Es ist schon sehr verrückt, was da gerade passiert. Erst kaufen fischer+co die Immobilie in der Hinteren Bleiche und entfesseln in Hinblick auf die Bausubstanz einen Sturm in der Kino- und Kulturszene, der u.a. zum Abschied der alten Capitol-Betreiber führt. Nun heißt es plötzlich: Alles nicht so schlimm, das Gebäude könne eigentlich doch noch weiter genutzt werden. Man kommt aus dem Staunen kaum noch raus. Ein Abtritt der alten Macher inklusive der kompletten Beschäftigung aller Mainzer Medien, Bürger, Ämter etc. wäre vermeidbar gewesen. Doch von vorne.
Vor zwei Jahren erwarben fischer+co die Immobilie und der ganze Krempel begann. Nun hat die Stadt kein Geld mehr und kann folglich auch die Immobilie nicht mehr kaufen, noch anmieten. Und plötzlich sagen fischer+co gestern in der AZ: „sei man „angesichts der aktuellen Baupreise nicht ganz unglücklich, wenn das Gebäude weiter genutzt werden kann“. Man habe sich deshalb bereits mit den Beteiligten getroffen, um die ehemaligen Kino-Räumlichkeiten in Augenschein zu nehmen. „Wir sehen eine reelle Chance, das Gebäude zu reaktivieren.“
Auch den vorherigen Nutzern hätte man vor deren Auszug kommuniziert, dass der Weiterbetrieb vorerst möglich sei. Ob das so stimmt sei mal dahingestellt. Die alten Betreiber wissen davon nicht sonderlich viel. Befragt man sie zu dieser Entwicklung wäre ein Kopfschütteln noch das mildeste Mittel der Wahl.
Doch bevor es überhaupt zu einer „Reaktivierung“ käme, „müssten erst viele Stellen zustimmen und Zahlen auf den Tisch“, sagt fischer+co Geschäftsführer Frank Röhr. Die Räume des Palatin müssten wieder neu renoviert und wieder neues Equipment angeschafft werden. Der Verkauf und Auszug all dessen … für die Füße. Der Umfang der benötigten Maßnahmen stehe zwar noch nicht fest, doch sei ein längerer Mietvertrag über fünf bis zehn Jahre notwendig, damit sich laut Röhr die Investitionen lohnten: „Wenn alle Beteiligten es wollen, ist es zu schaffen“, ist sich der Geschäftsführer sicher. Doch sollte auch die Stadt Mittel zur Verfügung stellen.
Für die neuen Betreiber des Capitols ist dies auch überraschend, aber nicht ungelegen, so Christopher Bausch, Geschäftsführer der Arthouse Kinos Mainz GmbH. Sie wollten sich zwar zunächst auf den Betrieb des Capitols konzentrieren, doch warten sie natürlich auch auf den Start der Palatin-Kinos, denn im Verbund lässt sich wirtschaftlicher arbeiten. Allerdings steht hier ein Mietvertrag von um die 15 Jahre im Raum, auf den man sich einigen müsste. Und die große Frage bleibt auch hier: Wie steht es denn nun um die Bausubstanz und den einst besagten und besungenen Sanierungsstau? Welche Investitionen stehen noch an? Selbst die alten Capitol-Betreiber haben unserer Redaktion gegenüber immer wieder beteuert, wie schlecht fischer+co die Bausubstanz geredet habe, um einen Neubau zu errichten. Die plötzliche Kehrtwende lässt nur noch fassungslos zurück.
Bauamt weiß selbst nichts
Frisch wie das alles ist, weiß auch die noch amtierende Bau- und Kulturdezernentin Grosse (SPD) nicht, was wirklich Sache ist. Da der Betrieb der Kinos aber eigentlich im Koalitionsvertrag fest geschrieben ist und auch breite Teile der Bevölkerung hinter den Kinos stehen, könne man „durchaus gucken, ob das Palatin wieder genutzt werden kann“, spricht sie in der AZ.
Dabei hatte ihr eigenes Kultur- und Bauamt bescheinigt, dass das Gebäude dringend abgerissen werden muss und damit die kompletten Entwicklungen und Verwerfungen weiter unterstützt und befeuert. Darauf hatten auch die alten Betreiber immer wieder hingewiesen. Im haus-eigenen Interessenbekundungsverfahren von Marianne Grosse steht wortwörtlich: „Aufgrund einer baulich notwendigen Niederlegung und dem geplanten Neubau Hintere Bleiche 6-8 durch einen externen Investor kann die bisherige Kombination der derzeitigen Kinosäle Capitol & Palatin über die Bauphase hinweg nicht weiter wirtschaftlich zielführend betrieben werden. Der Neubau Hintere Bleiche 6-8 mit Wohn- und Geschäftsräumen soll erneut einen Kino-Neubau im Erdgeschoss beinhalten. Während der Kinobetrieb des bestehenden „Palatin“ durch Abriss und Neubau nicht möglich ist, soll das Ein-Saal-Kino „Capitol“ in der Neubrunnenstraße 9 durchgängig weiterbetrieben werden. Beide Standorte sollen perspektivisch dauerhaft als kulturelle und gesellschaftliche Orte der Film- und Kino-Kultur in der Landeshauptstadt Mainz erhalten und zukünftig wieder langfristig als Verbundstandort in Kombination weiter betrieben werden… “
Diese Kehrtwende plötzlich und das Gemauschel um die angebliche schlechte Bausubstanz scheint im Nachhinein nichts weiter als Blendwerk gewesen zu sein. Die ganze Aufregung der letzten Jahre: in weiten Teilen umsonst?
Was nun?
Es laufen offenbar bereits Prüfungen, was möglich ist. Und am Montag ist Sondersitzung Thema Haushalt im Stadtrat. Bis Januar muss über diverse Projekte beraten und beschlossen werden. Was bleibt, ist zum einen ein mehr als bitterer Nachgeschmack, denn den Stress der letzten Jahre hätte man sich für alle Beteiligte sparen können. Die Sache hat unfassbar viele Nerven und Geld verbrannt, neue Stellen im Kulturamt, Jury, Ausschreibung, Capitol-Ausstattungskauf & Anmiete, ein CinéStar-FILMZ, Gutachten, etc.
Zum anderen ist es natürlich unbestreitbar, das viele glücklich wären, die Palatin-Kinos wieder am Standort zu sehen – obgleich die Aussicht auf neue schönere größere Säle an dieser Stelle nicht auch ganz schlecht gewesen wäre. Mainz, wie es singt und lacht!