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Das sensor 2×5 Interview mit Yasmin Afschar (Interimsdirektorin Kunsthalle Mainz)

Sie vertreten gerade bis März 2024 die Direktorin Stefanie Böttcher in Elternzeit. Wie hat sich die Stelle ergeben?
Das lief über eine befreundete Schweizer Kuratorin, die mich auf die Stelle aufmerksam gemacht hat. So habe ich mich beworben und dann das Haus kennengelernt. Ich hatte das Programm der Kunsthalle aber schon aus der Ferne beobachtet, und einige Schweizer Kunstschaffende haben hier auch schon ausgestellt.

Aus welcher beruflichen Situation kommen Sie?
Ich habe lange im Aargauer Kunsthaus gearbeitet, auch dort als Kuratorin. Die letzten eineinhalb Jahre habe ich frei gearbeitet, u.a. war ich in Hongkong und habe eigene Ausstellungsprojekte realisiert. So war das auch jetzt hier möglich mit der Interimszeit. Studiert habe ich Kunstgeschichte in Zürich und Berlin und sehe mich auf lange Sicht dann auch wieder in einer Institution. Mainz ist eine tolle Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren und zu experimentieren und mich weiterzuentwickeln.

Welche Ausstellungen und Themen treiben Sie um?
Die Ausstellung im Herbst mit Sammy Baloji war schon in Planung und die habe ich gerne übernommen, ansonsten gibt es ein paar neue Akzente. Mit Kunst können wir uns Gedanken über zeitgesellschaftliche Themen machen, das ist das Schöne, und die Ausstellungen verändern sich auch mit den Menschen, die involviert sind. Kunst ist auch ein Ort, an dem man sich mit den Sinnen einem Thema annähern kann. Unter anderem interessieren mich das Infragestellen von fest geglaubten Positionen oder Mensch-zentriertem Handeln, Offenheit für verschiedene Ansichten, Themen und Stimmen, das ist mir wichtig, oder auch die Beschäftigung damit, wie Wissen produziert wird, aber auch hinterfragt werden kann.

Wo kommt diese Offenheit bei Ihnen her?
Ich bin als gebürtige Iranerin zwischen den Kulturen aufgewachsen. Die Welt ist größer, als wir sie in unserem unmittelbaren Umfeld wahrnehmen, und das sollten wir als Möglichkeit und Chance sehen. Unser westliches Denken steht nicht immer und überall an erster Stelle. Die Offenheit kommt sicherlich auch stark aus meiner eigenen Biografie und geht einher mit einer Sensibilität gegenüber Themen wie Rassismus, Marginalisierung, Feminismus und anderen.

Wann startet die nächste Ausstellung, und ist viel los an der Kunsthalle?
Am 29. Juni ist die Vernissage der nächsten Ausstellung „Anderes Wissen“ von und mit Olga Fröbe-Kapteyn. Darin fragen sich noch fünf weitere zeitgenössische Künstler, wie eine lebenswerte und gerechtere Zukunft aussehen könnte. Neben den Ausstellungen haben wir ein starkes Vermittlungsprogramm, vor allem für Kinder und Jugendliche. Wir leben Inklusion und bieten individuelle und unterschiedliche Zugänge zur Kunst an, z.B. durch Angebote für Menschen mit Demenz oder Rundgänge auf Ukrainisch oder Arabisch. Und Kooperationen sind wichtig: Wir arbeiten mit vielen Schulen zusammen, mit der Uni, der Kunsthochschule, usw. Drei Mal pro Ausstellung gibt es an einem Sonntag freien Eintritt in die Kunsthalle. Dann und generell an den Wochenenden ist das Haus voll, nur unter der Woche könnte manchmal noch mehr gehen.

MENSCH

Was hat Sie in die Schweiz verschlagen?
Ich bin während des Golfkrieges in Teheran geboren. Mein Vater war dort Ökonom und meine Mutter Sozialpädagogin in der Schweiz. Auf dem Rückweg von Frankreich, wo mein Vater hinreiste, um einen Peugeot zu kaufen, in den Iran, lernte er meine Mutter kennen. Wir sind ausgereist und so bin ich mit 8 Jahren nach Wien gekommen und mit 13 in die Schweiz. Ich bin aber schon vorher gependelt durch die Herkünfte meiner Eltern. In Wien hat man dann viel Kultur, aber auch in der Schweiz in Winterthur gibt es ein reichliches Angebot, über das und andere Umwege bin ich in der Kunst gelandet.

Wo findet man Sie in Mainz?
Generell ist auch meine Freizeit sehr von meinem Interesse für Kunst geprägt. Ich gehe, wann immer wenn es geht, Ausstellungen anschauen, aber mache schon auch gerne anderes, Sport, Yoga und so etwas. Mein soziales Leben ist mir auch sehr wichtig. Hier in Mainz habe ich viele nette neue Leute kennengelernt, die Menschen sind warm und herzlich. Ich gehe gern mal an die Kunsthochschule, oder besuche die PART, offene Ateliers, aber auch gerne Frankfurt, dort sind die Museen stark. Und Filme schaue ich gerne, vor allem im Capitol, das ist super – und sehr schade, dass die zumachen.

Wo wohnen Sie in Mainz?
Mittendrin, am Fischtor in der Altstadt. Da ist der Rhein in der Nähe, den ich sehr liebe, als Lebensader und auch die Weite, die Verbindung zum Meer. Ich reise aber auch viel, mein Partner wohnt noch in Zürich. Ich bin öfters mal in Berlin oder anderen europäischen Städten, um Kunstschaffende zu treffen. Hier in Mainz gehe ich gerne auf den Markt, der ist bei mir um die Ecke. Und ich schätze die Weinkultur. Letztens war ich im Hottum, das Traditionelle dort mit dem frischen Neuen auf der Karte hat mir sehr gut gefallen.

Was gefällt Ihnen noch an Mainz und was könnte sich verbessern?
Die Menschen hier sind sehr nett. In Berlin, wo ich mal eine Weile gelebt habe, ist das eher das Gegenteil. Die Mainzer scheinen mir sehr treu, auch als Besucher der Kunsthalle, sie kommen immer wieder. Und verbessern … ich finde, man könnte manchmal größer denken, über die Stadtgrenzen hinaus, in Verbindung zum Rhein-Main-Gebiet, mindestens mit Wiesbaden zusammen. Mainz hat einiges zu bieten, das könnte man ausbauen.

Sie sind auch noch Mediatorin?
Ja, aber eher als Vermittlerin. Ich bin bei den „Neuen Auftraggebern“. Dort können Bürger Kunst direkt bei Künstlern in Auftrag geben. Ich vermittle so zwischen Bürgergruppen und Künstlern, das ist extrem spannend. Die Idee dahinter ist, Kunst von oben herab umzukehren und eine Alternative zu finden, also mehr die Gesellschaft mit einzubeziehen. Gerade in strukturschwachen und ländlichen Regionen gibt es viele Menschen, die an einem kommunalen Prozess mitwirken würden, der ihnen eine Stimme verleiht. Durch die Projekte sollen sie in die Lage versetzt werden, auf Herausforderungen in ihrer Gemeinschaft mit den Mitteln zeitgenössischer Kunst zu reagieren.

Interview David Gutsche Foto Jana Kay