von Jens Grützner (Artikel aus der Mainzer Allgemeinen Zeitung)
Die Mainzer Polizei hat das seit über drei Wochen besetzte Haus in der Oberen Austraße 7 geräumt. Der Einsatz begann um Punkt 6 Uhr und war um 10.15 Uhr beendet. Die Aktion verlief friedlich. (Foto: Alex Boerger)
Auf die anfängliche Lautsprecher-Aufforderung der Polizei, das Gelände freiwillig zu räumen, gingen die Besetzer nach einer kurzen Besprechung nicht ein. Sie hatten vor dem Haus eine Sitzblockade errichtet. Um 6.22 Uhr und 6:25 wurden die Besetzer darauf hingewiesen, sie begingen einen „Verstoß gegen die öffentliche Ordnung“ und genössen nun nicht mehr den „Schutz der Versammlungsfreiheit“.
Als bis 6:35 Uhr immer noch nichts passierte, begann die Räumung. Mittlerweile haben die Beamten alle 45 Demonstranten vor dem Haus weggetragen. Die Besetzer wurden in Mannschaftswagen verfrachtet und ihre Identitäten festgestellt. Ein Besetzer wurde wegen Widerstand in Gewahrsam genommen – nun entscheidet der Staatsanwalt über einen möglichen Haftbefehl. Ansonsten blieb alles friedlich.
Panzerwagen und Hubschrauber
Die Polizei räumte anschließend mit einem Panzerwagen die aufgetürmten Blockaden ab und drang in den zweiten Stock des Hauses ein. Im dritten Stock hatten sich ein knappes Dutzend Vermummte aufgehalten. Aus einem Hubschrauber konnten die Beamten beobachten, wie die Besetzer auf dem Dach eine Flüssigkeit auskippten. Weil diese möglicherweise entzündlich gewesen sein könnte, wurden Feuerwehr und Höheninterventionsteam in Marsch gesetzt. Mit Hilfe eines Hubwagens stiegen Beamten dann über das Dach ein und holten weitere Demonstranten aus dem Gebäude. Auch hierbei kam es nicht zu Gewaltausbrüchen.
Einsatzleiter Achim Zahn rechnet damit, dass im Laufe des Tages rund 500 Polizisten in der Oberen Austraße im Einsatz sein werden – und dass dies nicht der letzte Einsatz sein könnte. In der Nacht hatte die Polizei im Haus Walpodenstraße 23 – 25 in der Mainzer Innenstadt ein weiteres Banner entdeckt mit der Aufschrift, dieses Haus sei besetzt. Als die Polizei eindrang, entdeckte sie jedoch niemanden.
„Wir fangen an, uns jetzt auf einige Spielchen einzustellen“, erklärte Zahn gegenüber dieser Zeitung. Und weil das so ist, ergänzte Polizeisprecher René Nauheimer, man werde versuchen, eine erneute Besetzung in der Oberen Austraße zu unterbinden. Ein Bauunternehmen beginnt am Dienstag bereits mit der Entkernung des Gebäudes. Und wer bezahlt die Räumung? „Über die Kosten dieses Einsatzes werden unsere Juristen befinden“, kündigte Zahn an. Allein der Hubwagen kostet 1.800 Euro Miete.
Mehr zum Hintergrund (vom sensor Magazin):
Am 3. August wurde eine Industrievilla aus den 20er-Jahren in der Oberen Austraße 7 Nähe Zollhafen von einer Gruppe namens „Squat Mainz“ besetzt. Das Gebäude steht seit 2009 leer und befindet sich im Besitz der Stadtwerke. Nun ist eine Diskussion entbrannt um Eigentumsrechte und fehlende Räume für Kultur- und Sozialprojekte in Mainz.
Die Fronten sind verhärtet. Was zu Beginn noch toleriert wurde, beginnt langsam bedrohliche Züge anzunehmen. Am 13. August wurde Strafantrag gestellt und die Besetzer bereiten sich seitdem auf die Räumung vor. Doch von vorne:
Schon längere Zeit wächst (nicht nur) in der jungen, alternativen Kulturszene von Mainz der Unmut darüber, dass es kaum Räume für soziale und nicht-kommerzielle Projekte gibt. Die Mieten sind hoch, Anwohner beschweren sich schnell über Ruhestörung und Leerstände werden von Vermietern nur selten für eine Zwischennutzung freigegeben. Nach dem Verlust der Kasematten, des Bootshauses und des früheren Südbahnhofs musste kürzlich das Atelier Zukunft schließen. Das Haus Mainusch auf dem Unicampus ist von Schließung bedroht. Bald rücken auch am Layenhof die Abrissbagger an – 80 Bands und die Clownsschule verlieren ihre Proberäume. Die Folge: Menschen und mit ihnen ihre Projekte, Ideen und Visionen ziehen weg aus der Stadt und mit ihnen verschwinden kulturelle Bereicherungen und Mehrwert für die Bevölkerung. Derweil entstehen immer neue Luxuswohnungen wie am Winter- und Zollhafen, Shoppingmalls, kommerzielle Großevents und „Leuchtturm“-Projekte und es scheint, als sei dafür stets Raum, Geld und ein offenes Ohr vorhanden. Logisch, dass da manch einer sauer wird. Die (Stadt)-Politik reagiert auf derartige Forderungen nur träge und klaffende Finanzlöcher erschweren die Arbeit auf dem (Kultur-)Sektor zusätzlich.
Von der Initiative zur Besetzung
Nicht alle wollen dies tatenlos hinnehmen. Erst kürzlich gründete sich die „Initiative Neutorschule“, bestehend aus vielen Kreativen und Vereinen, mit dem Ziel, die Neutorschule in der Altstadt zu einem soziokulturellen Zentrum zu entwickeln. Der Plan schlug jedoch fehl, da das Areal „Neutorschule“ bald dem Neubau für das Römisch-Germanische Zentralmuseums (RGZM) weichen wird. Ein herber Schlag für das Bündnis, das mit anderen am 3. August auf die Straßen ging und zur „Nachttanzdemo“ aufrief, um auf zu hohe Mieten, Raumnot und Leerstände aufmerksam zu machen. Am gleichen Tag besetzte eine gut vorbereitete Gruppe eine leer stehende ehemalige Industrievilla am Ende des Zollhafens in der Oberen Austraße 7 und erklärte sie zu einem soziokulturellen Zentrum. Nun steht die Frage im Raum: Heiligt der Zweck die Mittel?
Eigentum verpflichtet
Die Eigentümer des Gebäudes – die Stadtwerke – zeigten sich eingangs noch geduldig, stellten am 13. August jedoch Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch. Sie sehen in der Besetzung vor allem eine Gefahr für die sich dort aufhaltenden Personen. Das Gebäude sei marode und baufällig. Auch der Brandschutz könne nicht gewährleistet werden. Hinter den Stadtwerken stehen viele Politiker und Wirtschaftsbosse, welche die Aktion für illegal erklären und gesetzeswidrige Aktionen wider den Rechtsstaat nicht dulden wollen. Die Besetzer dagegen verteidigen ihre Vision, die Schaffung eines Raumes frei von den Zwängen des Kapitalismus, Machtstrukturen, Unfreiheit und Diskriminierung, sie wollen einen Raum, in dem sich Menschen treffen, um Kunst, Kultur und Politik erleben und mitgestalten zu können. Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen aufeinander.
Neben der Frage, warum diese alte Villa (Baujahr 1922) seit Jahren leer steht und nicht saniert oder genutzt (geschweige denn gebraucht) wird, kann sich nun jeder selbst fragen, welche Lösungen der Konflikt bietet. Im Moment sieht alles nach einer polizeilichen Räumung aus, denn trotz (gescheiterter) Gespräche und Besuchen aus Wirtschaft und Politik, bleibt die Besetzung eine Straftat. „Wir sind in der Pflicht und haben die Räumung vorzubereiten“, sagt Achim Zahn, der Leiter der Polizeidirektion Mainz. Gut möglich, dass die Räumung bei Erscheinen dieser Ausgabe bereits erfolgt ist.
Wie auch immer der Streit ausgehen mag, eins ist den Besetzern gelungen: ihr Anliegen in die Öffentlichkeit und Politik zu tragen und damit eine Diskussion loszutreten. So bleibt zu hoffen, dass derartige Probleme in Zukunft offenere Ohren und Lösungen finden, denn viele Menschen sind die Stadt – nicht nur die Kaufkräftigen.
von Christian Gruber
Zusatzinfos:
Am Dienstag (14.8.) haben die Stadtwerke Mainz bei der Staatsanwaltschaft einen Strafantrag gegen die Menschen in der Oberen Austraße 7 wegen Hausfriedensbruch gestellt. Diese bereiten sich nun auf eine Räumung vor. In einem Gespräch mit der Polizei am Dienstag (21.8.) versuchten sie für eine politische Lösung für das soziokulturelle Zentrum zu werben, der Konflikt solle nicht auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden. „Wir sind in der Pflicht und haben die Räumung vorzubereiten“, sagt jedoch Achim Zahn, der Leiter der Polizeidirektion Mainz. Die Sprecher der jungen Leute betonten ausdrücklich ihr Eintreten für Gewaltfreiheit. Zahn vermittelte den eingeschränkten Handlungsspielraum der Polizei. Zu Prüfen sein wird im Anschluss auch, ob und in welcher Höhe die Kosten für den polizeilichen Einsatzes auf die Hausbesetzer umgelegt werden kann.