Die Weinlese ist vorbei, das Winzerjahr endete mit einem goldenen Oktober. Nun beginnt die Arbeit in den Kellern. Im Frühjahr soll der viel versprechende 2018er in die Flaschen kommen. Fünf Winzerinnen füllen ab im Great Wine Capital Mainz. Was ist ihr Rezept?
Jung und ambitioniert
„Wir haben dieses Jahr schon im August zu lesen begonnen“, sagt Malenka Stenner. Die 25-Jährige aus Hechtsheim hat vergangenes Jahr ihr Weinbaustudium abgeschlossen. Als Prinzessin an der Seite von Weinkönigin Sabrina Möhn trug sie in dieser Zeit die Mainzer Weinkrone. „Das war anstrengend, aber es hat auch Spaß gemacht. Und ich habe viel gelernt.“ Im elterlichen Betrieb mit 9 Hektar Rebfläche und 25 Hektar Ackerbau trägt Malenka die Verantwortung für den Keller, das Büro und die Vermarktung. „Ein Weingut im Generationswechsel“, ist das WeinGut Stenner. Eines von vielen, in denen die Jungen die Zügel übernehmen. „Ich bin mit Leib und Seele Winzerin“, sagt Malenka. Die Stenner´schen Weine tragen bereits jetzt ihre Handschrift. Schon früh hatte sie ihr Ziel vor Augen: „Bei einer Frauen-Weinprobe vor fast zehn Jahren stellte ich einen Wein meines Vaters vor und sagte: Den Betrieb vom Papa werde ich mal übernehmen´.“ Und Papa Bernhard ist stolz auf seine Nachfolgerin: „Meine Tochter ist fleißig und sehr ambitioniert“, und Malenka bestätigt: „Mein Vater lässt mir viel Freiheit.“ Nach und nach übernimmt sie immer mehr Verantwortung und versucht dabei auch Neues: „In diesem Jahr habe ich zum ersten Mal einen Grauburgunder auf der Maische vergoren.“ Wie das wohl schmeckt…? Das Weingut wird jedenfalls expandieren. Malenkas 20-jähriger Bruder Niklas, gerade in der Winzerlehre, wird auch einsteigen: „Weil der Gewölbekeller auf dem Hof zu klein wurde, sind wir mit der Kellerarbeit im letzten Jahr ausgesiedelt.“ Die Halle am Ortsrand, ursprünglich für Kartoffeln und Getreide gebaut, birgt nun die großen Edelstahltanks. In denen wird der Wein bei niedriger Temperatur vergoren. Außerdem bietet er „Platzreserven für die Zukunft“. Das ist zwar nicht so romantisch wie ein uriger Keller, aber dafür stehen auf dem Hof nun Räume für Weinproben und private Feierlichkeiten zur Verfügung. Die werden nämlich immer öfter nachgefragt.
Spätberufene Winzerin
„Vielleicht achten Frauen mehr auf Details?“ Martina Lemb-Geist bezeichnet sich selbst als „detailverliebt“, und das schlägt sich in ihren Weinen nieder. Reben überspannen die Einfahrt vom Zehnerhof mitten in Hechtsheim. „Bis Ende des 18. Jahrhunderts haben die Bauern hier ihren Naturalzehnt abgeliefert.“ Um 1830 kaufte ein Vorfahre den Hof. Heute verbinden sich hier Tradition und Moderne. Die ehemalige „Kuhkapelle“ haben die Eltern zur Probierstube umgebaut. Die Ackerflächen sind verpachtet. „Als ich 2006 das Weingut übernommen habe, wurde die Rebfläche erweitert. Aber mit viereinhalb Hektar ist es noch immer klein.“ Martinas Mutter Renate kümmert sich um den Weinverkauf ab Hof: „Wenn das Hoftor geöffnet ist, kann man einkaufen.“ Eine Besonderheit: Ein Rebstock am Haus, mehr als 100 Jahre alt, ist ein Lemberger. Diese Rebsorte, auch Blaufränkisch genannt, ist eigentlich im Württembergischen beheimatet. „Als mein Vater erfuhr, was für eine Sorte es ist, hat er einen Morgen Land mit diesem Roten bestückt.“ Der mundet nicht nur, sondern „das passt auch, weil wir ja Lemb heißen“. Ein Lemberger Rotwein und ein Blanc de Noir stehen nun also auf der Weinliste des Zehnerhofs. Und „die umfasst insgesamt ein Dutzend Sorten. Schon viel für einen kleinen Betrieb.“ Martinas Tochter Carla ist 13 Jahre. Sohn Johannes (17) bringt sich bei der Arbeit im Weingut bereits gut ein. „Aber ob er mal einsteigen will steht noch in den Sternen“ lacht Martina. Sie selbst ist auch eine „spätberufene Winzerin“. Erst mit 35 Jahren entschied sie sich den Beruf zu wechseln und die Weinbauschule in Oppenheim zu besuchen, „obwohl ich in dieser Zeit das zweite Kind bekam“. Zuvor hatte sie BWL studiert und in der Marktforschung gearbeitet. Nun „wuppt“ sie das Weingut und schätzt dabei den fachlichen Austausch mit ihren Winzerkollegen. Ihr Mann ist Kaufmann und überlässt die Arbeit im Gut ganz ihr. Von den gärenden Weinen nimmt sie jeden Tag eine Probe. „Die Scheurebe könnte nächstes Jahr was Besonderes werden.“
Wein wird weiblicher
Die etwa 30 Weingüter von Mainz machen mit mehr als 450 Hektar Rebfläche dem Titel „Great Wine Capital“ alle Ehre. Dabei sind die Weinberge in Kastel und Kostheim, die ja „eigentlich“ auch zu Mainz gehören, nicht mitgerechnet. Und auch nicht der expandierende „Prominenten-Weinberg“ auf der Zitadelle. Doch Größe allein ist es nicht. Denn kleine Weingüter sind in der Überzahl. Was zählt ist Qualität, nicht Masse. 70 Prozent der Rebfläche in Rheinhessen tragen dabei Weißweine. Der Riesling ist darunter die Nummer eins, dicht gefolgt vom Müller-Thurgau. Die beiden Rebsorten belegen mehr als ein Drittel der Flächen. Im Mittelfeld bewegt sich der Silvaner mit um die 8 Prozent, gefolgt vom Grauburgunder und Weißburgunder, weiter hinten stehen Kerner und Scheurebe. Dem Silvaner kommt hier eine besondere Rolle zu, denn Rheinhessen ist das weltweit größte Anbaugebiet dieser Sorte. Bei den Roten dominiert der Dornfelder mit mehr als 13 Prozent Fläche vor dem Spätburgunder, modisch als „Pinot noir“ bezeichnet und dem Portugieser, die mit etwa 5 Prozent gleichauf stehen. Etwa halb so groß ist die Fläche mit Regent. Im unteren Prozentbereich stehen Merlot, Cabernet Sauvignon und Frühburgunder. Aus der langen Liste lässt sich erkennen: Rheinhessen steht für Vielfalt. Die meisten Weine werden reinsortig ausgebaut. Hier und da finden sich jedoch spannende Cuvées. Die Lust auf Innovation ist jedenfalls da. Und deutlich ist zu sehen, dass im Weinbau immer mehr Frauen mitreden oder sogar das Sagen haben. Während es früher gang und gäbe war, dass die Winzerfrauen auf den Betrieben mit anpackten, ohne je in die Öffentlichkeit zu treten, kommen nun vermehrt Frauen auf den Plan. Mit guter Ausbildung als Winzermeisterin, Weinbautechnikerin oder Önologin sind sie hochqualifiziert und -motiviert. Weinbau ist keine Männerdomäne mehr.
Selbstbewusst mit Klassikern
„Mainzer Wein muss auch in den Köpfen der Touristen fest verankert werden“, fordert Simone Schmitt Rieth aus Hechtsheim. „Und Hechtsheim ist die Hochburg der Mainzer Winzerinnen.“ Selbstbewusst setzt sie auf die neuen Etiketten ihren Namen über den Hofnamen. Im Ortskern liegt der Christophorushof. Seit 2009 ist die 47-jährige hier alleinige Chefin und Kellermeistern. Ihr Mann praktiziert als Zahnarzt. Zur Arbeit trägt sie den typischen, blauen Winzerkittel. „Der Silvaner ist beim Abpressen das Sorgenkind, weil den Trauben die Kelter so schnell zusetzt“, erklärt sie. Trotzdem bezeichnet sie ihn, wie die übrigen rheinhessischen Klassiker, als ihre Spezialität. Was sie aber nicht daran hindert, auch einen Wingert mit Auxerrois- Weißwein anzulegen. „Den haben wir in diesem Jahr zum ersten Mal geerntet“, freut sie sich auf ihren Neuzugang. „Ich nehme an, dass dies mein neuer Lieblingsweißwein wird.“ Nach Abitur und Banklehre entschied Simone sich 1995, doch lieber als Winzerin zu arbeiten. Die vinologische Ausbildung in Geisenheim vermittelte ihr gute Eindrücke, in Bad Kreuznach machte sie danach ihren Weinbautechniker. Direktvermarktung spielt auf dem Christophorushof eine wichtige Rolle: „Die Kunden kommen fast alle zu mir.“ Es gibt einen Weinprobierraum, wo auch kleinere Feste stattfinden, und beim Weinfest im „Hechtsheimer Kirchenstück“ ist Simone natürlich „immer am ersten Wochenende im Juli“ vertreten. Besonderen Wert legt sie auf naturgemäßen Anbau. „Mir kommt kein Herbizid in den Wingert und auch gedüngt wird nur natürlich.“
Traumjob Winzerin
Mirjam Schneider wusste schon immer, dass sie Winzerin werden will. Seit 1715 ist das Weingut Schneider Familienbetrieb, bereits in der sechsten Generation. „Die Großeltern sind in den 50-er Jahren mit dem Gemischtbetrieb ausgesiedelt“, erzählt Mirjam. Auf dem Hof, vom Hechtsheimer Neubaugebiet längst eingeholt, waren die Eltern Lothar und Maria mit Wein- und Ackerbau aktiv. Jetzt müssen Mirjam und ihre Mutter alleine zurechtkommen. Der Vater verstarb, erst 65-jährig, im letzten Spätsommer. Die Regie über die sechs Hektar Wein hatte Mirjam schon früh übernommen. „Seit 2002 bin ich für den Keller zuständig.“ Die staatlich geprüfte Technikerin für Weinbau und Önologie war 2006/07 als Weinprinzessin Repräsentantin für die Region Rheinhessen. „Als ich von einem Praktikum in Neuseeland zurückkam, habe ich den Weinbau ganz übernommen. Mein Vater hat mir schon früh freie Hand gelassen und ich bin sehr froh darum.“ So entstanden anspruchsvolle, reinsortige, trockene Weine wie der „Distelfink“, eine Scheurebe, oder der „Wirbelwind“, ein Sauvignon Blanc. „Er gedeiht in einer windoffenen Lage, die dieser Rebsorte besonders gefällt“, erklärt Mirjam. „Ich habe ihn dieser Lage wegen gepflanzt und nicht, weil er gerade im Trend ist.“ Die 36-jährige ist zurückhaltend, weiß aber genau was sie will. Das neue Gebäude, das 2004 errichtet wurde, modern in Orange und viel Glas, ist Hofladen und Vinothek zugleich. Der großzügige Raum steht auch für Weinproben und -events zur Verfügung. Das Gros der Schneider´schen Weine wird über die Flasche vermarktet. „Das Weingut ist zwar klein. Dafür bleibt mehr Zeit, um auf Qualität zu achten.“
Konsequent und innovativ
Unsere letzte Dame sitzt am Ortsrand von Ebersheim. „Mein drittes Kind ist das Weingut“, lacht Eva Vollmer. Der Hof wurde ausgesiedelt in den 70er-Jahren „als Gemischtwarenladen mit 80 Hektar Ackerbau und 8 Hektar Wein“. Auch Eva hat eine „königliche Vergangenheit“ als rheinhessische Weinkönigin 2003/04, parallel zum Weinbaustudium. „Die Promotion war nicht geplant, aber das ist so passiert.“ Den Weinbau hat sie vor elf Jahren übernommen. Vor drei und vier Jahren kamen ihre Kinder Klara und Emil zur Welt. „Wir empfinden gegenüber der folgenden Generation große Verantwortung“, sagt sie. Das Weingut hat sie darum auf Bio umgestellt, ist Mitglied im ökologischen Weinbauverband Ecovin und seit einem Jahr auch bei Bioland. Evas Mann, Robert Wagner, kümmert sich um den Ackerbau, ebenfalls Bio. Hinter der Kuppe, „dort, bei den Bäumen, beginnen unsere Weinberge“, deutet Eva. Die Ebersheimer Gemarkung ist die südlichste vom Mainz, die größte „und manche sagen, auch die schönste“. Diese landschaftliche Schönheit können Eva und ihre Mitarbeiter häufig genießen, denn sie legt im Wingert Wert auf Handarbeit. „Wir sind bei jedem Wein mindestens einmal mit der Hand in den Rebzeilen. Die händische Arbeit ist das A und O. Der Vollernter ist nur Arbeitstier.“ Das Weingut verfügt über zwei Keller: „Oberirdisch mit Edelstahltanks und unterirdisch mit Holzfässern.“ Hier reifen als Barriqueweine Dornfelder, Spätburgunder und Weißburgunder etwa zwei Jahre lang ihrer Vollendung entgegen. Von der mit Weinlaub überrankten Terrasse vor der „KostBar“ schweift der Blick über den Weinberg mit Tafeltrauben, den Streuobstgarten und die Wiese. Drinnen machen teils witzige, teils ernste Texte auf den Weinetiketten neugierig auf einen Probier- Schluck. „Jeder Wein bekommt jedes Jahr einen neuen Spruch“, sagt Eva, die all diese Texte selbst verfasst. „Ich twittere auf den Flaschen“, scherzt sie.
Ob jung, ob alt, ob mittel, ob Jungspund oder Späteinsteiger, Mainzer Winzerinnen haben vieles gemeinsam: Alle sind mit Wein aufgewachsen, leben den Wein, sind Verfechterinnen von hohem Qualitätsanspruch und verkörpern mit Persönlichkeit und Stil die neue Weiblichkeit im Weinbau. So darf man sich auf die 2018er Tropfen nächstes Jahr besonders freuen.
Text Ulla Grall Fotos Stephan Dinges