Sie knipsen und filmen und laden es für Publikum hoch – Youtuber und Instagrammer Die sitzen nicht nur in Köln, München oder Berlin, die sind überall, auch und vor allem in Mainz:
Es gibt hier einen Star, dessen Zuschauer die Münchner Allianz Arena füllen könnten. Die andere Dame zumindest die Mainzer Opel Arena und der Dritte immerhin noch das alte Bruchweg- Stadion. Doch Mirko Drotschmann, Saadet und Jerrie sehen ihre Zuschauer nicht. Die Masse ist nur eine kleine Ziffer unter ihren YouTube- Videos oder Instagram-Accounts. Und je höher diese Ziffer, desto mehr Bekanntheit auf der einen Seite, aber auch desto mehr Werbegelder fließen an die Betreiber der Kanäle. Die sitzen nicht nur in Köln, München oder Berlin, die sind überall, auch und vor allem in Mainz.
Philipp Leisner etwa ist nominiert für den diesjährigen Webvideo-Preis – was ungefähr der „Echo“ der Szene ist. Mit dem „Jungen Angebot von ARD & ZDF“. mittlerweile „funk“, aber auch Startups wie „Hitch On“, haben wir große Social-Media-Dienstleister in der Stadt. Langfristig wird das noch mehr Youtuber und Blogger anziehen. Wir stellen daher die bekanntesten Akteure der hiesigen Szene vor. Los geht es mit einer etwas anderen Art Nachhilfelehrer für Schule und Allgemeinwissen.
MrWissen2go – lieber Fakten als Emotionen
Mirko Drotschmann (31 Jahre) hat als „MrWissen2go“ fast eine halbe Mio. Abonnenten. Er veröffentlicht Videos über Geschichte, Politik und die aktuelle Nachrichtenlage. Von eingeblendeten Fotos abgesehen, bestehen die etwa achtminütigen Videos fast ausschließlich aus einem schnell redenden Drotschmann. Was Jugendliche bei ihrem Geschichtslehrer nerven würde, klicken sie bei „MrWissen2go“ tausendfach an. „Man muss ihre Lebenswelt kennen und auf Augenhöhe reden“, erklärt Mirko simpel sein Erfolgsgeheimnis.
Und das gelingt. Denn er wirkt auf so entspannte Art kompetent, dass man sich gern von ihm belehren lässt. Youtube ist für ihn aber nur ein Nebenjob: 30 bis 40 Stunden pro Woche investiert er in sein „Hobby“. Ansonsten arbeitet er als Journalist. Aber ob fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen oder Youtube – auf fundierte Recherche achtet er dabei stets. Unterläuft ihm doch mal ein Fehler, weisen ihn aufmerksame Zuschauer sofort darauf hin. Die direkte Kommunikation sei das, was ihn an Youtube reize: „Sonst bekommt man als Journalist vielleicht mal eine E-Mail, hier hat man direktes Feedback.“
Das hat auch negative Seiten. Die bekam er besonders nach einem Video zu spüren, das er im Nachhinein einen „großen Fehler“ nennt, und zwar ein recht drastisches Video gegen Abtreibung. Zwar war es als Meinungsbeitrag gekennzeichnet und mehr eine provokante Zuspitzung – doch der Hass der Kommentatoren steigerte sich bis zu dem Vorschlag, Drotschmann selbst hätte abgetrieben werden sollen. Er reagierte schließlich mit einem zweiten Video, in dem er klarstellte, dass er zwar gegen Abtreibung sei, aber keinesfalls auf die dargestellte Art. Sein Fazit: Er verzichtet seitdem auf Meinungsvideos und bleibt lieber bei Fakten.
„Es entstehen hochwertige Inhalte“
Jannis Kucharz, Innovationsmanager bei „funk“, beobachtet, dass Youtube für viele mittlerweile das Fernsehen ersetzt. „Die Videos werden immer länger, häufig bis zu zehn Minuten und der Inhalt ist im Schnitt anspruchsvoller.“ Viele beschäftigen sich inzwischen mit ernsthaften Themen, auch journalistischen Inhalten, nur viel persönlicher, mit mehr Raum für Identifikation – so auch Philipp Leisner.
Philipp Leisner – Ein bisschen die Welt retten
Für Philipp ist es als „Vlogger“ (Video-Blogger) am wichtigsten, authentisch zu sein. Deshalb verwendet er auch kein Synonym für seinen Kanal „PhilippLeisner“. „Das bin ich auf dem Kanal, das ist mein Hobby“, sagt der 25-Jährige. Ein Hobby, das er nicht zum Beruf machen möchte – obwohl er es vielleicht könnte. Durch seine Nominierung zum Webvideo-Preis für sein 360Grad-Video „Flucht ist Flucht ist Flucht“ hat er für Aufsehen gesorgt. „Das wäre mir aber zu unsicher. Der Erfolg kann auch schnell wieder vorbei sein.“ Und sein Jura- Studium möchte er auch nicht vernachlässigen.
Neben Anekdoten aus seinem Leben, kommentiert er auch das politische Geschehen. „Ich gehe offen an Themen heran und gucke, was daraus wird.“ So zum Beispiel als er die Pro-Europa-Demonstration „Pulse of Europe“ besucht hat. Da traf er eine rührende alte Dame. „Das war so ein Gänsehaut-Moment, da wusste ich, das muss ins Video.“ Die persönliche Herangehensweise ist sein Credo. Auch die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin wurde so von ihm auf dem Markt angesprochen, was sie denn so antreibe. Auch ihn selbst treibt so einiges an und zwar nicht weniger als ein bisschen die Welt zu retten. Dafür spendet er seine Einnahmen an „Viva con Agua“. Und auch auf seinem Weg zum Juristen geht es für ihn vor allem um Gerechtigkeit.
„Begeisterung für ein Thema ist enorm wichtig“, empfiehlt auch David Peter, der früher mit Kucharz den englischsprachigen Sketch-Kanal „YouJustDon‘tDo“ betrieb. Heute arbeitet er in einer Agentur für Krisenkommunikation und präsentiert in seinem Videoblog „Youtuber Relations“ Studien und mehr über die Videoplattform. Der Erfolg käme nicht von alleine, wie viele glaubten. Das sei harte Arbeit und das bestätigen so gut wie alle Youtuber – vor allem, weil die Plattform nicht mehr so viel Werbung wie früher schalte. Instagrammer haben es da derzeit (noch) leichter. Firmen kooperieren mit thematisch passenden Accounts. Produkte werden getestet und beworben. Manch einer kann seinen Lebensunterhalt damit bestreiten – wie Laura Brodda.
Laura Brodda: Mini-Unternehmen der Modeinszenierung
Für Laura fing alles damit an, dass ihr Kleiderschrank zu voll war. Also meldete sie sich beim Kleiderkreisel an. „Hätte mir da nicht eine geschrieben, ich solle doch mal meine Sachen auf Instagram posten, wäre mein Leben komplett anders verlaufen.“ Auf ihren Account „all that choices“ folgte ihr eigener Blog. Der ist elegantmodern gehalten und doch ab und an mit Emojis garniert. Ihre Fotos präsentieren sich in ihrer sorgfältig inszenierten und leicht verträumten Zufälligkeit: Dinge liegen wie mal eben stehen gelassen ansprechend herum, das Licht häufig dramatisch, die Farben kontrastreich. Meist fällt ihr das Haar schwungvoll ins Gesicht, der Blick wirkt abschweifend oder gesenkt.
Wenn die 29-jährige Diplom-Soziologin vor einem sitzt und über ihren Blog redet, hat sie jedoch den festen Blick einer Jungunternehmerin. Ein Beruf, dessen Anerkennung zwischen Extremen rangiert. Den negativen Pol davon bekam sie deutlich nach einem Auftritt in der TVShow „Shopping Queen“ zu spüren. „Das was ich mache, ist nicht nur ein Job von Leuten, die von nichts eine Ahnung haben und irgendwie dumm sind“, ärgert sie sich. Schließlich sei sie „irgendwo“ auch professionelle Fotografin, Stylistin, habe Photoshop und Onlinemarketing im Griff. Ein Blogpost koste sie schon mal 8 bis 10 Stunden. Hinzu komme das Beantworten von Kommentaren und Nachrichten: „Ich schreibe jedem zurück, sonst macht das alles ja keinen Sinn.“ In sozialen Netzwerken gehe es ja schließlich um Nähe und Identifikation. „Klar, kann man das unwichtig finden, aber für mich ist das alles super interessant“. Schon als Schülerin erlangte sie Berühmtheit damit, zu einem gelben Haargummi auch gelbe Ohrstecker zu tragen.
„Das wird immer ein Experimentierfeld bleiben“
Egal ob Youtube oder Instagram – es ist eine Professionalisierung der User zu erkennen. Immer mehr Menschen wollen als Blogger oder Vlogger „arbeiten“ oder nutzen wie Jannis Kucharz und David Peter ihre dort erworbenen Kenntnisse für spätere Jobs. Nicht wenige Unternehmen entdeckten die sozialen Netzwerke und ihr Potenzial als Werbeform. „Als Zuschauer hat man aber zumindest meistens die Wahl, ob man einen gesponserten Inhalt sehen will oder nicht“, glaubt Peter. Eins bleibe Youtube und Instagram jedoch sicherlich: Experimentierfeld für Menschen, die sich oder irgendetwas in Szene setzen möchten – so auch Saadet und Jerrie.
Saadet (20 Jahre) möchte nicht mit ihrem Nachnamen genannt werden. „In der Schule war mir das noch egal, aber jetzt möchte ich lieber, dass die Leute zuerst mich und dann die Youtuberin kennen“. Das jahrelange Lachen über sich selbst hat sie selbstbewusst gemacht – genauso wie der Zuspruch ihres Publikums. „Die wissen, ich liebe Wassermelonen – deshalb schicken mir die Leute ganze Collagen davon“, freut sie sich. Als einmal jemand „Scheiß Kanacke“ unter ihr Video schrieb, war Betreffender auch dumm genug den Namen seiner Schule zu nennen, wo sie sich prompt meldete. „Sonst sind meine Zuschauer aber ziemlich cool“ und hören ihr in allen möglichen Lebenslagen zu, von der Schule bis zur ersten eigenen Wohnung.
Beinahe jedes Video beginnt mit „Hi Leute“ und oft ist irgendwas „peinlich“ und noch viel öfter „cool“. Es gibt Videos darüber, ob es wahr ist, dass ihre Freundinnen ihr einen Rucksack voller Tampons geschenkt haben oder welche mit Witzen über kitschige Erwartungen an Beziehungen. „Mittlerweile würde ich aber lieber ein bisschen was Ernsteres erzählen“, sagt sie. Daher probiert sie momentan, über Dinge wie Plastikverbrauch zu reden. „Ich denke, meine Zuschauer werden jetzt langsam auch erwachsen.“ Sie sei es mit ihrem Kanal jedenfalls geworden.
Jerrie: Kultur, aber nicht so verstaubt
Bei Jerrie (19 Jahre, Jerries- Blog) geht es nicht mehr um Akne, Hairstyling und Marshmallows, sondern um Bücher, Museen, Gedichte und vor allem um ihn selbst. „Ich wollte Kultur ein bisschen sexier machen.“ Das könnte arrogant klingen, wirkt bei dem schmalen 19-Jährigen mit Wuschelfrisur und Brille aber auch irgendwie goldig. Jerries Gedichte sind melancholisch, zuweilen düster, mit leiser Stimme und häufig direkt in die Kamera vorgetragen. Daneben gibt es Lesetipps und Blicke aufs Weltgeschehen bis hin zu Antworten auf Fragen, die die Welt bewegen, etwa wie er seinen morgendlichen Frühstücksbrei zubereitet. Authentizität und Selbstinszenierung sind untrennbar miteinander verbunden.
Trifft man Jerrie, ist er tatsächlich so wie in seinen Videos: er nuschelt ein bisschen, rückt häufig seine Brille zurecht und weiß stets, wovon er redet. Das alles macht seine Intellektualität trotz seines Alters nur ein bisschen albern. Dafür hat sein Blog über 71.000 Abonnenten, manche davon sind schwer in ihn verliebt. Seine Videos schauen dagegen meist „nur“ 10-15.000 Menschen. Wie wäre es wohl für ihn, vor all diesen Menschen auf der Bühne zu stehen? Jerry schmunzelnd: „Schon etwas surreal.“ So unterschiedlich unsere Youtuber und Instagrammer auch sind – zwei Dinge haben sie gemeinsam: Jeder Kanal entsteht aus der Begeisterung für die Sache, ein Thema, eine Leidenschaft. Dazu kommt das dringende Bedürfnis, das dann teilen zu wollen – warum auch immer – hundertfach, millionenfach. „Mit Videos zu kommunizieren, ist die Zukunft“, sagt Philipp Leisner, „und das Internet vergisst nicht – das hält ewig“, fügt er schmunzelnd hinzu.
von Meike Hickmann und Jana Kay (Fotos)
Der in der Juni-Ausgabe des „Sensor“ veröffentlichte Artikel über die in Mainz ansässigen Youtuber und Instagrammer hat jede Erwartung, einen wirklichen Einblick in die Netzkultur zu bekommen stark enttäuscht und die Tatsache, dass er sogar in der Allgemeinen Zeitung unter dem Titel erschien ist nahezu empörend.
Dies ist aber wahrscheinlich auf die Neuartigkeit des Themas zurückzuführen.
Es ist schwer, die Intention des Artikels zu ersehen. Soll er informieren oder diffamieren? Während eingangs noch einige Informationen gegeben werden, mündet der Artikel in eine Art Spottrede über die vorgestellten Charaktere, welche ebenso kindisch wie verbittert wirkt. Hickmann scheint keinerlei Verständnis für die im Internet herrschende Personenkultur zu haben und verlacht Akteure sowie deren Zuschauer.
Youtuber sein sei „harte Arbeit“ laut Philipp Leisner, jedoch gibt sich die Autorin alle Mühe, dieses Bild zu demontieren indem sie die Akteure als unprofessionell darstellt mithilfe von Formulierungen wie „ein bisschen die Welt (…) retten“, „mit Emojis garniert“, „sie sei „irgendwo“ auch professionell“, „ Antworten auf Fragen, die die Welt bewegen, etwa wie er seinen morgendlichen Frühstücksbrei zubereitet“ oder „seine Intellektualität“ sei schlichtweg „albern“. Hickmann setzt außerdem das Wort „arbeiten“ im Bezug auf soziale Medien bewusst in Anführungszeichen um darauf hinzuweisen, dass sie Philipp Leisners Meinung keineswegs teilt.
Leider setzt sich der Artikel auch nicht kritisch mit dem Thema auseinander. Die Personen werden in ihren Methoden und Inhalten nur flüchtig beschrieben. Der Rest jedes Absatzes dient nicht dem kritischen Hinterfragen dieser Aspekte,
sondern der Verunglimpflichung der Personen auf sehr unsachlicher Ebene.
So wird beispielsweise die Motivation einen Kanal oder eine Seite zu betreiben mit der vagen Formulierung „sich oder irgendetwas in Szene setzen (…) und das dringende Bedürfnis, das dann teilen zu wollen – warum auch immer“ abgetan.
Diese Verzerrung ins Lächerliche wirkt mindestens ebenso unprofessionell wie Hickmann die Youtuber und Instagrammer wahrnimmt.
Hinzu kommt, dass schlechte Recherche Arbeit geleistet wurde. Beispielsweise hat der Webvideo-Preis einen weit höheren Stellenwert im Netz als der „Echo“ in der Musikbranche, der Kanal von Laura Brodda ist falsch geschrieben, ebenso variiert die Schreibweise von „Jerrie“ zu „Jerry“.
Das Thema soziale Medien und wie die Jugend damit umgeht ist sehr spannend und wichtig für unsere Gesellschaft. Deshalb wäre ein Bericht, der tatsächliche Einblicke liefert, gerade für ältere Leser eine gute Gelegenheit, sich zu informieren und die Vorgänge besser zu verstehen.
Allerdings ist Hickmann in erster Linie damit beschäftigt, das ganze Thema soziale Medien zu verhöhnen und damit eine ganze Generation von Konsumenten. Ein Ton, der vermutlich nicht angeschlagen würde, hätte der „Sensor“ auch nur annähernd die Reichweite der vorgestellten „Blogger und Vlogger“ und bestünde nicht die Möglichkeit,
dass solche Magazine in Zukunft weit weniger Relevanz haben werden als Internetplattformen wie zum Beispiel Youtube.