von Andreas Coerper (https://productionawards.sony.eu/embed2014/576/)
Schmatzend löst sich die Latex-Silikon-Form im Atelier von Reinhold Petermann von der ausgehärteten Skulptur eines sitzenden Mädchens aus Kunstharz. Während der Bildhauer die Auftragsarbeit begutachtet erzählt er: „Ich kann mich erinnern, wie ich fünf Jahre alt war. Im Nachbarort wohnte eine Tante von mir. Dahin sind wir von Boos an der Nahe mit der Bahn gefahren. Am Bahnhof Staudernheim war eine große Steinmetzhütte. 15 oder 20 Leute behauten dort Steine, die aus einem Steinbruch aus der Nähe kamen. Ich habe keinen Blick davon gelassen. Die schlugen meistens nur Architektursteine, Gewänder und sowas. Aber aus diesen Steinen solche Dinge zu machen, das hat mich unglaublich fasziniert.“
Die Gipsformen, die das Latexnegativ von außen in Form halten, liegen im Weg. Gemeinsam tragen wir die schweren Verschalungen auf eine überdachte Werkbank im Garten des Hauses: „Wir waren arme Leute damals. Wenn Autorennen waren mit Caracciola und Rosemeyer, hing die ganze Bevölkerung vor dem Radio. Das war ungefähr so wie heute Fußball. Es gab schöne Metallmodelle von Flugzeugen oder Rennwagen, vor allem Mercedes Benz und Auto-Union. Die konnte ich mir nicht leisten. Um an den Rennen im Kinderkreis teilnehmen zu können, fing ich an, sie aus Fichtenrinde zu schnitzen. Dichtungsringe aus Limonadenflaschen nutzte ich als Räder, beschwerte das ganze mit Blei und gewann jedes Rennen gegen die gekauften Flitzer.“
Kunstharzschnee vernebelt die Luft, als Petermann mit einer kreischenden Handfräse Überstände von der Figur entfernt: „Aus den Schnitzereien einen Beruf als Bildhauer zu machen, stand im relativ armen Hunsrück außer Frage. Das ganze wurde durch den Krieg angestoßen. Ich weiß nicht, ob ich ohne die Ereignisse, die mir da widerfahren sind, Bildhauer geworden wäre. Trotz mangelhafter Ausbildung an einer Dorfgrundschule hatte ich eine ganz gute Stelle in der technischen Abteilung einer Firma in Bad Sobernheim. Jedenfalls kam ich verwundet in ein Genesungslager englischer Kriegsgefangenschaft. Es gab alles in dem schlossartigen, ehemaligen Schulgebäude in Edinburgh: Konzerte, Theater, alles Mögliche. Für eine Aufführung wurden große Schachfiguren benötigt. Gefragt meldete ich mich dreist als Bildhauer. Die Spielsteine gelangen. Daraufhin erhielt ich den Auftrag, eine Weihnachtskrippe zu schnitzen. In einer eigenen Werkstatt. Die tollen Schnitzmesser aus Sheffield-Stahl besitze ich noch heute. Es gibt viele Glücksfälle im Leben, man muss sie nur ergreifen.“
Die Statue scheint unter den Künstlerattacken im surrealen Kunststoffschneetreiben fröhlich zu schunkeln. Die Schiebefenster werden aufgestoßen, es schneit heraus statt herein. Der Schöpfer kichert: „Ich war etabliert und hätte leicht bleiben können. Nach zwei Jahren auf der Insel zog es mich dennoch heimwärts. Als ich meinem Vater eröffnete, nicht mehr in die Firma zurückzukehren, sondern an der Kunsthochschule studieren zu wollen, zweifelte er an meinem Geisteszustand. In Kreuznach verkaufte ich Kunsthändlern mit gutem Gewinn selbst geschnitzte Holzfiguren. Das zusätzliche Einkommen stimmte meinen Vater milde, ich schrieb mich an der Kunstschule ein. Da ich spät aus Gefangenschaft zurückkehrte, erhielt ich eine Spätheimkehrer- Rente von 100 Mark, mit der ich gut leben konnte. Zusätzlich jobbte ich. Unter anderem baute ich Motivwagen für den Rosenmontagsumzug. So ein Wagen brachte, wenn er den Zug überstand, immerhin 4000 DM. Mit meiner Lehrerin Emy Roeder hatte ich ein sehr enges Verhältnis, assistierte ihr, baute Sachen auf. Sie vermittelte mich ins Zentralmuseum, wo ich halbtags restaurierte und Repliken fertigte. Zuerst arbeitete ich mit Gips, mit dem sich hervorragend die reine Form darstellen lässt. Dann kamen in den Fünfzigern die neuen Kunststoffe auf, mit denen wir im Museum experimentierten. Eins fügte sich ins andere. Ich war immer darauf aus, Plastiken zu machen und gewann reichlich Wettbewerbe. Mein Hauptthema waren, platt gesagt, nackte Weiber. Das hat mich am meisten interessiert. Ich wollte immer wissen, warum macht man eigentlich was? Warum macht man ne Plastik, oder warum malt man ein Bild? Wer das nicht weiß, kann’s zu nichts bringen, wenn er einfach so vor sich hin wurschtelt. Man muss das Ding erkennen, seine Ordnung erkennen, in die eigene übersetzen, nicht abmalen. Das war mein Credo, mein ganzes Leben lang. Das versuchte ich während meiner dreißigjährigen Lehrtätigkeit an der Uni zu vermitteln und auch heute in meinen Aktzeichenkursen zwischen Ostern und August halte ich daran fest.
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