Text: Lea Sophie Preußer
Illustration: Hendrik Schneider
Eine Lüge ist eine Aussage, von der der Sender ausgeht, dass sie unwahr ist, aber trotzdem will, dass der Empfänger sie glaubt. Angeblich lügt der Mensch dabei bis zu 200mal am Tag. Zumeist wird gelogen, um einen Vorteil zu erlangen oder um einen Fehler oder eine verbotene Handlung zu verdecken und so Kritik oder Strafe zu entgehen.
Was aber geschieht, wenn man sich selbst jegliches Lügen verbietet? Wird man Opfer von Strafen, Nachteilen und verliert all seine Freunde? Wir nehmen in unserer neuen Rubrik (Einen Monat lang: …) dieses Mal das Lügen ins Visier. Und unsere Redakteurin muss sagen, sie war überrascht, was es bringt, einen Monat lang nur die Wahrheit zu sagen.
Zuneigung statt Abneigung
Wer kennt das nicht: Unliebsame Menschen wollen einen in ein ebenso unliebsames Gespräch verwickeln. Die unverfänglich wirkende Einstiegsfrage lautet: „Wie geht´s?“ Die dazu hoffnungsvolle Ausstiegslüge: „Gut, aber etwas in Eile.“ Warum auch andere mit den eigenen Problemen belagern, wenn die selbst schon Teil des Problems sind? Für mich heißt es jedoch: „Bis eben gut, aber wenn wir jetzt miteinander reden, ist mein Tag nicht mehr zu retten. Also tschüss.“ Daraufhin habe ich mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem, was dann geschah. Statt einem bösen Blick oder Getuschel hinter meinem Rücken, lachte meine unliebsame Person und lud mich am nächsten Tag zum Kaffee ein. Werde ich nicht ernst genommen?
Ernsthaftigkeit wird überbewertet
Ernst und Ernsthaftigkeit sucht man vergebens, wenn man mit dem tugendhaften Anspruch in die Welt zieht, sich ehrlich gegenüber seinen Mitmenschen zu verhalten. Die Welt ist voller Lügen, sodass die Wahrheit zum Witz verkommt. Irgendwie traurig, aber der Wahrheit-Sagende wird oft nicht ernst genommen, da kann er noch so laut ehrlich sein. Da wollen die Menschen, dass man ihnen gegenüber ehrlich ist; dann tut man ihnen ausnahmsweise den Gefallen und sie tun so, als hätten sie es nicht gehört. Oder noch schlimmer: Sie geben einem Recht.
Man wird nicht erwarten, dass eine Frau freudestrahlend reagiert, wenn man ihr sagt, dass ihr neues Oberteil wohl der Altkleidersammlung entsprungen sei. Und doch ist genau das möglich – wenn es mal mit der Wahrheit versucht. Da hat meine Freundin, die überraschender Weise immer noch meine Freundin ist, doch tatsächlich gelacht und mir zugestimmt: „Ja, es ist aber bequem.“
Da habe ich Jahre meines Lebens wie jeder Max Mustermann hier mal eine kleine Wahrheit verdreht, da mal einen Freund vor ihr geschützt. Nur um jetzt festzustellen, dass ich anscheinend gar nicht mal viel gelogen habe oder dass die Menschen entweder kein Problem mit der Wahrheit haben oder sie gar nicht sehen (wollen). Denn es passierte absolut nichts.
Menschen, mit denen ich nicht reden wollte und es ihnen auch so sagte, lachten darüber. Frauen, denen ich sagte, sie seien naiv, dachten darüber nach und zuckten mit den Achseln. Männer, die ich als Macho bezeichnete, fühlten sich sogar geschmeichelt. Es passierte absolut nichts, was man eine „Story“ hätte nennen können. Also versuchte ich stattdessen, gleich zu sagen, was ich dachte. Bewusst, aber ehrlich. Und was passiert? Mir wurde Recht gegeben. Da will man einmal, dass jemand sauer ist oder enttäuscht, und er bedankt sich auch noch dafür und mag einen umso mehr.
Ist die Wahrheit also die bessere Lüge? Unangenehme Wahrheiten werden sowieso ignoriert. Sie verstecken sich aber auch besser als Lügen, denn sie haben weder kurze Beine oder lange Nasen. Ich glaube, ich bleibe also bei der Wahrheit. Man fährt mit ihr besser. So oder so.
Aufschlussreicher Artikel. Schadet wohl nicht, sich damit näher zu beschaeftigen. Ich werde bestimmt auch die weiteren Artikel verfolgen.
Na also, endlich leese ich die wahrheit.
Sehr itressant. Ich habe schon viele probleme erlebt, weil ich die wahrheit sagte. In privat leben und um so mehr bei der Arbeit, da gab es zogar vermahnungen, so, wie kannst du denn so was sagen, so etwas denckt mann nur aber mann sagt es nicht. Warum gehen solche Leute noch in die Kirche???