
Die Mainzer Jazz-Szene im Fluss der Zeit. Was hat sich verändert? Was ist geblieben? Wir stellen neue und alte Initiativen und Projekte vor:
Wer noch die letzten Reste der schleppenden Frühjahrsmüdigkeit loswerden möchte, dem sei ein guter Tipp gegeben: Jazz. Welche Musikrichtung verkörpert sonst so treffend das leichte und lebendige Gefühl des herannahenden Sommers? Nicht nur Frankfurt hat auf dem Gebiet etwas zu bieten, auch in Mainz hat sich einiges in der Szene getan – nicht zuletzt durch die Aktivitäten der Uni. Wir werfen einen Blick auf Veranstaltungen, Konzerte und Musiker, die die Mainzer Jazzszene bereithält.

„Jazz ist nicht nur Musik“: Sebastian Sternal
Sebastian Sternal ist nicht nur eines der bekanntesten Gesichter des deutschsprachigen Jazz, sondern auch ein waschechter Mainzer: hier geboren, hier zur Schule gegangen und aufgewachsen, in einer Lehrerfamilie. Den Jazz lernte er bereits als Kind kennen; sein Klavierlehrer legte ihm diese Musikrichtung nahe, als er ihm schon im frühen Alter von sieben Jahren das Spielen beibrachte. Nicht weniger einflussreich war der Jazzposaunist Peter Herbolzheimer, der den jungen Sternal mit 15 Jahren ins Bundesjazzorchester holte. Nach Studienaufenthalten in den Jazzhochburgen Köln und Paris ist Sternal mittlerweile nicht nur der Leiter des Bujazzos, wie das Bundesjazzorchester auch manchmal liebevoll genannt wird. An einen zweijährigen Lehraufenthalt an der Hochschule für Musik und Tanz Köln schloss sich 2011 eine Professur für Jazzklavier an der Hochschule für Musik Mainz an, wo er bis heute seine Leidenschaft für den Jazz an seine Studenten weitergibt. Und auch sonst hat sich viel getan: Dreifacher ECHO Jazz- Gewinner, Träger des Neuen Deutschen Jazzpreises, auch den Jazzpreis des WDR und den Mainzer Jazzpreis hat er abgeräumt – als ob eine Professur mit gerade mal 28 Jahren seinem Erfolg nicht genug Recht geben würde. Sein Geheimrezept? „Jazz ist nicht nur eine Musikrichtung mit ihrer dazugehörigen Geschichte, sie ist auch ein Prinzip, eine Lebenshaltung“, verrät Sternal. Gerade Jazz zeichne sich durch eine „radikale Offenheit“ aus, die nicht nur viel Raum für Kreativität lässt, sondern förmlich zum Improvisieren einlädt und dadurch die Essenz des Lebens, das Spontane und Momentane, immer wieder aufs Neue musikalisch festhält. Sehen und hören könnt ihr ihn gemeinsam mit dem SWR Jazz College, wenn am 13. Mai die Mainzer Jazzstudenten gemeinsam mit Bands der Hochschulen Mannheim und Stuttgart auftreten. Und nicht nur Studierende dürfen sich angesichts des Zeitpunkts über die Semesterabschlusskonzerte freuen, die seine Schüler am 19. und 20. Juli geben.
Der Jazz-Campus
Eine besondere Mischung aus akademischer Exzellenz und musikalischer Leidenschaft ist der Jazz-Campus Mainz. Als internationales Ausbildungsprogramm in Verbindung mit der Uni vereint er die Spitzenförderung talentierter Jazzmusiker aus aller Welt mit regionaler Nachwuchsarbeit. Die Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche: Während in den „Summer Schools“ Vorbereitungskurse für aufstrebende junge Jazzkenner veranstaltet werden, dient das „Gutenberg Jazz Collective“ als erstklassiges Ausbildungsprogramm. Für ein Jahr bildeten zuletzt sechs hochtalentierte Musiker das Ensemble. Neben dem deutschen Jazzbassisten Jakob Jäger sind Studenten aus Lettland, Norwegen, Italien und Frankreich vertreten. Auf Konzerttermine müsst ihr euch aber gedulden, bis der neue Jahrgang des Jazz Collectives ausgewählt wurde.

Jörg Heuser & die „Jazzinitiative Mainz“
Mit Dr. Jörg Heuser gibt es eine weitere Persönlichkeit, welche die Mainzer Jazzszene so geprägt hat wie kaum eine andere. Wie Sternal kam auch er als Kind zur Musik, nahm mit neun Jahren Unterricht im klassischen Klavier. Anders ist aber, dass sich Heuser bei seinem Weg zum Jazz ein wenig mehr Zeit gelassen hat und dass er sein Lieblingsinstrument nicht im Klavier, sondern der Gitarre entdeckte. Erste Einflüsse aus Blues und Rock ließen ihn mit verschiedenen Stilrichtungen experimentieren. „Jimi Hendrix, Deep Purple, Santana – ich dachte, das ist das Beste überhaupt für die Gitarre.“ Das sollte sich ändern, als er mit 14 Jahren ein Konzert von Weather Report besuchte. Als die bekannte Fusion-Band der 70er Jahre die Welt des Jazz vor Heusers Augen und Ohren ausbreitete, sei er geflasht gewesen: „Ich hab zuerst gar nicht verstanden, was da passiert und was die da spielen. Ich wusste nur, es war so viel besser als alles, was ich bisher gehört hatte.“ Mit 17 folgten die ersten halbprofessionellen Auftritte in eigenen Bands, zwischen 1986 und 1993 studierte er Musik in Mainz und verfasste mit über 600 Seiten Musikanalyse einen Dissertationswälzer über den Jazzgitarristen Pat Martino. Als Stipendiat ging Heuser ein Jahr in die USA, um am renommierten Berklee College of Music Gitarre und Komposition zu studieren und von Größen seines Fachs wie Bret Willmott, Joe Pass oder Bob Mintzner zu lernen. Bis 2001 lehrte er Jazz-Harmonielehre an der JGU Mainz, seitdem wirkt er als Dozent für Jazzgitarre und Jazzgeschichte an der Frankfurter Musikwerkstatt und anderen Musikschulen in der Region. Wenn Heuser gerade mal nicht sein Wissen an seine Schüler weitergibt oder selber an der Gitarre sitzt, dann veranstaltet er gemeinsam mit der Jazzinitiative Mainz (JIM) Konzerte. Seit ihrer Gründung 1988 ist der Zusammenschluss aus Musikern, Jazzenthusiasten und Veranstaltern der Region ein bekanntes wie geschätztes Milieu im Mainzer Kulturbetrieb. Zwei Mal im Monat, jeden dritten und vierten Samstag, sind reguläre Konzerte geplant. Die eine Hälfte der Konzerttermine geht an Jazzbands aus der Region, die anderen Termine werden an Bands aus dem europäischen Ausland vergeben. Mit dieser Aufteilung will man die Jazz-Szene in der Rhein-Main-Region „nicht nur sichtbar machen, sondern auch stärker untereinander vernetzen“, so Heuser. Hinzu kommen seit 2010 größere Sonderkonzerte mit international bekannten Musikern. Allein dieses Jahr waren schon Bill Evans und die Tribal-Tech-Legenden Scott Kinsey und Scott Henderson zu Gast. Alle Konzerte finden im M8 Live Club statt, der seit 2002 zur festen Spielstätte der Jazzinitiative geworden ist. „Wir stellen das Personal für den Getränkeverkauf, die Einnahmen gehen ans Haus“, erklärt Heuser. Im Gegenzug werden der Initiative die Mietkosten erlassen: eine Win-Win-Situation. Das Programm ist zwar erst bis Mai veröffentlicht, trotzdem hat die Jazzinitiative Mainz einiges im Angebot. Das „Sandia Quartett“ bringt euch am 17. Mai Jazz aus Israel mit, bevor eine Woche später die Band Jilman Zilman mit Simon Nabatov bei ihrer „Farewell Tour“ einen Abstecher in Mainz macht.
Ganz schön Jazz: Das „schon schön“
Das schon schön gehört seit seiner Eröffnung 2010 zu den gefragtesten Mainzer Kulturstätten. Als vielseitige Location für Partys und Konzerte beherrscht jeden Tag ein anderer Stil die Tanzfläche, und auch der Jazz hat hier Einzug gehalten: Die Konzertreihe „Ganz schön Jazz“ bringt jeden ersten und dritten Montag im Monat Musiker und Bands auf die Bühne – mal hier aus der Stadt, mal aus einem anderen Land. Dabei versuche man, den Jazz „möglichst weit zu fassen“, so Booker Jan May. Besonders beliebt sei der Fusion Jazz, der sich offen für Einflüsse aus gänzlich anderen Musikrichtungen zeigt: „Electro, Hiphop, manchmal sind sogar Elemente aus dem Techno dabei.“ Außerhalb der Reihe ist auch hier bei besonderen Gelegenheiten das „Gutenberg Jazz Collective“ zu Gast. Dann sind auf der Bühne internationale Stars des Jazz zu sehen, gepaart mit Studierenden und Talenten aus Mainz. Auch das Abschlusskonzert dieser Saison mit Melissa Aldana hat im April in der gemütlichen Atmosphäre des beliebten Kulturclubs stattgefunden.

Jazz als „demokratische Kunstform“: TONKULT
Hinter dem originellen Namen „TONKULT“ steht ein Kollektiv aus lokalen Jazzmusikern, die mit ihren Konzerten die Mainzer Jazzszene in bestechender Regelmäßigkeit aufmischen. Kern ihres Programms sind die beiden Veranstaltungsreihen „TONKULT jammt“, die außer Juli und August jeden 2. Sonntag im Monat im M8 stattfindet, und „TONKULT meets“, wo in Kooperation mit dem Jazz-Campus lokale Bands auf internationale Künstler treffen. Außerdem soll das Format POST JAZZ, das letztes Jahr in Zusammenarbeit mit dem Alten Postlager sein Debüt hatte, dieses Jahr mit vier weiteren Veranstaltungen etabliert werden. Geplant sind neben zwei Doppelkonzerten in intimer Atmosphäre – „eine Jazzveranstaltung mit Wohnzimmercharakter“, wie der erste Vorsitzende Pit Marquardt verrät – auch wie letztes Jahr ein Tagesfestival, die Termine stünden aber noch nicht fest. Ziel sei es dabei nicht nur, die Mainzer Jazzszene stärker und vielfältiger zu gestalten. Das Kollektiv möchte auch die Perspektive auf Jazz als „demokratische Kunstform“ lenken: „Jazz schöpft seine Kraft aus der Verbindung von Selbstausdruck und Kreativität, er ist offen und wächst durch Teilhabe.“ Deswegen wolle man mit dem POST JAZZ ein Festival nicht nur für, sondern auch mit den vielen Mainzern ins Leben rufen, die sich für die Offenheit des Jazz interessieren. Denn ein Leben ohne Jazz, findet Marquardt, das sei nun mal wie eine Margherita ohne Tomatensauce: geschmacklos und labbrig. Das nächste Konzert von TONKULT findet übrigens am 25. Mai als POST JAZZ wieder im Alten Postlager statt.
Jazz XXL: Der Frankfurter Hof
In der Liste der besten Veranstaltungsorte für Jazz darf er nicht fehlen: Der Frankfurter Hof in Mainz ist nicht nur eine der schönsten, sondern auch traditionsreichsten Veranstaltungsstätten. Mitten in der Altstadt gelegen, verbindet das Gebäude aus dem Jahr 1841 historischen Charme mit moderner Kultur. Seit der feierlichen Wiedereröffnung 1991 gingen dort die lokale Musik-Avantgarde ebenso wie internationale Stars ein und aus, auch die Jazzlegende Herbie Hancock war schon zu Gast. Herzstück des Frankfurter Hofs ist neben dem lichtdurchfluteten Galeriefoyer der Große Saal, der Konzerte und Vorträge für bis zu 600 Personen möglich macht. Im Erdgeschoss lädt die stilvoll-elegante Weinbar Deisters zum Verweilen bei einem Glas Wein oder etwas Ausgefallenerem ein. DIE Jazz-Reihe schlechthin war hier der „Treffpunkt Jazz“, der dieses Jahr pausiert, ob die Reihe im nächsten Jahre wieder stattfinden wird, ist noch unklar. Im Mai warten dennoch gleich drei Konzerttermine auf euch. Am 9.5. präsentiert Michael Kaeshammer seine ganz eigene Mischung aus Jazz und Pop, am 23.5. stellt Trompeter Bill Petry mit seiner Band sein neuestes Album „Close your Eyes“ vor, und am 29.5. kommt die norwegische Jazzsängerin Silje Nergaard mit Trio zu Besuch. Und auch der September hat in Sachen Jazz einiges zu bieten. Den Auftakt bilden am 19.9. die ECHO Jazz-Preisträger Nils Wülker und Arne Jansen, zwei Tage später folgt der Moderator und Multiinstrumentalist Götz Alsmann (auch bekannt als König des deutschen Jazzschlagers), und am 26. September gibt Sebastian Sternal gemeinsam mit der hr Bigband sein neuestes Werk „Turning Point“ zum Besten.

Gastronomie trifft Kultur: Zum grünen Kakadu
Der Name des Grünen Kakadus, dem Restaurant des Staatstheaters, geht zurück auf die gleichnamige Theaterschrift des österreichischen Schriftstellers Arthur Schnitzler. Inspiriert von Schnitzlers Groteske, will der „Grüne Kakadu“ Gastronomie und Kultur verbinden, und so ist das stilistisch im Geiste der 1920er Jahre gehaltene Restaurant regelmäßiger Treffpunkt für Lesungen, Chanson-Abende und Podiumsdiskussionen. Und auch der Jazz findet hier immer wieder Platz: In seiner Konzertreihe „Sam Hogarth invites“ lädt der Pianist und Komponist Sam Hogarth regelmäßig bekannte Jazzgrößen zum gemeinsamen Spielen in die Bar – am 2. Mai ist der Saxofonist Oliver Leicht aus Köln zu Gast. Seit 1992 spielte er in diversen Bands, seit 2005 ist er Mitglied der hr-Bigband. Das wars mit unserem Tauchgang in den Ozean des Mainzer Jazz. Nicht zu vergessen sei noch der „Jazz im Atelier“ bei Christiane Schauder; Zuhörer wie Musiker schätzen hier das private Ambiente, wozu auch die traditionelle Suppe nach der letzten Note gehört. Sowie die Reihe „SommerNachtJazz“ in der Altmünsterkirche – meistens im Juli mit einer Kombination aus Lesungen und Musik. Zum Abschluss sei euch das Jazzfestival 2025 von rheinhessen- KULTur, einer Kooperation rheinhessischer Kulturveranstalter, wärmstens empfohlen. Vom 17. bis 25. Mai findet unter diesem Namen ein regionen-übergreifendes Projekt statt, bei dem insgesamt sechs Bands auf fünf Konzerten die ganze Bandbreite des Jazz präsentieren. Als großes Highlight ist zum Abschluss ein Riverboat-Shuffle auf dem Rhein geplant. Alle Termine und Konzerte findet ihr auf www.rheinhessen-mitte.de/jazzfestival- 2025/.
Text: Felix Werner
Fotos: Franziska Gill