Ich bin kein eingeborener Mainzer, sondern in einer fastnachtsfreien Gegend Deutschlands groß geworden. Närrisches Treiben interessierte mich schon immer, da ist die Meenzer Fassenacht natürlich ein ideales Studienobjekt. Seit 20 Jahren lebe ich hier und habe noch keine Fassenacht versäumt.
In den ersten Jahren untersuchte ich vor allem den Begriff „Helau“. Ich testete Alternativen, aber das war gefährlich. Vor „Alaaf“ hatten mich Eingeweihte bereits eindringlich gewarnt, also probierte ich es mit ähnlich klingenden Worten wie „hellblau“ und „genau“. Aber auch das fiel irgendwann auf, und empörte Fassenachter drohten mir Prügel an. Seit 18 Jahren rufe ich also auch „Helau“.
Man muss bei sowas genau sein. Bei einem Text wie „Humba humba täterä“ ist jede Silbe von Bedeutung, das ganze Lied weist hin auf die tieferen Ebenen des närrischen Treibens. Ähnlich verhält es sich bei dem Wort „Helau“. „Helau“ ist, korrekt ausgesprochen, von keiner Sinnhaftigkeit bedroht und auch in betrunkenem Zustand leicht verständlich.
Über die Zusammenhänge von Alkohol und Fastnacht habe ich einige Jahre geforscht, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen. Ich lebe alkoholfrei und finde die Vorstellung schrecklich, am Rosenmontag betrunken zu sein. Wie Alkohol und närrisches Treiben zusammenpassen sollen, ist mir ein Rätsel, aber für viele Fastnachter scheinen diese beiden Gegensätze geradezu zusammenzugehören.
Unbeeindruckt von allen Alkoholvergiftungen zeigt sich der vielfältige kulturelle und geschichtliche Hintergrund der Meenzer Fassenacht. Französische Soldaten tauchen darin auf oder Feste am kurfürstlichen Hofe mit närrischen Rollenspielen. Das „einfache Volk“ nutzte die letzten Tage vor der Fastenzeit, um nochmal richtig einen draufzumachen. Dann hatte man Zeit bis Ostern, um alle im Suff begangenen Sünden zu beichten und fastend zu sühnen.
Fasten sollte eigentlich zwingend aus der Fastnacht folgen. Wer also nach Aschermittwoch nicht fastet, der kann vorher auch nicht Fastnacht gefeiert haben. Sind also all die, die an Fastnacht mitfeiern, dann aber bis Ostern trotzdem Fleisch essen und Alkohol trinken, keine Fastnachter?
Vielleicht sollte es jedem selber überlassen bleiben, wovon er fastet. Man kann ja auch vom Autofahren fasten oder vom Fernsehen. Alkoholfrei lebende Vegetarier könnten Fastnacht feiern und anschließend bis Ostern fasten, indem sie sich nur noch von Fleischwurst und Wein ernähren.
Fastnacht ist die Zeit, bevor man in sich geht und zur Besinnung kommt. Die einfache Formel lautet: Je närrischer das Treiben vorher, desto größer der Zwang zur Besinnung hinterher. In diesem Sinne freue ich mich auf möglichst närrische Tage. Anschließend holen sich alle das Aschekreuz im Dom ab und versuchen, bis Ostern wieder einen klaren Kopf zu kriegen.
Wovon ich in diesem Jahr fasten werde, habe ich mir noch nicht überlegt. Aber nachdem ich ein paar Stunden närrisch „Helau“ gerufen habe, wird mir bestimmt etwas einfallen. „Helau“ funktioniert nämlich ähnlich wie das mantrische „Om“. In diesem Sinne hat die Meenzer Fassenacht große Ähnlichkeit mit einer transzendentalen Massenmeditation. Je intensiver mein „Helau“, desto klarer anschließend mein Kopf.
Das kann heiter werden …