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Kann Architektur „defensiv“ sein? Stadtrat beschließt Abschaffung

Den Begriff defensiv kennen vermutlich viele von Fußballspielen, wo er als Synonym für verteidigen, für die Abwehr steht, im  Gegensatz zur Offensive, zum Angriff. In allen Kriegsereignissen sind Defensive und Offensive Standardbegriffe. Im Zusammenhang mit Architektur wird defensiv anders verstanden. Ein entsprechender Antrag: keine defensive Architektur in Mainz, wurde heute im Stadtrat beschlossen.

Zurück geht das Ganze auf 2018, als die Mainzer Netze am Hopfengarten auf einem Transformatorpodest, welches ursprünglich als Sitzgelegenheit gestaltet war, Metallstangen montierte, die einen Aufenthalt verhindern sollten. Auf dem Podest hielten sich öfter Obdachlose und Jugendliche auf. Dazu die Linken: „Der Vorgang am Hopfengarten ist ein Skandal. Die Stadt und die stadtnahen Betriebe sollen Obdachlosigkeit bekämpfen und nicht Obdachlose. Die Wohnungslosenunterkünfte sind stetig unterfinanziert und müssen sich an private Spender wenden während die Mainzer Netze sinnlose Vertreibungsmaßnahmen umsetzen. Trotz der Metallstreben sitzen auf dem Podest regelmäßig dieselben Leute, die sich zuvor dort aufhielten. Natürlich gibt es dort Probleme, vor allem wenn Alkohol im Spiel ist. Verdrängung wird diese Probleme allerdings nur verlagern – nicht lösen.“

Wobei Architektur über Gebäude oder Siedlungen hinausgehend, auch Stadtmöbel einschließt, also Bänke und Sitzgelegenheiten, die im öffentlichen Raum aufgestellt und in der Regel durch Steuergelder bezahlt werden. Diese Architektur, ergänzt um den Begriff „defensiv“ wird „wehrhaft“ und u.a. als „Anti-Obdachlosen-Architektur“ angewendet. Beispiele für solche „wehrhafte Architektur“ gibt es schon seit den 1970er Jahren in der Pariser Metrostation „Louvre“; in Deutschland werden seit den 2000er Jahren Elemente der „defensiven Architektur“ eingesetzt.

Im Antrag der Mainzer Linken-Fraktion geht es um Sitzmöbel, die verhindern, dass sich Menschen darauf niederlegen können, der Länge nach, vom Kopf bis zu den Füßen. Ist die ganz normale Sitzbank durch eine Lehne unterbrochen, klappt das nicht mehr. Wer auf dem kurzen Stück liegen will, muss sich zusammenrollen. Üblicherweise nutzen die Menschen Bänke zum Ausruhen und sitzen darauf. Es gibt aber auch Menschen in Mainz, die haben kein Bett, in dem sie sich zum Schlafen niederlegen können. Wohnungslos sind sie, obdachlos. Die nutzen durchaus auch mal eine Bank, um sich hinzulegen. Das gefällt nicht Allen. Manche fühlen sich gestört. Weniger, weil sie selbst unbedingt auf der Bank sitzen wollen. Mehr, weil es nicht schön aussieht, wenn ein Mensch, der vielleicht nicht ganz tadellos gekleidet ist, am helllichten Tag auf einer Bank schläft.

Im Antrag der Mainzer Linken zur Stadtratssitzung am 27. November 2024 stand u.a. folgendes:

„Die Stadt Mainz trägt die Verantwortung dafür, dass alle Menschen, die hier leben, ihren Platz in der Stadt behalten. Wohnungslose Menschen sind ein fester Bestandteil unserer Stadt und ihre Existenz darf nicht durch bauliche Verdrängungsmaßnahmen unsichtbar gemacht werden. Dennoch setzen viele Städte auf sogenannte defensive Architektur, um diese Menschen von öffentlichen Plätzen fernzuhalten. Vor allem an Orten mit hohem touristischem Aufkommen wird versucht, Armut aus dem Blickfeld zu verbannen. Beispiele für solche Maßnahmen sind Bänke mit Trennstangen, Metallspitzen auf Bodenflächen oder Sitzgelegenheiten, die es unmöglich machen, sich hinzulegen. Auch in Mainz beobachten wir entsprechende Bauten, wie zum Beispiel an der Trafostation an der Ecke Holzstraße/Augustinerstraße. Auf der großen Fläche wurden Stangen angebracht, die einzig den Zweck verfolgen, ein Verweilen auf der Fläche zu verhindern. Kürzlich wurde der Bonifaziusplatz umgestaltet und hat grundsätzlich eine gewisse Aufwertung erfahren. Allerdings wurden Bänke mit als Armlehnen getarnten Zwischenstützen installiert, die ein Hinlegen verunmöglichen. Gerade rund um den Hauptbahnhof und die Bonifaziuskirche halten sich regelmäßig wohnungslose Menschen auf, auch zum Übernachten.“

Beschlossen wurde heute demnach in einem gemeinsamen Antrag der Stadtratsfraktion CDU + BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stadtratsfraktion + SPD Stadtratsfraktion + Linke, der gemeinsame Änderungsantrag / Änderung der Vorlage 1710/2024 „Verweilen ermöglichen – keine defensive Architektur in Mainz!“ (von Die Linke) mit  Ja: 51, Nein: 4, Enthaltung: 0, Befangen: 0.

Der Antrag wurde wie folgt geändert:

1. Die Stadtverwaltung soll entsprechende Schritte unternehmen, sodass ein Sitzen, Liegen und Verweilen an der Trafostation Ecke Holzstraße/Augustinerstraße wieder möglich und nicht durch die aktuell angebrachten Stangen verhindert wird.

2. Bei der Auswahl von Stadtmöblierung werden sowohl Forderungen aus dem Seniorenbeirat, als auch Beratung von Sozialverbänden und Betroffenen von Wohnungslosigkeit bzw. ehemals Wohnungslosen aufgenommen und systematisch die Verweilgelegenheiten für die unterschiedlichen Bedarfe in allen Quartieren in Erreichbarkeit ermöglicht.

3. Grundsätzlich soll die Perspektive auch der von Wohnungslosigkeit Betroffenen bzw. ehemals Betroffenen bei Entscheidungs- und Abstimmungsprozessen zu Bauvorhaben der Stadt Mainz einbezogen und berücksichtigt werden. Es ist darauf zu achten, keine sogenannte defensive Architektur einzuplanen.

Begründung
Mainz ist eine vielfältige Stadt und auch die Stadtmöblierung sollte vielfältig sein. Bänke sollen allen Menschen zum Verweilen dienen, denjenigen, die eine Rückenlehne und Armlehnen rechts und links zum Aufstehen benötigen ebenso wie denen, die sich liegend ausruhen müssen oder wollen. An keinem Ort in Mainz sollte es nötig sein Gruppen von der Nutzbarkeit auszuschließen. Wir wollen alle zusammen leben, das heißt auch, dass wir die verschiedenen Belange von Anwohnenden, Wohnungslosen, Senior:innen und Kindern berücksichtigen wollen.

(Marion Diehl Textquelle:  Antrag 1710/2024 zur Sitzung des Stadtrates am 27.11.2024)

1 response to “Kann Architektur „defensiv“ sein? Stadtrat beschließt Abschaffung

  1. Endlich. 2018 habe ich mich am Tag der Montage der Stangen als Anwohner bereits mit einer Beschwerde an die Stadt gewandt. Diese teilte mir mit, dass die ‚Mainzer Netze‘
    die Stangen angebracht habe. Ich habe dort also ebenfalls darum gebeten Selbige wieder zu entfernen. Über die Pressestelle wurde mir mitgeteilt, dass die Stangen dort wären, um längere Aufenthalte zu verhindern, da die Strahlung des Trafos gesundheitsschädigend sei.

    Mein Einwand, dass am Gartenfeldplatz ein ähnlicher Trafo steht (ohne Stangen) blieb unbeantwortet.

    schön, dass dieser Unfug beendet ist

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