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„Bürger nicht für doof halten“: OB-Kandidat Nino Haase im Interview

Aus der Allgemeinen Zeitung von Michael Erfurth:

Nino Haase ist der OB-Kandidat der Mainzer CDU. Im Interview stellt er seine Ideen zur Verkehrspolitik vor und spricht über die Ziele, die er sich bis 2030 gesetzt hat.

Herr Haase, Sie wollen als parteiloser Kandidat ins Rennen gehen. Ist es nicht schwierig, als OB zu bestehen, ohne Mitglied einer Partei zu sein und damit einen starken politischen Rückhalt zu haben?
Ich bin ganz froh, dass ich für die OB-Wahl unabhängig und aktuell in keiner Partei bin. Schließlich wählen die Mainzer einen Oberbürgermeister und keinen Oberparteimeister. Natürlich ist eine Parteimitgliedschaft ein Vorteil, da man eine Basis hat, die hinter einem steht. Auf der anderen Seite finde ich es wichtig, dass man in die Politik geht, nachdem man im Leben etwas mehr gesehen hat als ein Partei-Berufsleben. Es muss beides geben.

Warum kandidieren Sie?
Weil mir an der Stadt etwas liegt und weil ich finde, dass wir uns in Mainz an vielen Stellen, zum Beispiel wirtschaftlich und kulturell, deutlich unter Wert verkaufen.

Woran machen Sie das fest?
An Fragen wie: Wo entwickeln wir uns in der Stadt hin in den nächsten zehn Jahren? Wo entwickeln wir uns verkehrspolitisch hin? Gibt es die Idee, neue Stadtteile anzusiedeln? Wie schaffen wir es, einen Wirtschafts- und Industriestandort aufzubauen, der einer Stadt wie Mainz – auch mit ihrer Universität und ihrer gut ausgebildeten und relativ kaufkräftigen Bevölkerung – gerecht wird? Und wie gestalten wir endlich die Marke Gutenberg, dass wir dieser als Stadt gerecht werden?

Wie würden Sie die Verkehrspolitik angehen?
Man muss zum Beispiel Hemmschwellen für die Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs herabsetzen. Ist es für mich bequem, erst Carsharing zu nutzen und dann einfach in den Bus zu springen? Ich habe, als ich noch in München gewohnt habe, mein Auto kaum noch genutzt. Dort gibt es auch ein gutes Park-and-ride-System. Damit könnte man in Mainz die Mainzelbahn effizienter nutzen. Man muss mehr Möglichkeiten schaffen, am Stadtrand auf das bestehende ÖPNV-Netz umzusteigen. Dann muss man nicht in der Stadt anfangen, Verkehrsachsen zu zerschlagen, um Autoverkehr rauszuhalten.

Die P+R-Idee ist nicht neu. Bislang ist die Stadt daran gescheitert, Flächen zu finden, die finanzierbar sind. Was wäre Ihre Lösung?
Man muss politisch dranbleiben, dass auch das Land solche P+R-Plätze fördert, und prüfen, ob zukünftig mit städtischen Parkflächen solche komfortablen Anbindungen außerhalb der Innenstadt refinanziert werden können. Weniger Stellplätze darf es in Summe aktuell nicht geben. 30 bis 40 Prozent der Innenstadtflächen gehen bislang fürs Parken drauf. Es wäre eine Riesenerleichterung, wenn man das Auto am Stadtrand stehen lassen könnte und in der Stadt mit Carsharing, dem Fahrrad oder dem ÖPNV schnell und bequem unterwegs sein könnte. Das muss sich natürlich den Lebensumständen eines jeden Einzelnen anpassen. Nicht nur die jüngere Generation hat begriffen, dass wir ein Umdenken brauchen. Erfolgreiche Städte wie Kopenhagen oder Madrid haben gezeigt, wie man das macht. Deshalb brauchen wir auch eine attraktivere ÖPNV-Anbindung ins Umland.

Sie wollen also weniger Stellflächen in der Innenstadt?
Das ist eine Zukunftsperspektive in Mainz bis 2030, für die wir jetzt anfangen müssen, die Voraussetzungen zu schaffen. Aber man darf das nicht von heute auf morgen machen und wie es im Moment geschieht, damit den Menschen in unserer Stadt und dem Einzelhandel schaden. Flächen, die zukünftig in der Innenstadt frei werden, kann man dann sicherlich in Zukunft auch für Wohnbau, Grünflächen oder Kultur nutzen. Die Stadtspitze müsste generell mehr Druck gegenüber dem Land aufbauen. Durch den Schaden an der Schiersteiner Brücke nutzen viele Pendler Mainz als Ausweich- bzw. Schleichverkehrsroute, eine Besserung ist nicht in Sicht. Das wird aber leider derzeit aus parteipolitischen Gründen totgeschwiegen.

Wie stehen Sie zur City-Bahn?
Bevor man sich über die Trassenführung in Mainz Gedanken macht, muss man abwarten, ob es in Wiesbaden einen Bürgerentscheid gibt. Es fällt mir momentan schwer, den Menschen zu erklären, wie man noch eine Straßenbahntrasse über die Theodor-Heuss-Brücke bekommt.
Die CDU verknüpft die City-Bahn mit der Forderung nach einer zusätzlichen Straßenbrücke über den Rhein. Allerdings ist der Bau einer Brücke aufgrund der langen Vorlaufzeit kaum vereinbar mit der City-Bahn, die bereits in einigen Jahren fahren soll…
Es schadet sicherlich nicht, wenn wir diese zusätzliche Brücke hätten. Zumal der Großraum Wiesbaden-Mainz, insbesondere auch AKK, in Zukunft weiter wachsen wird. Ganz gleich, welche Verkehrsmittel genutzt werden, schon jetzt erleben wir tagtäglich die Staus auf der Theodor-Heuss-Brücke, die dann Auswirkungen auf das gesamte Stadtgebiet haben. Eine Entlastung würde der ganzen Stadt guttun.
Die Ampelkoalition und der OB verweisen darauf, dass in den vergangenen Jahren 6.500 Wohnungen gebaut oder auf den Weg gebracht wurden und mit dem Heiligkreuzviertel faktisch ein neuer Stadtteil mit 2.000 Wohnungen entsteht. Sie halten weiteren Wohnungsbau für notwendig.

Wo wollen Sie neuen Wohnraum schaffen?
Ich kann mir beispielsweise Flächen entlang der Mainzelbahn vorstellen, da hier bereits die Verkehrsinfrastruktur vorhanden ist – wenn Anwohner mit eingebunden werden und die Frischluftversorgung geklärt ist. Generell sollte der Bau von Infrastruktur dem Wohnungsbau voranschreiten.

Also Nachverdichtung?
Nein, das ginge erst, wenn durch oben genannte Verkehrspolitik entsprechende Kapazitäten entstanden sind. Das ist dann eine behutsame Nachverdichtung auf frei gewordenen Flächen.

Sie fordern eine offensivere Ansiedlungspolitik…
Gewerbesteuereinnahmen sind in Mainz wie überall durch die starke Wirtschaft nach oben gegangen. Aber wenn man das vergleicht mit Darmstadt oder Wiesbaden, sind wir beim Gewerbesteueraufkommen pro Kopf weit hintendran. Es fehlen Visionen, wie man technologienahes Gewerbe ansiedelt und hält. Bei der Wirtschaftsförderung der Stadt Anfragen von Unternehmen zu beantworten, das scheint keine Priorität zu haben an der Stadtspitze. Und das ist tragisch. Das gefährdet die soziale Zukunft einer Stadt. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Steuereinnahmen in den nächsten Jahren nicht mehr sprudeln. Das muss man abfedern, damit man auch die sozialen Projekte, die wichtig sind, erhalten kann. Eine soziale und wirtschaftsfreundliche Stadt – das gehört zusammen. Ein weiteres Beispiel: Wir haben in Mainz eine bessere Anbindung an den Flughafen als Frankfurt. Aber was kriegen wir dafür? Den Fluglärm! Wir müssen wenigstens die Vorteile für Mainz besser ausspielen.

Heißt das, Sie stehen dem weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens positiv gegenüber?
Nein, wieso sollte ich? Das Land Hessen und die Fraport AG haben in den letzten Jahren viel Vertrauen durch Nichteinhaltung ihrer Versprechen und eine Aufweichung des Nachtflugverbots verspielt. Eine Mehrbelastung ist der Bevölkerung keinesfalls zuzumuten.

Sie kritisieren die Rathaussanierung. Welche Alternativen hätten Sie?
Wir alle wissen, was passiert, wenn man ein solch altes Gebäude anpackt. Ich tue mich schwer zu sagen, wir gehen ein Risiko ein, dass das Ganze am Ende über 100 Millionen Euro oder mehr kostet. Die Stadt hat jetzt als Übergangslösung ein Gebäude in der Großen Bleiche gekauft. Eine Alternative könnte somit sein, dass man dort ein Rathausquartier anlegt und die exponierte Lage des alten Rathauses am Rhein für den größten Sohn der Stadt, Gutenberg, nutzt. Zumal das Arne-Jacobsen-Gebäude für die Bürger der Stadt nicht für jedermann identitätsstiftend ist.

Anfang 2020, wenn auch die neue OB-Amtszeit beginnt, soll die Sanierung starten. Sollten Sie die OB-Wahl gewinnen: Würden Sie versuchen, die Sanierung zu stoppen?
Jetzt werden Fakten geschaffen, die der neu zu wählende Stadtrat „erbt“. Wenn schon die Sanierung begonnen hat, ist das wahrscheinlich nicht mehr zu ändern. Das hängt auch an den Mehrheitsverhältnissen ab Mai im Stadtrat.

Sie kritisieren, dass mit dem Umbau des Taubertsbergbades zu einem reinen Sportbad es in Mainz kein Erlebnisbad mehr gibt. Hätten Sie eine Idee zur Finanzierung?
Ich kritisiere nicht die Umwandlung, sondern die fehlende Sorgfalt des Dezernates bei der Inspektion einer wichtigen Liegenschaft. Jeder Eigentümer achtet auf sein Eigentum – auch wenn es verpachtet ist. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass es der Stadt zehn Jahre lang nicht aufgefallen sein soll, dass das Bad immer maroder wird. Das hätte nicht passieren dürfen, und dann muss man sich auch keine Gedanken um die Finanzierung weiterer 20 Millionen Euro machen.

Bekannt geworden sind Sie im politischen Mainz als treibende Kraft im Kampf gegen den Bibelturm. Wie sehen Sie die Rolle von Bürgerinitiativen?
Man darf die Bürger nicht für doof halten. Man darf als Oberbürgermeister nicht einfach sagen: Ich weiß mehr als ihr. So ist es auch bei den Neustadt-Anlegern der Fall. Die Bürger abzutun, indem man sagt, hätten sie mal den Bebauungsplan richtig gelesen und die Anleger als alternativlos hinzustellen – da bewegt man sich als Stadt auf dünnem Eis. Die Leute wissen, wie sie gegen so etwas vorzugehen haben. Dann steht die Stadt da und es geht über Jahre nichts voran, weil man zum richtigen Zeitpunkt verpasst hat, mit dem nötigen Fingerspitzengefühl an die Sache ranzugehen. Ein Oberbürgermeister sollte sich immer fragen: Was ist der Bürgerwille und wie ist die mehrheitliche Meinung im Stadtrat?

Foto: Sascha Kopp