von Andreas Schröder
Fotos: Michael Grein
HaMü, wie Hartenberg/Münchfeld zuerst liebevoll von seinen Einwohnern abgekürzt wurde und wie der Stadtteil heute auch im offiziellen Jargon der Stadt genannt wird, erstreckt sich vom Taubertsberg bis zum Hartenbergpark, von der Mombacher Straße bis ins Münchfeld. 16.000 Menschen leben hier, meist in Einfamilien-, Reihen- und kleinen Mehrfamilienhäusern. Der Stadtteil hat weder einen gewachsenen Ortskern wie Bretzenheim oder Weisenau, noch einen geplanten Grundriss wie die Neustadt oder der Lerchenberg – und damit auch keine gewachsene Identität, wie sie die anderen Mainzer Stadtteile aus ihrer Entstehungsgeschichte ziehen können. HaMü wurde 1989 aus einer Reform geboren. Die bis dahin riesige Innenstadt wurde damals in vier Bereiche aufgegliedert. Sinn der Aktion war es, „mehr Bürgernähe in der Verwaltung zu schaffen“, wie es noch heute auf der Internetseite der Stadt beim Eintrag Mainz-Hartenberg / Münchfeld heißt.
Keine Ortsverwaltung, kein HaMü?
Als Anfang November 2011 bekannt wurde, dass die Stadtverwaltung plant, drei Ortsverwaltungen aus Kostengründen zu schließen, war der Aufschrei vom Rhein bis auf den Lerchenberg zu hören. Lokalpolitiker aus ganz Mainz sozialisierten sich mit den betroffenen Stadtteilen Altstadt, Neustadt und Hartenberg / Münchfeld. In den Ortsbeiräten fürchtete man zu Recht um die Qualität des Bürgerservices, manch einer sah sogar die Grundfesten der Demokratie erschüttert und die Menschenwürde bedroht. In HaMü dagegen stand niemandem der Sinn danach, so große Fässer aufzumachen. Hier saßen der Frust und eine ganz spezielle Sorge tiefer: Die Angst um die Identität eines Stadtteils, der bis vor wenigen Jahren noch keiner war. Ohne Ortsverwaltung kann es keine Bürgernähe geben: Gibt es ohne Bürgernähe also auch kein HaMü?
Die Geschichte von Hartenberg / Münchfeld als Wohngebiet begann erst, als der Zweite Weltkrieg endete. Damals fing man an, die Gegend planmäßig zu bebauen. Genutzt wurde das Gebiet aber schon lange zuvor: Hatto I., von 891 bis 913 Erzbischof von Mainz, soll hier ein Hofgut betrieben haben und der Name „Am Judensand“ erinnert noch heute an die Nutzung des Hartenbergs als Begräbnisstätte der jüdischen Gemeinde Magenzas. Auch wenn der mittelalterliche Friedhof selbst bereits im 15. Jahrhundert zerstört wurde, vermittelt der Denkmalfriedhof an der Mombacher Straße noch heute einen Eindruck davon. Nach der Zerstörung des alten Friedhofs wurden die Grabsteine zum Bau eines Schiffsentladeplatzes verwendet. Bei der Rheinbegradigung im 19. Jahrhundert konnte die jüdische Gemeinde viele der Steine retten und in einem würdigen Umfeld wieder aufstellen.
Leben vor der Mauer
Umfangreiche Bauarbeiten fanden auf dem Hartenberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt. Nachdem die Mauern der Stadt abgerissen wurden, um für den Bau der Neustadt Platz zu machen, musste eine neue Wehranlage für die Festung Mainz her. Für vier Millionen Gulden errichtete die Stadt den Rheingauwall. Nicht nur die Wallstraße erinnert noch heute an diese preußische Monstrosität: Das Fort Hauptstein, in dem inzwischen mehrere Vereine ein Zuhause gefunden haben, und das Kavalier Prinz Holstein zwischen SWR und Martin-Luther-King-Park, das von der Stadt Mainz als Depot genutzt wird, vermitteln einen guten Eindruck von dem Anblick, den der Hartenberg anno 1900 Reisenden aus dem Westen geboten haben muss.
Wohl mit die älteste Wohnbebauung in HaMü findet sich zwischen der Mombacher Straße und der Wallstraße unweit des Hauptbahnhofs. 1905 errichtete die Beamten-Baugenossenschaft die Siedlung Baentschstraße, um preiswerten Wohnraum für Beamte und ihre Familien zu schaffen. Seit 1993 steht die aus zehn Wohnhäusern bestehende Anlage unter Denkmalschutz.
Sprung in die Gegenwart
Wer heute einen Spaziergang durch HaMü machen möchte, dem sei der Hartenbergpark als Ausgangspunkt empfohlen. Von der Baentschstraße aus folgt man der Mombacher Straße Richtung Norden. Die meisten Betriebe, die hier einst angesiedelt waren, sind bis auf wenige Ausnahmen inzwischen verschwunden. Ihre Nachfolge hat eine Reihe von Vereinen angetreten. Alteingesessene Institutionen wie die Mainzer Ranzengarde, die älteste Fastnachtsgarde der Landeshauptstadt, haben hier ihre Zelte aufgeschlagen. Die Mombacher Straße ist aber vor allem zu einer inoffiziellen interkulturellen Begegnungsmeile geworden: Die Zusammenarbeit mit Osteuropa e.V., der portugiesische Sportverein und der Arab Nil-Rhein Verein haben hier ihre Niederlassungen.
An der nördlichen Kreuzung Mombacher Straße / Wallstraße geht es hinauf in den Hartenbergpark. Besonders in den Morgenstunden ist die große Grünfläche am Rand von HaMü bei Joggern beliebt. Wer früh aus den Federn kommt, wird mit einem einzigartigen Sonnenaufgang über Neustadt und Mombach belohnt und muss sich den Park mit nur wenigen anderen Läufern, ein paar Hundehaltern und unzähligen Kaninchen teilen, die vor dem großen Ansturm auf der Suche nach frischem Futter sind. Denn besonders im Sommer bleibt man im Hartenbergpark nicht lange alleine. Spätestens am frühen Nachmittag zieht es Familien, Studentengruppen und Pärchen in das Naherholungsgebiet. Neben den Liegewiesen, den Grillstellen und den Sportplätzen lockt vor allem die Minigolfanlage, auf der sogar internationale Turniere ausgetragen werden.
Kampf um das Wohnen im Grünen
Vom Hartenbergpark aus geht es wieder Richtung Süden, vorbei an den Berufsbildenden Schulen I und III und an der Alten Patrone. Das Kunstquartier mit Gastronomiebetrieb ist nach dem Bruchwegstadion die bekannteste Eventlocation in HaMü. Wenige Gehminuten weiter passieren wir das Funkhaus des SWR, des zweiten großen öffentlich-rechtlichen Senders in Mainz. Von hier aus ist auch das Bruchwegstadion deutlich zu erkennen. Noch in der Saison 2010 / 2011 war es die sagenumwobene Heimstätte des Fußball-Bundesligisten 1. FSV Mainz 05. Seit diesem Sommer finden die Spiele der ersten Mannschaft in der neu errichteten Coface Arena im benachbarten Stadtteil Bretzenheim statt. Der Verein selbst hat aber noch immer in HaMü seinen Sitz. Gleich hinter dem alten 05-Stadion liegt die „Eishalle Am Bruchweg“. Die Sportstätte war in den letzten Jahren mehrfach wegen ihres schlechten baulichen Zustandes und der schwierigen Suche nach einem Betreiber in der öffentlichen Diskussion.
Auf der anderen Straßenseite von Stadion und Eishalle liegt der Martin-Luther-King-Park. Die ehemalige Kaserne wurde 1995 von den US-Streitkräften aufgegeben und von der Mainzer Wohnbau zu einer musterhaften Wohnsiedlung entwickelt. Dass die Stadt Mainz plant, den für einen Innenstadtbereich sehr locker bebauten MLK-Park nachzuverdichten, um so den Bevölkerungsdruck von der Altstadt und der Neustadt zu nehmen, ist lange bekannt. Seit dem Beginn eines konkreten Bebauungsplanverfahrens haben sich die Fronten zwischen der Kommune und den Bewohnern des MLK-Parks aber zusehends verhärtet. Die Anwohner fürchten um den Charakter ihrer Siedlung im Grünen.
Auch ohne Ortskern viel zu bieten
Am Fuß des Martin-Luther-King-Parks liegt der Taubertsberg. Er bildet die südöstliche Grenze des Stadtteils. Mit dem Taubertsbergbad, dem größten Mainzer Schwimmbad, stellt HaMü ein weiteres Naherholungshighlight – nicht nur für die eigenen Anwohner, sondern für Menschen aus dem ganzen Stadtgebiet. Neben dem Bad finden sich hier auch einige erstklassige Bildungseinrichtungen der Stadt und der Mainzer Hochschulen. Die Kunsthochschule und das Medienhaus, eine gemeinsame Einrichtung der Johannes Gutenberg-Universität und der Fachhochschule, sind schon lange unter dieser Adresse zu finden. Das Peter-Cornelius-Konservatorium der Stadt Mainz, eines der wenigen Konservatorien, die die musikalische Ausbildung von Berufsmusikern und Laien unter einem Dach vereinen, ist erst 2008 aus der Innenstadt in seinen Neubau am Taubertsberg gezogen. Inzwischen, so scheint es, besteht eine gute Chance, dass die Ortsverwaltung im Martin-Luther-King-Park erhalten bleibt. Gemeinsam wollen die Mainzer Ortsvorsteher an anderer Stelle sparen, um dies möglich zu machen. Aber auch ohne eigene Ortsverwaltung gibt es in HaMü sowohl für seine Bewohner als auch für Besucher mehr zu entdecken und zu erleben, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Ob der Stadtteil nach 22 Jahren mehr geworden ist als die Summe seiner Teile, muss sicher jeder selbst für sich entscheiden.