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Kult-Gastronom Pierre Stadelmann verstorben

Foto: Sascha Kopp

Seinen kräftigen französischen Zungenschlag hat er auch nach über 50 Jahren nicht abgelegt. „Er ist der am schlechtesten integrierte Franzose in Mainz“, witzelt seine Tochter Murielle (Foto). Und die meisten Mainzer mochten ihn wegen seines schweren Akzents, vor allem die Mademoiselles. Nun ist Pierre Stadelmann von uns gegangen, mit 74 Jahren.

Überhaupt ist er nur wegen einer Mademoiselle, Murielles Mutter, nach Mayence übergesiedelt, sie hatte eine Anstellung im französischen Konsulat gefunden. 1968 war das.
Geboren wurde er in der Nähe La Rochelles, an der französischen Atlantikküste, wo er sich nach wie vor verwurzelt fühlt – und vor allem die maritime Küche liebt. Der huldigt er heute etwa mit täglich frischen Austern und einer Soupe de Poissons auf der Speisekarte des Weinhauses Bluhm, seiner aktuellen und wohl auch letzten Station als Wirt. Angefangen hatte er ja eigentlich als Fotograf. Bis sein Arbeitgeber pleite ging.

Da versuchte sich Pierre Stadelmann erstmals als Gastronom, eröffnete das „Chez Pierre“ in der Rheinallee, eine einfache Arbeiterkneipe zunächst. Den bis dato unbekannten französischen Einschlag antizipierten die Mainzer auf ihre Art: Im Volksmund firmierte das Lokal als „schää Bier“, und von „Chez“ glauben einige bis heute, dies sei Stadelmanns Vorname.

Der Jungwirt entwickelte schnell ein Gespür dafür, seinen Lokalen eine eigene Note zu verleihen. Das „Chez Pierre“ mutierte zum Bistro, in dem auch Live-Musik gespielt wurde. Ein Profil, das er weiter schärfte, als er später mit dem „Caveau“ in das Institut français einzog.

Das Stadelmannsche Gastronomenleben war oft begleitet von ärgerlichen, aber stets mit bärbeißigem Charme geführten Auseinandersetzungen mit dem Ordnungsamt. Wenn Monsieur Pierre von dessen langjährigem Leiter erzählt, bekommt sein ohnehin raues Timbre etwas zusätzlich Knurrendes, und die Schilderung, wie ihm zwei Ordnungsbeamte einst sein Klavier im „Bubbles“ verplombten, gerät zur kleinen Kabarettnummer.

Vom „Bubbles“ aus hat er einst am Rosenmontag die Augustinerstraße mit aus Brasilien importierten Samba-Rhythmen beschallt. Und der „uff de Gass“ tanzenden Narrenschar eiskaltes elsässisches Trapistenbier in 0,75 Liter-Pullen ausgeschenkt – das hatte vor ihm auch noch keiner gemacht. Im „Bodega“ in der Holzhofstraße feierte er als einer der ersten Wirte Techno-Partys. Davor wiederum war er einige Jahre am legendären „L’ Escalier“ im Winterhafen beteiligt.

Als er nach dem „Bubbles“ das „Templer“ in der Kapuzinerstraße übernahm, versuchte er sich erstmals an einem Speiselokal mit – natürlich – ordentlich französischer Komponente. „Ein begnadeter Koch war er immer“, erzählt Murielle Stadelmann, die in dieser Zeit dauerhaft an die Seite ihres Vaters wechselte. Auch als Küchenkünstler ist der Senior Autodiktat. „Menschen bekochen zu dürfen, macht nochmal glücklicher, als ihnen nur Alkohol auszuschenken“, doziert Monsieur Pierre – und gab sein Credo preis: „Ich bin kein Gastronom, ich bin ein Gastrosoph.“

Nach dem „Templer“ versuchten sich Vater und Tochter in Klein-Winterheim, doch ihr kulinarisches „Savoir Vivre“ wollte zu der Wohn- und Schlafgemeinde nicht so recht passen. 2015 erhielten sie das Angebot, das Weinhaus Bluhm in der Badergasse zu übernehmen: „Eines der traditionsreichsten Häuser von Mainz – wer hätte dazu nein sagen wollen?“

Beide haben nicht vergessen, dass der Wechsel von einigen Missklängen begleitet war. Mancher eingefleischte Traditionalist fürchtete, „die zwää Franzose“ würden dem Bluhm seinen ureigensten Charme rauben. Andererseits sei das Haus dringend renovierungsbedürftig gewesen, hält die Juniorchefin dagegen. „Und, ja, wir haben auch seinen Charakter verändert. Manchmal aber müssen die Dinge sich auch ändern.“
Am Ende stellten sich all die Possen als Schall und Rauch heraus. „Wir waren vom Start weg gut besucht. Und haben unser Publikum gehalten.“ Denn auch französische Lebensart hat in Mainz Tradition. Und für ausreichend einheimisches Lokalkolorit ist nach wie vor gesorgt, etwa auf der Weinkarte: 90 Prozent aller Rebensäfte kommen aus Rheinhessen. Nicht zuletzt waren auch die Original-Wirte Bernd und Lotti Bluhm höchstpersönlich schon zu Gast – und zeigten sich absolut zufrieden mit der Stadelmannschen Neuinterpretation der gastronomischen Altstadt-Ikone.
Womit nun längst nicht alle Kapitel angerissen sind, aus denen Pierre Stadelmann schöpfen konnte. Allen gerecht werden ließe sich wohl nur in einem dicken Buch. Das aber, deutet der Maître in seinem unverwechselbaren Tonfall an, „wäre unter gar keinen Umständen jugendfrei.“

Nun ist er doch schneller von uns gegangen als gedacht. Mainz hat einen guten weniger.

Text zum Großteil aus der Allgemeinen Zeitung von Eric Scherer

 

6 responses to “Kult-Gastronom Pierre Stadelmann verstorben

  1. Sehr geehrte liebe famielie ich wünsche euch viel kraft und gesundheit mein Beileid bin sehr traurig über die nachricht liebe grüsse gazi aus der metrl

  2. Liebe Mu,
    unfassbar und unendlich traurig.
    Ein wunderbarer Mensch ist gegangen. Ich wünsche Dir Kraft und bin in Gedanken und im Herzen bei Dir.
    Doris

  3. Erst vor einem Monat habe ich ihn zufällig in der Nähe vom Rathaus getroffen, er kam von einer Veranstaltung am Rhein, wo er geschäftlich was zu tun hatte und trug am Hemd ein Schild mit seinem Namen. Seit vierzig Jahren kannte ich ihn, Pierre. Zum ersten Mal, auf dem Zettel, habe ich seinen Familiennamen gesehen.
    Wie immer haben wir kurz gescherzt und gelacht. Ich wusste nicht, dass ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Er war ein Kämpfer.

  4. ‚Es gibt kein schöneres Vergnügen als einen Menschen dadurch zu überraschen, dass man ihm mehr gibt, als er erwartet hat .’
    ‚Schalom’

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