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Der Domschweizer: Klaus Springer

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von Andreas Coerper

Wer einen sonntäglichen Gottesdienst im Mainzer Dom besuchte, dem ist er schon aufgefallen. Ein Herr in Uniform, mit roter Schärpe, Hellebarde und einem napoleonischen Zweispitz auf dem Kopf. Manch einer hielt ihn vielleicht für einen vergessenen Fastnachter, der in den heiligen Hallen der Kathedrale Asyl fand. Andere stellten sich die Frage „Wer hat´s erfunden?“ Darauf gibt es eine einfache Antwort: die Schweizer. Bis vor nicht allzu langer Zeit war die Schweiz ein bettelarmes Land voller durchtrainierter, ungebildeter Bergbewohner. Müde von fruchtlosen innereidgenössischen Raufereien begannen sich die Einwohner als Söldner sämtlichen europäischen Herrscherhäusern anzudienen. Den kraftstrotzenden Burschen war dabei der Grund des jeweiligen Krieges egal, Hauptsache der Sold stimmte. Schnell erwarben sie sich den Ruf ebenso furchtloser wie erbarmungsloser Kämpfer, denen nichts heilig war. Als Infanteristen wurden sie zum Schrecken gegnerischer Ritterhorden, die sie mit archaischer Bewaffnung überrannten und zermalmten. Hellebarden, meterlange Spieße mit einer Beilklinge zum Knacken gegnerischer Rüstungen, die den Mietkämpfern von ihren Arbeitgebern gestellt wurden, waren zu sperrig. Wurden die Recken zum Einsatz gerufen, blieben die Langwaffen zu Hause. Getöteten Gegnern rissen sie die Herzen aus dem Leib, um sie zu verspeisen, das Bauchfett der Gemordeten nutzten sie zur Stiefelpflege. Die effiziente Durchschlagskraft der Schweizer imponierte Papst Julius II. Bevor er am 18. April 1506 den Grundstein des Petersdoms legte, bat der von Martin Luther „Bluthund“ genannte Papst um Entsendung von 150 Schweizer Söldnern zu seinem persönlichen Schutz. Am 22. Januar desselben Jahres bezogen die Haudegen zum ersten Mal Stellung im Vatikan. Die Schweizergarde war geboren. Bis heute zeichnet die Schweizergarde, jetzt als Staatspolizei des Vatikan, für die Sicherheit des Papstes und der vatikanischen Gebäude verantwortlich. Hellebarden dienen weiterhin nur als schmucke Dekoration von Repräsentationsuniformen. Als Bewaffnung verlässt man sich auf Scharfschützengewehre und verdeckt zu tragende Maschinenpistolen mit dem Kaliber 12,7 Remmington Papal.

Ein Schweizer in Mainz
Den Mainzer Domschweizern diente die päpstliche Schutzpolizei nur als Vorbild. Am 6. Juli 1802 wurde Joseph Ludwig Colmar zum Bischof des Großbistum Mainz ernannt. Die Stadt stand damals unter französischer Besatzung. Der Dom war durch die Belagerung 1793 stark beschädigt. Er diente den Franzosen als Lagerhalle und war, wie der Speyerer Dom, zum Abriss vorgesehen. In hartnäckigen Verhandlungen rang der Bischof dem französischen Kaiser den Erhalt der Kirchen ab. Zum Geburtstag Napoleons 1804 waren beide Gotteshäuser gerettet. „Hier sind sie ja früher mit Hund, Katze und Pferd rein geritten. Colmar hat dann gesagt, das hört mir auf, so geht’s nicht weiter. Dann hat er die Domschweizer ins Leben gerufen“, erzählt der Mainzer Domschweizer Klaus Springer. Seit 24 Jahren ist er ehrenamtlich als Kirchenwächter beschäftigt. „Nein, Krieger waren die Domschweizer nie. Das waren örtliche Handwerker und Handwerksmeister, die den Job übernahmen. Es gab reichlich zu tun.“ Bis heute hat sich das Anforderungsprofil an einen Domschweizer vollständig gewandelt. Handwerkliche Fähigkeiten sind nicht mehr Voraussetzung für die Ausübung des mit einer geringen Aufwandsentschädigung honorierten Ehrenamts. „Mein Dienst geht sonn- und feiertags von morgens um halb zehn bis zwölf. Da schaue ich, dass Ruhe und Ordnung herrscht. Beim Ein- und Auszug der Priester lauf ich vorneweg. Um drei Uhr geht’s weiter, da ist dann Vesper.“ Ein acht Stunden Tag für den mittlerweile achtzigjährigen Vater von vier Söhnen und zwei Töchtern. Mit seiner Frau ist er seit fünfzig Jahren verheiratet, die hat ihn, sagt er lachend für seinen Einsatz frei gestellt.

Pöbelei im Dom
Der Besuchermagnet Dom zieht manchmal, erzählt Springer, die seltsamsten Menschen an. Haustiere finden in Jacken und Taschen versteckt Zugang, Gäste von Stadtfesten betreten mit Hut, Bratwurst und Schoppen das Kirchenschiff. Die setzt er trotz seines betagten Alters unverzüglich vor die Tür. Bei einem Hochamt 2004 störten zwei Randalierer den Gottesdienst. Während einer von ihnen Bibelzitate durch ein Megaphon brüllte, rannte ein anderer zum Altar und riss die Decke herunter. Da blitzt plötzlich der Urschweizer aus Klaus Springer: „Den Bengeln konnten wir nicht ins Kreuz hauen, weil überall Kameras mitgelaufen sind.“ Nach so vielen Jahren hat der Domschweizer nun Aufregung und Verantwortung genug gehabt. Er gibt sein Amt auf, um seine Familie und seinen Garten in Marienborn zu genießen. Zwei Nachfolger werden gesucht. Vielleicht ist das einfacher, wenn sich die Verantwortlichen die Aussage des Beraters eines Feldherren in Erinnerung rufen: „Point d´argent – point de Suisses“, ohne Geld keine Schweizer.