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Maunzen um Hilfe – Wie Straßenkatzen in Mainz ihr Überleben sichern

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Text & Fotos: Meike Hickmann

Golda ist die Anführerin einer Straßengang: groß, stark, schön und lässt sich nichts gefallen. Erst recht nicht von einem Mann. Golda verliebt sich nicht und genießt ihre kinderlose Unabhängigkeit. Denn das sichert ihr Überleben als Straßenkatze. „Kastration ist Tierschutz“, sagt Christine Pohl von der SPD-Stadtratsfraktion. Erstmal klingt das paradox – Amputation als Akt der Tierliebe? „Was nicht geboren wird, muss auch nicht leiden“, sagt Pohl, selbst Besitzerin zweier Kater. Sie hat kürzlich im Stadtrat die Kastrationspflicht für Katzen vorgeschlagen. Es gebe zu viele herrenlose Katzen in Mainz. Auf die Idee hat sie der Mainzer Verein „Katzenhilfe“ gebracht.

Keine Katzen-Lobby

Hinter einem Pfad mitten im Dickicht liegt die Fütterungsstation am Mombacher Waldfriedhof. „Ohne uns können sie sich nicht ernähren“, erzählt Alice Christnacht von der Katzenhilfe. Zehn Mäuse muss eine Katze am Tag essen, um davon leben zu können – das macht 50 Mäuse am Tag für Goldas Gang. Vermutlich fiept daher kein einziges Mäuschen mehr am Waldfriedhof. Hätten sich die fünf Katzen auch noch vermehrt – also bis zu drei Mal im Jahr acht Junge geworfen – wäre vermutlich der komplette Lennebergwald mäusefrei, aber die Katzen immer noch hungrig.

Selbst wer Katzen nicht mag und in ihnen nur die Mörder der Singvögel sieht: Katzenschutz ist auch Tierschutz der Arten, die auf ihrem Speiseplan stehen sowie derer, mit denen sie diesen teilen, etwa Fuchs, Eule und Bussard. Golda ist sehr hungrig, sie braucht jetzt viel Energie, um sich ein dickes Winterfell zuzulegen. Sobald sie ihre Fütterer kommen hört, schleicht sie sich elegant an, maunzt leise und darf als erstes an den gut gefüllten Napf. Vor Golda haben alle Respekt – zumindest ihre Gangmitglieder Mama, Clony, Weißfüßchen und Mimi – anders als die Menschen, die Golda hier zurückgelassen haben.

„Katzen haben keine Lobby, niemandem sind sie etwas wert“, sagt Alice Christnacht und füllt Goldas Napf mit Futter auf. Vorsichtig streicht sie über den prächtigen, schwarz-rötlichen Pelz der stolzen Schönheit. Golda lässt es sich gefallen, zumindest, solange sie mit dem Inhalt des Napfes beschäftigt ist. „Niemand schaut da über den Tellerrand“, sagt Christnacht. „Jeder denkt an seine eigene Katze, aber niemand an die Straßenkatzen.“

katzea2spKastration als Rettungsmaßnahme

13 Mio. Hauskatzen leben in Deutschland. Die Katze ist unser beliebtestes Haustier. Sie ist billiger und leichter zu halten als ein Hund. Das führt zur Gedankenlosigkeit bei der Anschaffung. Manche Katzen werden an Weihnachten verschenkt und später will sie doch niemand haben. Dann landen sie im besten Fall im Tierheim und im schlechtesten in der Mülltonne. Viele von ihnen werden einfach ausgesetzt und nicht alle haben das Glück einer Futterstation in ihrer Nähe. 60 Katzen leben allein auf dem Uni-Campus, wie viele Straßenkatzen es in ganz Mainz sind, weiß Christnacht selbst nicht genau, sie weiß nur, dass es immer mehr werden.

Und mehr obdachlose Katzen bedeutet mehr Leid: Die Streuner erfrieren, verhungern, werden krank oder von Hunden gerissen. Golda und ihrer Gang bleibt dieses Schicksal erspart – jeden Tag kommt ein anderer Katzenschützer, füttert die fünf und kümmert sich um kuschelige Schlafplätze in einem Gartenhäuschen. Es ist wie ein kleines Obdachlosenheim für Katzen. An ähnlichen Stationen werden sie auch eingefangen und zum Tierarzt gebracht, zur Kastration – 400 bis 500 im Jahr, finanziert durch Spenden. Aber nicht alle Katzen lassen sich füttern und einfangen, viele sind zu scheu und auch deshalb gibt es immer mehr Straßenkatzen in Mainz. Vor allem, weil die unkastrierten Katzen, die jemandem gehören, die Katzenhilfe gar nicht einfangen darf – auch das treibt die Population in Mainz in die Höhe.

Christine Pohl weiß, eine Kastrationspflicht löst das Problem nicht schlagartig, aber es wäre ein guter Anfang. Also lässt sie sich den Witz, sich als verkehrspolitische Sprecherin um jede Art von Verkehr zu kümmern, von ihren Kollegen gefallen und kämpft weiter für ihren unpopulären Antrag. Eine Verordnung würde das Haustier Katze teurer machen. Ungerecht? Alice Christnacht von der Katzenhilfe meint: „Ein Pferd kann sich auch nicht jeder leisten – man hat eine Verantwortung für ein Lebewesen.“