwarz. Er selbst fand durch eine persönliche Krise zur Schwertarbeit. Zwar gewann er seine Energie nach einem Burnout wieder zurück. Dennoch sei es wichtig, dass man(n) schon auf erste Anzeichen reagiert und nicht erst bis zum großen Knall wartet.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Hubert Frank, nach 20 Jahren ein Urgestein der Männerarbeit, hat sich voll und ganz auf die Täterberatung konzentriert. Unter dem Dachverband „eupax“, einer Beratungsstelle, bietet er Einzelgespräche für gewalttätige Menschen an. Auch wenn sich das Angebot an beide Geschlechter richtet, sind es doch überwiegend Männer, die bei ihm auf dem Sofa sitzen. Das liege vor allem daran, dass Männer oft nicht wüssten, wie sie sich mitteilen sollen. „Wenn Traurigkeit und Schwäche als unmännlich gelten, bleibt oft nur die Wut“, so Frank. Gemeinsam mit seinen Klienten entwickelt er zunächst einen Notfallkoffer. Im weiteren Verlauf lernen Männer mit ihren Gefühlen adäquat umzugehen. „Viele Männer wollen den Dicken machen, um gesehen zu werden“, sagt Frank. Die Ursache dafür sei bereits in der Kindheit zu finden. Vor allem in der Pubertät fehle oft ein männliches Vorbild und auch aggressive Impulse dürfen gesellschaftlich kaum ausagiert werden. Jungs bekämen ihre Väter oft nur in Sondersituationen, wie an Wochenenden oder im Urlaub zu sehen. „Wie soll ein Junge wissen, dass ein Mann weinen darf, wenn er seinen Vater nie weinen gesehen hat?“ Das heutige Männerbild sei verunsichert und durcheinander. Zwar wäre das alte Männerbild in Verruf geraten, dennoch sei Schwäche kein K.o.-Kriterium für Männlichkeit.

Gemeinsam wachsen

Dieses Gefühl teilt auch die Männergruppe um Jürgen Holste. Nach einer harten Trennung (1999) ist Holste einer Männer-Gruppe beigetreten mit dem Wunsch, Unterstützung und Anschluss zu finden. „Denn meine damaligen ‚Freunde‘ waren mit meiner Situation überfordert“, weiß er. In der Männergruppe hat er Möglichkeiten zum Austausch gefunden. „Wir verstehen uns als eine Wachstumsgruppe“, sagt der 53-Jährige. Wachsen wollen sie offen, ehrlich und transparent. Dienstags alle zwei Wochen treffen sich die neun Männer und sprechen über ihre Probleme und auch Gefühle. Oft geht es um Familie, Sexualität und Berufliches. Die wichtigste Regel: Sprich immer über dich selbst, nicht über andere! Thorsten ist seit 2010 dabei und somit eins der „jüngsten“ Mitglieder. Auch bei ihm hat eine Trennung das Bedürfnis geweckt, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Er möchte jetzt seinen Weg finden und meint: „Männlichkeit ist für mich Authentizität.“

Was sagt die junge Generation?

Es ist auffällig, dass vor allem ältere Männer, im Alter von 40 bis 60 Jahren, die Angebote der Männerberatungen in Anspruch nehmen. Und was sagt die jüngere Generation? „In der Männerwelt geht es darum, noch 20 Prozent mehr zu geben als andere“, denkt Kimon. Dabei fühlt er sich oft von dem Klischee des gutverdienenden und erfolgreichen Mannes unter Druck gesetzt. Auch Oskar fühlt sich hin und wieder genötigt, in die Konkurrenz-Kerbe zu schlagen, etwa wenn es um „Frauen-Eroberungen“, „sportlichen Wettkampf“ und „Alphatier-Gehabe“ geht. „Ich versuche mir meiner Privilegien als Mann bewusst zu werden. Trotzdem bekommen schon kleine Jungs beigebracht: Echte Indianer weinen nicht! Ich glaube, das Bild von Männlichkeit ist nach wie vor stark von alten Rollenbildern geprägt.“

Braucht man(n) das?

Ob durch Gespräche, Coaching oder Körperarbeit: Männerinitiativen wollen ein neues positives Männerbild etablieren. Denn: „Das Männerbild stagniert bisher leider“, sagt Hubert Frank. Männerarbeit könne aber einen wichtigen Teil zu einem neuen Rollenverständnis beitragen. Und: „Männer haben im emotionalen Bereich Defizite, bei denen sie Hilfe brauchen“, sagt Tom Süssmann. Für eine gelungene Gleichberechtigung muss auch der Mann stärker unterstützt werden. Da sind sich viele Männer – oft eher im Stillen – einig. Es fehle an einer breiten Öffentlichkeit. Viele Männer wüssten gar nicht, dass es Anlaufstellen gibt, und haben Hemmungen. „Aber es liegt auch an den Männern“, weiß Jürgen Holste, denn der Bedarf sei nach wie vor groß.

Text Lisa Winter und David Gutsche Fotos Stephan Dinges

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