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Gutenbergs Erben

Für Buchverlage ist Mainz „nicht Hamburg und nicht Berlin”. Ist unsere Stadt wirklich so weit entfernt von einer „Kreativmetropole”? sensor wagt einen Blick auf die Mainzer Verlagsszene.

Flirts mit dem Auge: Bücher von Hermann Schmidt

Große leuchtende oder glänzende Buchstaben sind in Karin Schmidt-Friderichs Büro verteilt. „Eigentlich sammeln wir die privat“, lacht sie und es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie das Verlegerehepaar von großen Lettern magisch angezogen ist. Typografie ist nicht nur die Spezialität ihres Familienunternehmens; sie ist persönliche Leidenschaft. Dabei entstehen außergewöhnliche Bücher. Die Bücher des Hermann Schmidt Verlags beschäftigen sich durchweg mit typographischer Kunst und Grafik-Design. Selten ist auch Literarisches dabei – jedoch immer mit dem Anspruch an Form und Ästhetik. „Die Form macht den Inhalt liebenswert, ja begehrenswert“, sagt die Verlegerin. Dies wird verständlich, wenn man über das Papier der Bücher streicht und den Blick auf die sorgfältig ausgewählten Schriftschnitte und hochwertigen Bebilderungen konzentriert. Als „Geschenk an sich selbst“ bezeichnet Karin Schmidt-Friderichs deshalb auch das Interesse vieler Kunden. Im Gegensatz zum E-Book bleibt vor allem beim Hermann Schmidt Verlag das gedruckte Buch die hochwertigere Alternative: „In E-Mails tolerieren wir Fehler oder Kleinschreibung, aber wenn wir einen traditionellen Brief mit Füller auf Papier verfassen, achten wir penibel auf Korrektheit und Sorgfalt.“ Als Bestätigung ihrer These erscheint momentan der Titel „Kalligrafische Sinfonien“. Ein Buch, das zum Komponieren von Schrift anregen und den Rhythmus von Texten erkunden will. Eine weitere Neuerscheinung: „Kreativität aushalten. Psychologie für Designer“. Und für die Weihnachtszeit ein besonderer Einfall: der typografische Adventskalender mit X wie X-mas, als 24. Buchstabe des Alphabets.
www.typografie.de

PediaPress: Das flexible Buch

Ein Unternehmen in der Mainzer Neustadt animiert seit einiger Zeit dazu, eigene Bücher herzustellen – in drei Minuten und ohne Lektor. Pedia-Press heißt das Startup. Man versteht sich mehr als Softwareentwickler denn als Buchverlag. Und trotzdem ist das Ziel auch hier, Bücher zu verkaufen. Nur, dass die Buchidee vom Käufer selbst kommen muss. Nehmen wir beispielsweise einen Fan der rheinland-pfälzischen Hauptstadt. Womöglich kommt er aus Hamburg. Er kennt weder Gonsenheim, noch den Fastnachtsbrunnen, noch Weck, Worscht un Woi. Also erkundigt er sich bei Wikipedia. Hier kann er nun unter der Option „Buch erstellen“ einen Buchgenerator aktivieren und sich Texte zusammenstellen. Mit wenigen Klicks kommt ein Inhaltsverzeichnis samt Index hinzu. Schnell noch Titel, Farbe und Buchcover auswählen und bereits wenige Tage später liegt das fertige Buch im Briefkasten. „Wir sind selbst überrascht über die Ideen der Kunden“, erzählt Eva-Maria Biedenbach, Pressesprecherin bei Pedia-Press. Autoliebhaber stellen Bücher über die schon getesteten Modelle zusammen, manche basteln Geschenkbücher für ihre Lieben, andere sind Eisenbahn-Enthusiasten, benötigen Chemie-Lernhilfen oder sind Fans eines ausgefallenen Computerspiels. „Wir machen Bücher beweglich“, sagt Christoph Kepper, Business Developer. „Das gedruckte Buch hat immer noch eine „unschlagbare Usability“. Man kann es in die Badewanne mitnehmen oder an den Strand. Aber Bücher verändern sich. Sie sind nicht mehr so statisch wie früher.“ Dass jetzt jeder ein Buch erstellen kann, passt zur Idee der Wikimedia Foundation, die sich der Förderung freien Wissens verschrieben hat. Zehn Prozent vom Verkaufserlös der PediaPress-Bücher gehen an die gemeinnützige Organisation. Als der Software-Unternehmer Heiko Hees PediaPress vor vier Jahren gründete, hatte er es eigentlich nur für den deutschsprachigen Markt geplant. Mittlerweile existiert die Software bereits in vielen anderen Sprachen. Eine Idee made in Mainz.
www.pediapress.com

Ventil: szenige Bücher mit Substanz

Zwischen Bierdosen, Tropfkerzen und Knoblauchzehen lungert in nicht wenigen links angehauchten Wohngemeinschaften das „Ox-Kochbuch“ herum. Eines der Aushängeschilder des Mainzer Ventil Verlages. Entstanden aus der kulinarischen Beilage des Punk-Magazins Ox sind alle Rezepte vegetarisch und mit einem passendem Musiktipp versehen. Man munkelt, der Ventil Verlag entstamme eben jener versifft-verruchten Studenten-WG. Belegt ist jedoch als Initialzündung des Unternehmens die private Leidenschaft zu Musikmagazinen (Fanzines), die damals auf Konzerten verkauft und getauscht wurden. Jens Neumann legte den Grundstein dafür und gründete den Ventil Verlag. Heute besteht er aus vier aktiven Mitarbeitern. Jedoch kann keiner von ihnen allein von der Tätigkeit im Verlag leben. Ihr Ansporn ist dennoch die Affinität zu den Inhalten. Das Verlagsprogramm spiegelt im Wesentlichen die Bereiche Subkultur, Musikszene und junge kulturelle Strömungen. „Wir wollen genauer hinsehen: Was passiert da und was bedeutet das für unsere Gesellschaft?“, fragt Jonas Engelmann. So erschien bei Ventil zum Beispiel das erste Buch zur „Emo“-Bewegung. Aber auch unterhaltsame Sachbücher finden sich. Diesen Herbst erscheint etwa „Crafista! Handarbeit als Aktivismus“ und „Riot Grrl!“, die Geschichte einer feministischen Punkbewegung. Bunt und schrill wie die Musikszenen sind auch die Bücher gestaltet, oft von Oliver Schmitt, übrigens offizieller Gestalter von Walter Moers. Schmitt schätzt an Ventil die offene Struktur des Verlags, frei von Hierarchien. Deshalb hat hier auch ein Buch eine Chance, das eigentlich nicht in das Profil passt: Im Herbst erscheint ein leiser Debütroman von Sabine M. Krämer, „Bis später“, eine Geschichte über Sterben und Erinnerung.
www.ventil-verlag.de

Karl Napp: „Wie Fassenacht, nur in Buchform.“

So beschreibt Dieter Schmidt seine Mainzer Kriminalromane. Er scheut sich nicht, Mainzer Berühmtheiten und Eigenheiten zum Narren zu machen: Karl Napp als Urmainzer „babbelt zu viel“, „Arschkrätzche“ ist Fastnachtsfunktionär und greift den Kellnerinnen immer an den Hintern, außerdem gibt es die „Meenzer Wohnklaugesellschaft“ und die „First Lady“ von „Burt Keck“ ruft ihm zu: „Nemm frischi Unnerwäsch mit unn schteck der ä Sackduch in!“ Die Bücher des Karl-Napp-Verlags gehören zur „Gattung Kokolores“ und „für Spaß haben die Mainzer immer etwas übrig“, so Schmidt. Bisher gab es jedenfalls noch keine Beschwerden. Der erste Krimi erschien 2001. Schmidt, der 1986 zum Geschichtsstudium nach Mainz gekommen ist, hat den Dialekt im Lauf der Zeit lieb gewonnen. Seine kräftigen Ausdrücke haben oft etwas Vulgäres, bieten sich aber zum „Dummbabbeln“ gut an, findet er. Besonders die Älteren beherrschen ihre Mundart, was unnachahmlich witzig sein kann. Inspiration erhält Schmidt durch seine Tätigkeit als Briefbote: „Für Sozialstudien ist dieser Job unbezahlbar“, sagt er. Das Studium musste er nach 33 Semestern schmeißen. Schmidt ist jemand, der Dinge aus Spaß macht – und dann mit voller Energie. Sein knallgelber Verlagswagen ist nicht wegzudenken auf Mainzer Märkten und Veranstaltungen. Er ist längst kein Unbekannter mehr: „Die alde Meenzer kenne sisch doch all“, wie es im neuen Krimi „Das Mainzer Bernsteinzimmer“ heißt. Mit dem Verkauf von 2000 Exemplaren pro Krimi ist Schmidt zufrieden: „Für Klein- und Graswurzel-Verleger ist Mainz ein gutes Pflaster.“
www.karl-napp-mainz.de

Fazit:

Die Mainzer Verlagsszene. Ein minimaler Ausschnitt. Mehrere Dutzend Klein-, Mittel und Großverlage tummeln sich hier. Zu bewundern etwa auf der Büchermesse im Rathaus am 20. und 21. November, der Mainzer Minipressenmesse (2. bis 5. Juni 2011) oder teilweise auf den großen Buchmessen. So zeigt sich wieder einmal: Mainz braucht sich nicht zu verstecken. Hier werden jede Menge kreative Bücher gemacht. Ein gutes Pflaster für Verleger.
Text: Regina Roßbach
Fotos: Alexander Hoffmann