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Das sensor 100 Tage-Interview mit OB Nino Haase

Er wirkt zumindest lockerer und nicht mehr ganz so staatstragend verwaltungstechnisch wie seine Vorgänger: Nino Haase ist 100 Tage im Amt des Oberbürgermeisters von Mainz und spricht mit uns über Raumnot, Grünflächen und Kultur.

sensor: Die ersten 100 Tagen mit Ihnen als Oberbürgermeister liegen zurück. Wie haben Sie die Anfangszeit erlebt?

Haase: Dass es sich um eine sehr arbeitsintensive Stelle handelt, war mir vorher bekannt. Wenn man dann erstmal dabei ist, merkt man, was es heißt, eine 85-Stunden-Woche zu haben. In der ersten Woche waren es sogar 100 Stunden, aber das ist inzwischen nicht mehr die Regel. Wir hatten über 830 Termine in den ersten 100 Tagen, hinzu kommt die Büroarbeit.  Viele Terminanfragen sind aufgelaufen, inzwischen sind wir aber gut „vor diese Welle“ gekommen.

Konnten in dieser Anfangszeit schon manche Weichen gestellt werden?

Im Bereich der Modernisierung konnten wir schon einiges anstoßen. Da geht es um den Auftritt nach außen, die Stadt ist seit kurzem beispielsweise auf Instagram aktiv. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit noch attraktiver gestalten. Auch die neue Besetzung der Leitung des Hauptamtes mit Andreas Drubba ist in diesem Kontext von Bedeutung, da geht es um den Fokus auf Digitalisierung und Transformation. Darüber hinaus haben wir erst vor wenigen Tagen das Kita-Paket „Personal+“ vorgestellt, das noch dem Stadtrat vorgelegt wird.

Es wurde immer wieder darüber diskutiert, inwiefern Sie als parteiloser Kandidat Mehrheiten gewinnen können. Auch wenn es bislang erst eine Stadtratssitzung mit Ihnen als OB gab, wie stellen Sie sich künftig die Zusammenarbeit im Stadtrat vor?

Fairerweise muss gesagt werden, dass der Oberbürgermeister generell nicht allzu viele Beschlussvorlagen einbringt. Das kommt schon mehr aus den Fachämtern. Die Kita-Vorlage lief in Zusammenarbeit mit Sozialdezernent Dr. Eckart Lensch, da haben wir uns sehr eng miteinander abgestimmt. Ich bin im Austausch mit allen demokratischen Fraktionen, jede einzelne habe ich auch während ihrer Sitzungen besucht. Mit meinem Referenten Andreas Behringer habe ich darüber hinaus einen guten Draht hinein in die Fraktionen. Der Austausch ist also insoweit positiv.

Aber Sie geben schon auch Richtlinien vor, wie kürzlich bei der Wohnbau?

 Zum Beispiel. Das war ein noch recht früher Zeitpunkt meiner Amtszeit. Mir ging es darum klarzumachen, dass Richtlinien und Compliance-Regeln in der Stadt an oberster Stelle stehen und beachtet werden. Ich bin auch da sehr froh, dass wir damit zeigen konnten, dass das Verhältnis zwischen Stadt und städtischen Gesellschaften transparenter werden muss. Es war mir wichtig, diesen Standpunkt deutlich zu machen, ohne zugleich „verbrannte Erde“ zu hinterlassen. So, wie der Prozess dann lief, war ich zufrieden. Es war ein wichtiges Signal zum richtigen Zeitpunkt.

Die Einwohnerzahl von Mainz wächst und man könnte den Eindruck haben, dass die Infrastruktur und Verwaltung aufgrund von Personalmangel nicht mehr hinterherkommen. Der städtische Raum ist ein großes Thema. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung? 

Das beherrschende Problem ist, dass die Personalbesetzung in der Verwaltung nicht mit dem Wachstum der Stadt in den vergangenen Jahren hat Schritt halten können. Das ist eine große Herausforderung. Wir haben aktuell 1.200 unbesetzte Stellen. Es laufen beständig Vorstellungsgespräche zur Personalfindung. Wir haben in den nächsten Jahren einen enormen Bedarf an neuen Kräften. Deshalb brauchen wir neben mehr Personal auch modernere Arbeitsmethoden. Ich bin zuversichtlich, was die Automatisierung von Prozessen betrifft. Hierzu braucht es allerdings eine Grundlage, die jetzt so schnell wie möglich geschaffen werden muss. Auch deshalb arbeiten wir an dem öffentlichen Auftritt über Social Media, da dieser für das Branding eines Arbeitgebers und die Personalgewinnung wichtig ist. Und dann kommen wir immer mehr an den Punkt, unsere Aufgaben in Gänze zu bewältigen. Das heißt im Bereich des Klimaschutzes: Begrünung der Stadt, Flächenumwandlung, also Parkflächen in die Parkhäuser zu verlegen, um die freigewordenen Räume dann wieder für Radwege und Grünflächen zurückzugewinnen.

Die Vorstellung, dass gerade auf Grünflächen gesetzt wird, fällt angesichts der vielen Bauprojekte wie etwa am Nordhafen oder dem Biotech-Areal schwer. Zusätzlich steigt die Verkehrsbelastung durch immer mehr Autos in der Stadt. Wie sollen da neue Räume entstehen?

Mit einer steigenden Einwohnerzahl wächst natürlich auch der Verkehr. Deshalb müssen wir dringend auch wieder Flächen zurückgewinnen. Zwanzig bis dreißig Prozent des Innenstadtbereiches sind reine Parkflächen, daher muss es darum gehen, diese in die Parkhäuser zu bringen. Der Individualverkehr muss sich weiter reduzieren, das 49-Euro-Ticket wird dazu beitragen. Unser Ziel ist es, 40 Prozent weniger Emissionen im Bereich Verkehr zu erreichen. Dies soll einerseits durch die Elektrifizierung und andererseits durch die Rückläufigkeit des Individualverkehrs gelingen. In Zusammenhang mit den Parkhäusern werden wir auch über die Preise des Anwohnerparkens sprechen müssen. Wir dürfen jetzt die Preise frei festsetzen: Mainz ruft aktuell 30 Euro im Jahr auf, Wiesbaden hat auf 120 Euro pro Jahr erhöht, Freiburg peilt bis zu 400 Euro an. Irgendwo dazwischen werden wir uns einreihen – aber erhöhen müssen wir hier auf jeden Fall.

Wo gibt es noch Möglichkeiten für städtische Naherholung? Gerade um auch Versiegelungen zu vermeiden?

Bei Neubauprojekten sind wir verpflichtet, das Thema Dachbegrünung konsequent umzusetzen. Natürlich gibt es auch Flecken in einer Stadt, wo das nicht möglich ist. Der erste Bauabschnitt des Rheinufers ist so ein Fall, weil dies eben auch Stellfläche für Schausteller ist. Der zweite und dritte Abschnitt des Rheinufers wird spürbar anders aussehen. Auch im Zusammenhang mit dem Regierungsviertel und der Sperrung der Großen Bleiche am 16. Juli werden wir zeigen, dass wir nicht jeden Straßenabschnitt brauchen. Diese Abschnitte werden wir identifizieren und dann auch wieder zur Steigerung der Lebensqualität der öffentlichen Nutzung abseits des Verkehrs zuführen. Mainz ist und bleibt, da braucht man sich keine Illusionen zu machen, eine dicht besiedelte Stadt. Ein Wald wird Mainz nicht, aber wir werden begrünen, wo es geht.

Die jungen Leute, die größtenteils zum Studium nach Mainz kommen, bemerken durch die dichte Besiedlung, dass Dinge wegfallen, wie etwa der Nordhafen. Oder auch in der Kulturwelt, etwa die Schließung der Capitol- und Palatin-Kinos im Oktober.

Das sehe ich anders. Wir werden als Stadt die Kinos nach der Bauphase weiter betreiben. Welche Stadt macht das schon? Dass jetzt eine Pause entsteht, ist schade, wir versuchen diese aber möglichst kurz zu halten. Die Darstellung der Kino-Betreiber halte ich – in diesem Zusammenhang jedenfalls – nicht für richtig: Sie hätten auch einen Verein gründen können, dann hätten wir sie als Stadt weiter fördern können. Das haben sie nicht gemacht.
Jedenfalls werden wir die Kulturlandschaft auch darüber hinaus stärken. Vorangetrieben wird auch die „Kulturbäckerei“ in der nördlichen Neustadt, ein großes Projekt in den nächsten Jahren.

Wie gehen Sie dabei mit den sinkenden Gewerbesteuereinahmen um?

Das hat große Auswirkungen. Wir müssen in Zukunft schauen, dass wir uns einen Handlungsspielraum leisten können. Nach der Hochphase erleben wir jetzt, dass die Einnahmen wieder auf ein normales Niveau sinken. Mit unserem attraktiven Standort – wir sind eine junge Stadt – müssen wir aktiv in die Ansiedlung gehen. Ich denke dabei nicht nur an Biotechnologie, sondern auch an alle anderen Bereiche, welche die lokale Wirtschaft stärken und divers halten.

Was wird aus dem kostenlosen ÖPNV am Samstag, für den Sie sich ebenfalls während Ihres Wahlkampfs eingesetzt haben?

Wir haben dies kürzlich angeboten und es lief sehr gut. Auch die Geschäftsleitung der Mainzer Mobilität war vor Ort und konnte sich überzeugen. Ich bin sehr dafür, dass viele weitere Samstage im Jahr folgen, die eine kostenlose ÖPNV-Nutzung erlauben. Wir müssen uns dabei aber auch mit den Verantwortlichen in Wiesbaden abstimmen. Hierzu wird aktuell ein Konzept entwickelt.

Wie wichtig ist Ihnen der Brückenschlag nach Wiesbaden?

Ich halte es generell für wichtig, das Umland mit einzubeziehen. Gerade haben wir die Stelle für das regionale Kulturmanagement für Rheinhessen besetzt. Die Zusammenarbeit mit anderen Kommunen ist elementar –  allein werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht bewältigen können.

Und wie gehen Sie in die kommende Kommunalwahl 2024? Haben Sie Pläne eine unabhängige Liste aufzustellen?
Nein. Ich sitze an der Seite des Spielfeldes und schaue mir das interessiert an. Es ist nicht meine Aufgabe, mich zu positionieren. Wenn ich allerdings einen Wunsch für die Kommunalwahl habe, ist es der, dass das Korsett von Koalitionsverträgen eigentlich nicht nötig ist. Das kann man vielleicht im Bundestag machen, aber auf kommunaler Ebene sollten alle Demokraten sachbezogen zusammenarbeiten.

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Das Interview führten Alexander Weiß und David Gutsche

1 response to “Das sensor 100 Tage-Interview mit OB Nino Haase

  1. Sehr geehrter Herr Haase, bitte nicht die Tatsachen verdrehen:
    Wir selbst haben der Stadtverwaltung eine Vereinsgründung vorgeschlagen! Da der Betrieb der zukünftigen Kinos aber öffentlich ausgeschrieben wird, hätte eine Vereinsgründung von uns logischerweise erst Sinn ergeben, wenn wir diese Ausschreibung gewonnen hätten. Die existiert aber nach wie vor nicht und kann nur von der Stadtverwaltung umgesetzt werden.
    Eduard Zeiler und Jochen Seehuber, Betreiber der Capitol&Palatin Filmtheater

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