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Liebeserklärung an das Lesen – Ein Bekenntnis zu Büchern und Begegnungen per Lesespaziergang in der Gutenberg-Stadt

Ein gutes Buch in der einen Hand, eine Kaffeetasse in der anderen und was zum Schreiben in der Mitte, für alle spontanen Geistesblitze: So genüsslich und gemütlich stellen es sich manche vor, das Leben als freie Autorin. Ganz so idyllisch ist es nicht, wie ich aus Erfahrung bestätigen kann. Zumal wenn die Kollegen der sensor- Redaktion anrufen, mit einer ganz dringenden Bitte: Ein Bekenntnis zu Büchern wird gewünscht, mit einem Gang zu Orten in der Stadt, wo auch nette Begegnungen möglich sind. Klar, das übernehme ich. Na, dann mal los. Kommt ihr mit?

Für die Busfahrt Richtung City habe ich ein Buch dabei, das ich demnächst besprechen will. Druckfrisch ist es, und das fühlt sich richtig gut an. Bestimmt habt ihr das auch schon erlebt: über die glatten Seiten streichen, vorsichtig darin blättern, hier und da beim Lesen verweilen. Ihr merkt schon, ich gerate ins Schwärmen, als echte Bücherfreundin. Und wenn es sogar das eigene Buch ist, das man in den Händen halten kann, ist das Glücksgefühl unbeschreiblich.

Pixel vermitteln nicht das Gefühl von Gedrucktem Natürlich arbeite auch ich meist am Laptop, tippe auf dem Smartphone, lese und veröffentliche Online-Artikel. Doch bei den flimmernden Pixeln vermisse ich manchmal das Gefühl, das mir ein Buch in der Hand vermittelt. Oder auch ein gedrucktes Magazin wie der sensor. Wenn man jemanden sehr mag, möchte man ja auch nicht nur Nachrichten schicken und per Video chatten.

Erfindungen wie diese kannte er natürlich noch nicht, der gute alte Gutenberg. Inzwischen bin ich am Höfchen angekommen und schaue mal beim markanten Denkmal vorbei. Schließlich gilt Johannes Gutenberg als großer Sohn der Stadt und sogar als „Man of the Millenium“. Seine Erfindung, der Druck mit beweglichen Lettern, war eine echte Revolution. Zuvor waren Bücher absoluter Luxus, da meist handgeschrieben und teuer. Mit seinem Druckverfahren wurden Texte massenhaft verbreitet, und damit auch Wissen. Wenn ihr mehr erfahren wollt, begebt euch gern mal auf den Gutenberg-Pfad. „1200 Meter mehr Wissen“: Das Motto ist Programm auf dem Weg zu Orten, die mit seinem Leben und Wirken zu tun haben. Starten könnt ihr zum Beispiel auf dem Liebfrauenplatz. Am Gutenberg-Museum findet ihr eine Tafel mit QR-Code oder ihr schaut direkt auf die Internetseiten der Stadt. Auch die Bauzaun-Banner ringsum bieten viele Infos zu Büchern und Druckkunst. Empfehlenswert ist ebenso ein Besuch in der interaktiven Interimsausstellung unter dem Dach des Naturhistorischen Museums in der Reichklarastraße 1.

Für mich geht es nun erst mal zum Rhein. Auf dem Weg komme ich vorbei am Fischtorplatz und muss schmunzeln, als ich mir den Springbrunnen genauer anschaue. „Pellkartoffeln mit Heringen“, sagen manch Ältere in Mainz auch dazu. Das lässt mich an eine Anekdote denken, aus meiner Anfangszeit als Journalistin: Schon als Jugendliche habe ich ab und an für eine Tageszeitung geschrieben. Was ihr euch wohl kaum noch vorstellen könnt: In den Neunzigern hat man noch Schwarz-Weiß-Bilder gemacht und den Film zum Entwickeln eingereicht. Auch meine Artikel habe ich nicht wie heute als Datei geschickt, sondern auf Papier vorbeigebracht, in schönster Sonntagsschrift geschrieben. Die Redaktionssekretärin hat sie dann abgetippt, wobei sich auch mal kleine Fehler einschlichen. Als die Zeitung dann so gedruckt wurde, war es für sie nicht halb so ärgerlich wie für mich: „Ach, mach dir nichts draus, morgen werden sowieso die Heringe drin eingepackt…“ Das versucht mal lieber nicht mit dem Laptop.

Doch Spaß beiseite: Tatsächlich wurden auch in Mainz öffentlich Bücher zerstört. Am 23. Juni 1933, also zur Johannisnacht vor über 90 Jahren, wurden Werke bedeutender Autorinnen und Autoren verbrannt, auf dem früheren Halleplatz, wo heute Rheingoldhalle und Rathaus stehen. Bleibt wachsam, dass sich Zeiten wie diese nicht wiederholen! Und nehmt eure Bücher und Hefte gern mit auf eine Bank oder den Rasen am Rhein, wo es sich entspannt lesen lässt.

 

Regionalbibliothek für Mainz und Rheinhessen

Wahre Bücherschätze findet ihr auch in der großen „Wissenschaftlichen Stadtbibliothek“, bei der ich inzwischen angekommen bin. Wenn ihr durch die Pforten in der Rheinallee tretet, seid ihr mit etwas Fantasie in einer anderen Welt. Mit gut 700.000 Medieneinheiten im Bestand zählt sie sogar zu den größten kommunalen wissenschaftlichen Bibliotheken im Land. Viele Bücher findet ihr dort und auch Zeitschriften, ob gedruckt oder elektronisch, und weitere Medien wie Noten und Karten. Zudem nimmt das Haus wichtige Aufgaben als Regionalbibliothek für Mainz und Rheinhessen wahr. Das bedeutet: Hier wird die lokale Verlagsproduktion dokumentiert, vom Kleinbetrieb bis zum international tätigen Unternehmen. Als historisches Erbe werden alte Drucke und Handschriften hier aufbewahrt und wer etwas für Studium und Beruf erforschen möchte, findet hier auch einiges an Literatur zur Arbeit mit den Beständen.

Ein paar hundert Meter weiter, am Bahnhof, hat die „Öffentliche Bücherei – Anna Seghers“ ihre Zentrale. Sie ermöglicht Menschen jedes Alters freien Zugang zu Information und Wissen, im Hauptgebäude an den Bonifaziustürmen und an weiteren Standorten in mehreren Stadtteilen. Die Bandbreite ist echt beeindruckend, von Sachliteratur und Belletristik über Großdruck- und Hörbücher bis hin zu E-Learning-Angeboten, Zeitungen und Zeitschriften. Ältere Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, können sich mit einem speziellen Service Bücher und andere Medien ins Haus bringen lassen, und für Kinder gibt es vor Ort eigene Bereiche mit Platz zum Lesen und Lernen. Jugendliche können die „LernBar“ nutzen, mit Arbeitsplätzen und Lernhilfen. Zu den besonderen Aktionen zählen Themen des jeweiligen Monats und Sonderausstellungen.

Drucksachen zur Ansicht und Ausleihe, zu allen denkbaren Themen, findet ihr übrigens auch in anderen Einrichtungen, etwa im Fastnachts- und Kabarettarchiv. Wie wär‘s mit Bibliotheken, die mitunter täglich andere Bücher in den Regalen haben? Auch die gibt es in Mainz, und das schon seit vielen Jahren. Was praktisch ist: Sowohl den ehemaligen Stromverteilerkästen wird dadurch neues Leben eingehaucht als auch den vielen Büchern, die hier bereitliegen. In den „Offenen Bibliotheken“ können sie unkompliziert eingestellt und kostenfrei mitgenommen werden. Die Schränke, die es in der Neustadt und auch in allen anderen Mainzer Stadtteilen gibt, leben vom Entnehmen und Befüllen, daher gilt: „Je reger die Nutzung, desto besser“.

Was auch zutrifft, wie ich finde, ist das Prinzip „Kleiner Schrank, große Wirkung“. Bücher tauschen, Wissen schaffen, Demokratie und Diskurs stärken: Mit diesen Zielen wurde einer der jüngsten Bücherschränke in Mainz eingeweiht, an der Katholischen Hochschule zwischen Uni-Campus und Hauptbahnhof. Soziokulturelle Projekte wie diese leisten einen wichtigen Beitrag für das gesellschaftliche Miteinander. Die Schwelle ist bewusst niedrig zu Bildung, um teilhaben zu können, so die Idee, um das eigene Leben zu gestalten und die Gesellschaft mitzugestalten.

Bücher können tatsächlich neue Welten öffnen, denke ich, als ich wieder im Bus sitze. Und wer lesen kann, hat dann quasi einen Schlüssel. Seit 15 Jahren setzen sich die Lesementoren von „Mentor Mainz“ dafür ein, dass Kinder diesen Schlüssel gut nutzen können.

 

Lesementoren wecken bei Kindern Begeisterung für Literatur

Über 150 ehrenamtlich Engagierte begleiten derzeit an 15 Mainzer Schulen rund 220 Kinder auf dem Weg zur Lesekompetenz. Weitere Lesementoren werden gesucht, denn viele Kinder haben noch keine Lesepaten. Willkommen sind Menschen, die mit Geduld und etwas Zeit einiges bewegen wollen. Der Verein organisiert die Zusammenarbeit mit Schulen, Weiterbildung, Begleitung und Austausch untereinander. Das Herzstück ist die 1:1- Leseförderung. Das bedeutet: Ein Mentor trifft sich regelmäßig mit einem Kind – oft über ein ganzes Schuljahr hinweg. Gemeinsam wird gelesen und gelacht, um Texte besser verstehen zu können und Begeisterung dafür zu wecken.

Wie viel Spaß es macht vorzulesen, Geschichten zu erzählen, Bilder anzuschauen und dann auch gemeinsam zu lesen, das kenne ich von meinen beiden Kindern. Inzwischen sind sie junge Leute und im wahrsten Sinne rausgewachsen aus Büchern ihrer Kleinkind-, Kindergarten- und Grundschulzeiten. Doch wohin mit den guten Stücken? Jahrelang in Kisten im Keller oder auf dem Dachboden? Dort würden sie ein tristes Dasein fristen und wer weiß, ob eines Tages mal Enkelkinder darin lesen. Also haben wir drei zusammen mit anderen Ehrenamtlichen in meiner Kirche einen Kinderbücher-Schrank befüllt. Seinen Platz hat er im Familienzentrum „MagDas“ in der evangelischen Maria-Magdalena-Gemeinde auf dem Lerchenberg. Dort kann nun nach Herzenslust gestöbert werden, so bei Gottesdiensten, Kursen für Familien und Veranstaltungen. Die Freude am Lesen von klein auf zu fördern, geht hier somit einher mit Nachhaltigkeit.

Inzwischen bin ich wieder in Mainz-Drais angekommen, wo ich wohne. Soll ich gleich ins Büro, um mich den nächsten Artikeln zu widmen? Von wegen – nun habe auch ich mir einen Kaffee verdient. Und wo schmeckt der besser als in meiner „zweiten Wohnstube“, wie ich sie liebevoll nenne, die „Cafédrale“ in der evangelischen Kirche. Cafés kennt ihr und auch Kathedralen, doch was könnt ihr euch darunter vorstellen? Die Räume der Kirche in Drais werden zu Begegnungsorten. Dort sollen jetzt und auch in Zukunft Kreativität, Umweltbewusstsein und Gemeinschaft generationenübergreifend gelebt werden. Einiges haben Aktive aller Generationen nun schon auf den Weg gebracht: Dreimal pro Woche kann man hier nachmittags Kaffee, Tee, Limo und leckeren Kuchen genießen, liebevoll gebacken von Damen aus dem ehrenamtlichen Team. Klar, manche schütteln erst mal den Kopf, wenn sie davon hören: „Kaffee trinken mitten in der Kirche? Dort zusammen essen, lachen, spielen – ist das nicht zu profan für einen heiligen Ort?“ Doch all das finde ich hier am richtigen Ort, der eine besondere Atmosphäre hat. Sie wird auch spürbar bei Kunstausstellungen, Kultur, Kino und Kirche in neuen Formaten, etwa in Talk-Runden zu Wohnzimmergottesdiensten. Auch in den Gesprächen fühle ich Herzenswärme und Humor, gelebte Gastfreundschaft. Hier wird gespendet, was sich ermöglichen lässt. Das gilt auch für das neue Coworking-Angebot freitagvormittags. Dann bietet die Cafédrale Freiraum für konzentriertes und kreatives Arbeiten, ob für sich oder mit anderen. Der Gruppenraum nebenan kann für Besprechungen genutzt werden und wer mag, kann auch den Nachwuchs mitbringen, denn es gibt einen familienfreundlichen Bereich mit Spielecke. In den Pausen lässt sich auf der Terrasse und in der Natur ringsum Kraft schöpfen. Und, ganz wichtig: Auf Sofas und Sesseln lässt sich wunderbar lesen. Also, schnappt euch Bücher oder den sensor und kommt mal vorbei.

 

Text: Nicole Weisheit-Zenz
Foto: Thomas Schneider

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