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Der große „Test“: Freie Gemeinden in Mainz

So sieht ein moderner Pastor aus: Thore Runkel (Equippers)

Straßenmissionare, die singen und Schriften verteilen? Oder Hallen, in denen charismatische Prediger den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen…? Was soll man sich unter einer „Freien Gemeinde“ vorstellen?

„Frei“ – wovon?
Freie Gemeinden und Freikirchen (die meist mehrere Einzelgemeinden umfassen) sind nicht Teil einer Großkirche, sondern finanziell und organisatorisch eigenständig. Sie können daher frei entscheiden, wie sie ihre Glaubensgemeinschaft gestalten. Frei sollte zugleich aber auch der Mensch in der Gemeinde sein: Eine Grundidee ist, dass niemand gezwungen werden soll, Geld zu bezahlen, um Teil einer Glaubensgemeinschaft zu sein. Man verzichtet daher auf jede Art von Kirchensteuer oder „Mitgliedsbeitrag“. Stattdessen finanzieren sich diese Gemeinden im Wesentlichen durch freiwillige Spenden und organisieren vieles ehrenamtlich. Niemand soll in die Gemeinschaft hineingedrängt oder von anderen „zum Gläubigen erklärt“ werden: Getauft wird nur, wer sich selbst zum Glauben bekennt. Die in Landeskirchen übliche Taufe im Babyalter wird in der Regel abgelehnt. Man muss aber weder Mitglied noch getauft sein, um an öffentlichen Gemeindeangeboten teilzunehmen oder mitzuarbeiten. Was kommt raus, wenn Gläubige ihre Kirchengemeinde „frei nach Wunsch“ zusammenbauen? Und was sind es für Leute, die das tun?

Equippers Rhein-Main
Die „Sessions“ der Equippers Rhein-Main in der Alten Waggonfabrik beginnen (partygängertauglich) erst um 11 Uhr. Im Schnitt zählt man hier rund 400 bis 500 Besucher pro Gottesdienst. Eine Band samt Lichtshow wirkt professionell: Zu mitreißender Musik mit christlichen Texten wird erst mal viel gehüpft und laut mitgesungen. Die „Power“ geht ins Blut … auch als die Musik ruhiger wird, bleiben die Arme oben. Die Equippers sprechen bewusst junge (und „gefühlt junge“) Leute an – auf sämtlichen Kanälen. Man kann am „Connect-Point“ neue Kontakte knüpfen, langfristig Connections in einer Group nach Wahl pflegen oder in der „Leadership-Academy“ ein Jahr in die individuelle Berufung investieren. Thore Runkel, einer der Pastoren, trägt lässige Klamotten und redet locker. Seine Predigt ist jedoch alles andere als banaler Smalltalk: Er nennt konkrete Beispiele für Dinge wie „Buße tun“ und macht ebenso klare Ansagen, wie man sich im Alltag verhalten soll. Kaffee im Anschluss gibt es hier nicht gratis – aber dafür in Barrista-Qualität.

Eine kleine, internationale Familie:
Jacob-Israel Gemeinde

Jakob-Israel Gemeinde
Die Jacob-Israel Gemeinde ist eine internationale Gemeinde an neun Standorten weltweit. Gegründet wurde sie im Kongo von Apostel Mboko Mokobe, der nun mit seiner Familie in Mainz lebt und auch hier predigt. In Mainz sind es nur eine Handvoll Leute, die umso enger Gemeinschaft pflegen – besonders gerne beim Essen. Man muss klingeln, um in das Gebäude zum Gottesdienst zu gelangen, was sich anfühlt, als wolle man eine Familie besuchen. Er findet in einem Hörsaal des Instituts für Kirchenmusik statt, was dem ganzen Vorlesungsatmosphäre verleiht. Auch hier beginnt der Gottesdienst mit einem außergewöhnlichen Konzert: Mit enormer Stimmgewalt und Hingabe singt eine Sopranistin, begleitet von Klavier, Cello und Conga-Trommel. Der „Apostel“ predigt auf Französisch. Dabei hebt er die Stimme und gestikuliert – seine Übersetzerin versucht, das etwas zu spiegeln. Immer wieder fällt ein bestätigendes „Halleluja“ der Gemeinde, so dass ein Gewirr an Stimmen und Gesten entsteht – ein Erlebnis!

 

In der Mainzer Stadtmission sind
die Kinder überall voll mit dabei

Mainzer Stadtmission
Wer hier in den Gottesdienst kommt, sieht sofort, dass sich die Kinder wohl fühlen: Eine ganze Horde von ihnen tummelt sich vor dem Altar, bevor sie mit Kinderlied und Segen in den Kindergottesdienst verabschiedet werden, der wie die vielen Kinder- und Jugendgruppen unter der Woche nach Alter aufgeteilt stattfindet. Mehrmals im Jahr packen alle mit an, um das Gemeindehaus in einen großen Indoor-Spielplatz umzubauen und das Ferienprogramm zu organisieren. Zwar gibt es einen eigenen Jugendpastor als Leiter für den gesamten Bereich, aber ein Großteil des Programms (auch bei den Erwachsenen) geht auf Initiative und Mitarbeit der Mitglieder zurück. Die Gemeinde begreift sich als Heimat für Menschen in jedem Lebensalter, die eigene Talente entfalten und durch Glaube und Gemeinschaft Wachstum erleben möchten.
Am 29. Juni feiert die Mainzer Stadtmission von 11-17 Uhr zentral in der Innenstadt (Am Kronberger Hof) ein großes Sommerfest für die ganze Familie! Die Gäste erwartet ein Bühnenprogramm, Hüpfburg, Aktionsstände und viele kulinarische Angeboten zu freundlich kalkulierten Preisen.

 

Klassisch traditionelles Bild bei der Freien Baptistengemeinde: Diakon Karsten Sandhop

Freie Baptistengemeinde
Die Freie Baptistengemeinde Mainz grenzt sich durch eigene Positionen in Glaubensfragen ab. Sie beteiligt sich daher nicht an Bündnissen oder Kooperationsprojekten der anderen Gemeinden und legt Wert darauf, die Bibel von Anfang bis Ende „wortgenau“ anzunehmen und biblischen Gesetzen zu entsprechen. Was sich aus ihrer Sicht für die Praxis daraus auch ergibt, machen Website und Satzung explizit: Keine Frau als Oberhaupt, Ablehnung der Evolutionstheorie. Die mahnenden Verse im Schaukasten am Münsterplatz wirken nicht unbedingt einladend, doch innen wird man freundlich von Anwesenden begrüßt, die sich namentlich vorstellen und ein Gespräch beginnen. Ich staune über die Unterschiedlichkeit der Frauen und Männer aus verschiedenen Nationen, die hier – mal in Jogginghose, mal im feinsten Sonntagsanzug – in den Reihen sitzen. Der Raum ist klein, aber es gibt sogar eine Orgel. Gesungen wird nach Gesangbuch. Die Rhetorik ist ungewohnt: immer wieder fallen Worte wie „Satan“ und „Sünde“ – ohne weitere Erläuterung. Offenbar sind sie hier bereits geläufig. Die Gemeinde ist missionarisch unterwegs, aber man bleibt respektvoll und bedrängt nicht, obwohl die Glaubenswelt eine andere ist.

Adventgemeinde
Auch diese Gemeinde hat eine besondere Form der Bibeltreue – jedoch in anderer Weise. Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten feiert Gottesdienst und Ruhetag nach jüdisch-christlicher Tradition am Sabbat (samstags). Die Menschen hier schöpfen Hoffnung und Kraft aus der in der Bibel angekündigten Wiederkehr Jesu. Durch Bibelkunde, eine „Lebensschule“ mit Vorträgen zu Themenreihen wie „Gewaltfreie Kommunikation“ und die Pflege von Geselligkeit möchten sie sich gemeinsam weiterentwickeln und christlichen Wertmaßstäben entsprechen. Wer hier zum Gottesdienst kommt, sollte vorbereitet sein und genug Zeit mitbringen: Das rund 2-stündige Programm aus Bibelvertiefung in Kleingruppen, Pause und Predigt ist anspruchsvoll… Wer sich aktiv mit der Bibel auseinandersetzen und nicht einfach nur zuhören will, findet hier Gelegenheit dazu.

Ein Ort, an dem jedermann willkommen ist: Begegnungscafé von „Kirche in Aktion“

Kirche in Aktion (KiA)
Bei KiA soll für die christliche Gemeinde nicht kennzeichnend sein, dass die Mitglieder Christen sind oder dass christliche Rituale gepflegt werden, sondern dass sie christlichen Werten entsprechend aktiv Nächstenliebe praktiziert. Man tut das in Form von sozialen Projekten, die vom Besuchsdienst in Altenheimen bis zur aufsuchenden Sozialarbeit im Prostitutionsmilieu reichen. Seit Anfang des Jahres hat die Gemeinde mit dem „edenRoom“ (Steingasse) auch einen Innenstadt-Treffpunkt, an dem es offene Angebote wie Spieleabende oder das Repaircafé gibt, man sich aber auch „einfach so“ aufhalten und kostenlos Kaffee trinken kann. Sämtliche Veranstaltungen und Projekte vereinen Christen und Nicht-Christen – sowohl was die Mitarbeit als auch die Zielgruppe betrifft. Dennoch bleibt für die Initiatoren der eigene christliche Glaube Quelle von Motivation und Kraft. Um diesen Kern zu stärken, finden Bibelzeiten und ein 14-tägiger Gottesdienst statt – stets in Verbindung mit gemeinsamem Essen, zu dem selbstverständlich JEDER herzlich willkommen ist…

Fazit
Gottesdienst und Gemeinde sind mehr als Musik und nette Gesellschaft. Hier kreist alles um die Bibel und einen Weg hin zu Dingen wie Versöhnung, Nächstenliebe und Gemeinschaft. Offenbar sehnen sich Menschen danach. Aber sie befassen sich vermutlich nur dann mit der Bibel, wenn sie ihnen in einer Form begegnet, die sie persönlich anspricht. Gemeinden, die buchstäblich „glaubwürdig“ den Eindruck vermitteln, dass dort die biblischen Leitbilder in die Praxis umgesetzt werden, finden genug Menschen, die mitmachen und Geld spenden. Auf welch unterschiedliche Art und Weise das gelingen kann, zeigt die Vielfalt der Gemeinden.

Text Nina Heuß

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