Text und Foto Andreas Coerper
Pasquale und Rosaria Marsico sind seit 37 Jahren verheiratet, beruflich wie privat.
Ein Streit in der Familie führte zu weitreichenden Konsequenzen. Nach einem anstrengenden Tag auf Feldern, die seine Eltern in Grimaldi bei Cosenza (Kalabrien) für einen Großgrundbesitzer bewirtschafteten, ging der junge Umberto Marsico in die Wälder, um Pfeifenholz zu sammeln.
Die bis zu 60-jährigen Knollen der Baumheide liefern Bruyere-Holz zur Fertigung von Pfeifen und Messergriffen. Vom Verkaufserlös des begehrten, sehr harten, feuer-resistenten Holzes wollte Umberto sich dringend benötigte neue Schuhe kaufen. Mit einem stattlichen Sack hölzerner Beute kehrte er abends todmüde nach Hause zurück. Am nächsten Tag verkaufte sein Vater das edle Holz mit gutem Gewinn an einen Händler. Statt seinem Sohn die Bitte um 1.000 Lire zum Kauf der Schuhe zu gewähren, verweigerte er diese Beteiligung mit einem Hinweis auf die Finanzierung der Aussteuer seiner Tochter. Die Idee, das Glück in der Ferne zu suchen, hatte Umberto schon lange. In diesem Moment beschloss er, sie in die Tat umzusetzen.
Dieser Weg …
Ein Angebot der Gleisbaufirma Schley bei Saarbrücken führte Umberto Marsico 1958 mit 26 Jahren nach Deutschland. Mit ihm verließen in den 60er Jahren weitere 300.000 Kalabrier ihre Heimat Richtung Norden. Der Reparaturbedarf an deutschen Gleisanlagen war hoch, es ging auf Montage durchs Land, ab und zu zurück zu Besuche nach Grimaldi. Neun Monate nach einem dieser Besuch kam 1959 seine Tochter Rosaria Marsico zur Welt und die Sonne strahlte. 14 Jahre später – es war wieder mal einer dieser typischen durchschnittlich 320 süditalienischen Sonnentage – geschah der Zusammenprall: Rosaria lernte ihren Pasquale kennen. „Ich war immer ein fanatischer Motorradfahrer“, schmunzelt Herr Marsico, „und bei einem Ausflug sah ich dieses schöne Mädchen. Ich wusste, die ist für mich und lud sie zu einer Fahrt ein. Kurz darauf verlobten wir uns. Ich war 17, meine Frau 14.“
Wie der Zufall es wollte, hatten sogar beide den gleichen Nachnamen. Der Priester überprüfte daher bei der Hochzeit den Stammbaum: „Pasquale und ich heirateten vor 37 Jahren, als ich 18, er 21 war. 1979 zogen wir, mit einer Zwischenstation in Rüsselsheim, nach Mainz“, ergänzt Rosaria. „Wir wohnten 23 Jahre in der Mombacher Straße, bis wir 2002 ins Münchfeld zogen“, berichtet Pasquale. „Warum wir immer noch zusammen sind? Glück gehabt. Wir wurden uns nicht von unseren Eltern versprochen, wie das früher üblich war. Meine Eltern waren liberaler, auch weil mein Vater in Deutschland arbeitete.“ Heute haben die Marsicos zwei erwachsene Töchter, im Oktober sind sie Großeltern geworden.
Italienische Spezialitäten in Mainz
Eine Lieferung Panettone, der traditionelle italienische Weihnachtskuchen, ist eben angekommen. Während Pasquale die Kuchenschachteln in den oberen Regalen stapelt, kontrolliert Chefin Rosaria die Nudelbestände. Auf zehn Metern Regallänge liegen 65 verschiedene Sorten zur Auswahl. „Eigentlich wollte ich ein Restaurant eröffnen, weil ich sehr gern koche. Von denen, die anfangs von der Idee begeistert waren, sind aber alle abgesprungen. Dann bekam ich das Angebot, den Laden hier in der Hinteren Bleiche zu übernehmen und schlug zu. Ich bekam eine Abfindung der Firma Beck aus Budenheim, in der ich elf Jahre gearbeitet hatte, und Pasquale eine Festanstellung bei Opel. So gewährte uns die Bank einen Kredit für die Übernahme des Ladens.“
In dem kleinen, typisch italienischen Geschäft biegen sich seit 1989 die Regalböden. Täglich wird im Steinofen gebackenes Ciabatta, Ciambelle, langes und rundes Brot frisch geliefert. Individuell belegte Ciabattini-Brötchen sind der schnell ausverkaufte mittägliche Geheimtipp. Ein Kunde aus Frankfurt hat es besonders eilig. Sein Auto steht im Parkverbot. Mit Pesto, Hartweizengries, Olivenöl und Büffelmozzarella ist er mit einem fröhlichen „Ciao“ gleich wieder weg. Im Westen Kalabriens gibt es viele Spezialitäten. Am tyrrhenischen Meer wächst die Zitrusfrucht Bergamotte, berühmt für ihre Duftstoffe (Earl Grey Tee, Parfum). Das weltweit beste Süßholz für Lakritz / Likör / Medizin gedeiht nur in Süditalien. Süße Tropea-Zwiebeln und höllische Chilis, mit denen „Nduja“, eine Streichsalami, gewürzt ist. Plötzlich ist der Laden voll. „Ich muss weiter machen“, lacht Rosaria, „felice anno nuovo. Buona fine d´anno e buon principio, euch allen!“