von Felix Monsees, Foto: Daniel Rettig
Sobald die Sonne scheint, schwappt ein Meer von Grillwütigen über den Volkspark und flutet die Wiesen mit Picknickdecken und Tupper-Ware. sensor ist mitgeschwommen und hat sich umgeguckt.
Früher residierten die Kurfürsten im Stadtpark. An das 1793 zerstörte Schloss Favorite erinnern heute neben dem Namen des dort befindlichen Hotels nur noch wenige Statuen. Ruhig ist es hier, auch bei gutem Wetter lassen sich nur wenige Pärchen zwischen Flamingoteich und Rosengarten nieder. Erst hinter Fußgängerbrücke und Papageienhäuschen betritt man das Reich von Grillschwaden und Kindergeschrei. Im Volkspark ging es immer schon zur Sache. Seit dem 18. Jahrhundert war der Park Teil der Festung Mainz. Noch kriegerischer wurde es im 2. Weltkrieg. Der Park wurde so stark zerstört, dass er 1962 neu gestaltet werden musste. Am Wochenende ist hier Grillutopia – Massen von Wochenendlern verwandeln die Wiesen in ein Barbecue-Woodstock – ein Park der 1.000 Flammen. Jede Familie grillt ihre Fleischspieße auf die Art ihrer Vorfahren und Heimatländer. Selbst bei größter Hitze ist der Volkspark trotzdem kein „melting pot“ sondern eher „salad bowl“: Jede Nation kocht ihr eigenes Süppchen und grillt die eigene Wurst. Dort sitzt eine Gruppe von Frauen im Sari, hier betet jemand gen Mekka und drüben hocken chinesische Austauschstudenten im Gras und erholen sich vom Fußballspiel. Ein paar Meter weiter planschen Kinder im Wasser. Chlor, Sonnencreme und Frittenfett verbinden sich zu einem Schwimmbadgeruch. Erst an der Pommesbude wird wieder Deutsch gesprochen. Die Urgermanen im Volkspark sind erkennbar am Rückzug auf die Kernfamilie: Vater, Mutter, Kind. Und Dosenbier anstatt improvisierter Teeküche.
Hackfleischbällchen aus dem Kongo
Unter einer Baumgruppe steht ein Kreis von Biertischgarnituren mit weißen Überzügen. Lilli eilt zum Grill, denn der Mann, der eigentlich dort steht, versteht die dummen Fragen des Reporters nicht. Lilli und ihre Familie kommen aus Kinshasa, Hauptstadt des Kongos. Unter dem Schutz der Bäume feiert die Familie mit Freunden den Geburtstag ihrer Schwester. 30 Gäste werden erwartet. Tagelang hat das Geburtstagskind in der Küche gestanden und vorbereitet. Nun türmen sich Berge marinierten Fleisches auf einem Campingtisch: Muskat, Maggiwürze und einen türkischen Gewürzmix hat die Kongolesin vermischt. Die Marinade ist so international wie der Volkspark. Neben dem Grillfleisch wird ein riesiges Buffet aufgefahren, mit Spezialitäten „à la Congolaise“: gegrillte Kochbanane, frittierte Hähnchen, Maniok und ein Gemüse, das wie Spinat aussieht. „Das schmeckt wie Berliner, nur ohne Füllung“, sagt Lilli und zeigt auf eine Schüssel mit Gebäckkugeln, „vor allem bei Kindern sehr beliebt.“ Wie zum Beweis klaut sich ihr achtjähriger Sohn eines der süßen Etwas. „Wie heißt das auf deutsch?“, fragt Lilli ihren Sohn. „Hackfleischbällchen“, kommt die Antwort. Ebenfalls bei Kindern sehr beliebt. Ihr Schwager ist Obst- und Gemüsehändler aus Frankfurt, für den Geburtstag seiner Frau hat er große Obstkörbe in den Volkspark gebracht. Sehr zur Freude der eintrudelnden Geburtstagsgäste.
Aus Ankara und Wiesbaden
Weiter abseits vom Trubel sitzt Familie Dikkatli inmitten von Kinderwägen, Tupper-Ware und Picknickdecken. Dilek Dikkatli ist Mutter von zwei Söhnen. Der elf Monate alte Fuat genießt den Sommertag vom Kinderwagen aus. Mit dabei sind Dileks Freundinnen, man kennt sich aus einem Abi-Jahrgang. Und um eine Frage im Umgang mit Gruppen deutsch-türkischer Frauen vorweg zu nehmen: Die Kopftuchquote liegt bei einem Drittel. Die meisten sind aus Wiesbaden in den Volkspark gekommen – das scheinbar letzte Refugium, um spontan zu grillen. Je nach Wetterlage sind sie etwa einmal im Monat zum Grillen hier, sagt Ismail, Dileks Mann, der mit seinem Cousin für das Feuer verantwortlich sind. Mindestens drei Familien kommen immer mit. Heute sind noch mehr Leute da, denn eine der Freundinnen ist aus Ankara zu Besuch. Sie ist aus ihrer Geburtsstadt Wiesbaden zurückgegangen oder ausgewandert – Ansichtssache. Auf dem Grill brutzeln islamische speisegebotskompatible Rindswurst, Köfte und die unvermeidliche türkische Knoblauchwurst Sucuk. Die Hähnchenschenkel hat Ismail schwarz werden lassen – oder besonders knusprig. Wieder Ansichtssache. Jede beteiligte Familie hat so ihre Standards, was sie zum Grillen beisteuert, erklärt Dilek. Auf den Decken liegen Boxen mit Hirtensalat, Caprese und Wassermelonenschnitzel. „Bei uns Türken gibt es immer zu viel zu essen“, sagt Dilek. Wir stoßen an auf die deutsch-türkische Gastfreundschaft – trotz Bauchschmerzen vor Fleischmengen. Da muss man durch … im Volkspark.