Die Mainzer Kinolandschaft blickt auf eine lange und traditionsreiche Geschichte zurück. Ende der 50er-Jahre galt die Landeshauptstadt mit 14 bestehenden Kinos als deutschlandweite Kino-Hochburg. Heute scheint von dieser blühenden Filmszene nicht mehr viel übrig zu sein. Dabei besitzt die Landeshauptstadt alle Zutaten, um Kreativschaffenden und Film-Enthusiasten Wege zu ermöglichen, ihrem Job und ihrer Leidenschaft auf unterschiedlichste Art und Weise nachzugehen: Vom Filmstudium über die Dokumentarfilm-Produktion für große TV-Sender bis hin zum Festival. Gleichzeitig befindet sich die lokale Filmszene im ständigen Wandel. Sei es durch die Schließung und Wiedereröffnung des Capitol-Kinos, die Gründung alternativer Kinoreihen und Filmvorführungen in der gesamten Stadt oder die Einführung einer regionalen Filmförderung – die letzten Jahre hielten einige Überraschungen und Veränderungen parat.
Wir haben mit Produzierenden, Festivalveranstaltern, Kino- Betreibern, Filmwissenschafts-Professoren und der Medienförderung gesprochen. Wie ist es um die Filmkultur bestellt?
Bibliothek statt Filmset
Noch bevor es in die Produktionsbüros, Fernsehsender oder Kinosäle geht, lohnt sich ein Blick in den Hörsaal. Mainzer Universitäten und Hochschulen bieten ein umfangreiches Angebot, sich theoretisch wie praktisch mit Filmen auseinanderzusetzen. Seit 1993 kann an der Johannes-Gutenberg-Universität das Fach „Filmwissenschaft“ studiert werden. Neben der Geschichte des Kinos steht dabei vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit dem Medium Film im Mittelpunkt. „Film verstehen wir als sinnliche, ästhetische, soziale und politische Erfahrung“, sagt Alexandra Schneider, Professorin für Filmwissenschaften. Die Studieninhalte reichen von Kinofilmen über Dokumentarfilme und Videoinstallationen in Museen bis hin zu TikTok und Instagram. „Filmwissenschaft interessiert sich für audiovisuelle Bewegtbilder in allen ihren Erscheinungsformen, wobei wir als Kulturwissenschaft die Geschichte und Vermittlung audiovisueller Vorgänge ins Zentrum stellen.“
Während die Filmwissenschaft sich vor allem theoretisch dem Medium Film annähert, hat das Fach „Zeitbasierte Medien“ an der Hochschule Mainz einen deutlich praktischeren Ansatz. Hier liegt der Fokus auf der Gestaltung und Produktion von Filmen, Videos und Animationen. Ergänzt wird das Lehrangebot zum Thema Film um die Studiengänge „Mediendramaturgie“, „Audiovisuelles Publizieren“ und „Mediendesign“ sowie der Filmklasse der Mainzer Kunsthochschule. „Etwa 80 Prozent des Internetverkehrs entsteht heutzutage durch audiovisuelle Bewegtbilder. Dieses Phänomen zu begleiten, zu verstehen, aber auch kritisch zu reflektieren, dazu tragen die verschiedenen Studiengänge bei“, so Alexandra Schneider. Für sie ist die akademische Auseinandersetzung mit Filmen ein wichtiges Standbein der lokalen Kulturszene. „Die filmwissenschaftliche Lehre und Forschung versteht sich als Teil der Filmkultur in Mainz und will dazu beitragen, diese so vielfältig und differenziert wie möglich sicht- und besprechbar zu machen.“
Kreative Köpfe und fehlende Strukturen
Während ZDF und SWR zu den größten Arbeitgebern der Region gehören, sind es vor allem die Produktionsfirmen, die über Mainz verteilt die lokale Filmszene prägen und voranbringen. Vom Imagefilm über Werbung bis zur Kulturdokumentation – die Schwerpunkte sind vielfältig. „Mainz ist in insofern attraktiv für Produktionsfirmen, weil es hier viele Sender gibt: ZDF, SWR, funk, 3sat, Arte. Das ist eine gute Voraussetzung, um auch vor Ort Produktionen mitzugestalten“, sagt Tidi von Tiedemann, Geschäftsführer und Creative Producer von Kontrastfilm. Seit über 20 Jahren ist er in der Filmszene tätig. „Es gibt viele tolle Menschen, die im Filmbereich arbeiten. Man wird immer wieder intellektuell gefordert, muss sich auf neue Themen einstellen. Es ist ein lebenslanges Lernen. Das liebe ich bis heute.“ Eine lebendige Filmkultur braucht kreative Köpfe. Für Tiedemann reicht das allein jedoch nicht aus. Er sieht vor allem die Stadt in der Verantwortung, die lokale Kulturszene stärker zu unterstützen. „Meiner Meinung nach hat es die Stadt verpasst, insbesondere während der Corona-Zeit eine klare Vision zu entwickeln. Da fehlt mir innovatives Denken“, sagt Tiedemann. Besondere Relevanz sieht er in der Nachwuchsförderung. „Es gibt viele junge Leute, die Bock haben, die etwas verändern wollen. Produktionsfirmen, Sender und Stadt müssen mehr Foren schaffen, an denen ein Austausch stattfindet, um Talente auch nach dem Studium in Mainz zu halten.“
Ohne entsprechende Strukturen hätten es Medienschaffende oft schwer, Fuß zu fassen und sich längerfristig zu etablieren. „Mainz hat Gutenberg als Ikone. Wenn man von der Theodor- Heuss-Brücke runterfährt, gibt es ein riesiges Schild, auf dem steht ‚Erfinder und Medienrevolutionär Gutenberg‘. Aber die Stadt tut zu wenig, um dem auch gerecht zu werden.“
Die Bedeutung der Förderung
Auch Nadine Gehm ist sich dieser Umständen bewusst. Als Projektleiterin des Film- und Medienforums Rheinland-Pfalz hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Rahmenbedingungen der regionalen Medienkultur und -wirtschaft zu verbessern. Eine große Rolle spielen dabei vor allem Förderstrukturen. „Rheinland-Pfalz war lange das letzte Bundesland ohne institutionelle Landesmedienförderung und dieser große Nachteil für unsere regionalen Branchen durfte sehr gerne nachgebessert werden.“
2021 war es dann endlich so weit: Unterstützt vom Land Rheinland-Pfalz, dem SWR und dem ZDF wurde die Medienförderung RLP GmbH ins Leben gerufen. Produzierende haben seitdem die Möglichkeit, sich auf unterschiedliche Förderprogramme für ihre Projekte zu bewerben. „Die Medienförderung unterstützt Medienproduktionen und Games finanziell durch einen Zuschuss von der Entwicklung bis zu Auswertung, aber gerne auch bei allen weiteren Fragen oder Unterstützungsmöglichkeiten“, sagt Nadine Gehm. Für den Medienstandort Mainz und die lokale Film- und Medienszene war dies ein wichtiger und notwendiger Schritt, um die Umsetzung kreativer Projekte zu gewährleisten und voranzutreiben. „Eine institutionelle Medienförderung ist vor allem wichtig, weil Medienproduktionen und Games sehr kostspielig in Entwicklung, Herstellung und Auswertung sind. In den Bereichen Film und Games gibt es die typischen Sicherheiten und Garantien nicht, die man beispielsweise für einen Bankkredit brauchen würde.“
Die wirtschaftliche Unterstützung für kreative Arbeiten und Medienproduktionen in Rheinland-Pfalz darf nicht stillstehen. Neben dem Aufbau der sogenannten „Media Commission Rheinland-Pfalz“ – einer flächendeckenden Datenbank in den Bereichen Branchenguide und Drehortsuche, die Anfang nächsten Jahres an den Start gehen soll – ist es für Nadine zudem ein Ziel, die Fördergelder Schritt für Schritt zu erhöhen. „Ab einer gewissen Größe wollen wir schauen, ob man mit den Nachbarbundesländern nicht auch zusammenarbeiten kann – wie es Hessen und Baden-Württemberg beispielsweise machen.“ Die Fördermöglichkeiten in Mainz und Rheinland-Pfalz müssen also stetig ausgeweitet werden, um für Kreativschaffende einen nachhaltigen Effekt zu haben und um junge Talente zu halten. „Generell ist die regionale Branche – nicht nur in Mainz – einfach voller Herzblut und innovativen Ideen“, sagt Nadine. „Nun ist es unser aller Aufgabe, das noch stärker zu sammeln, zu verbinden und in die Welt rauszutragen.“
Frischer Wind für die Kinolandschaft
Nicht nur auf Förderebene lässt sich Bewegung beobachten – auch die Kinolandschaft befindet sich im Wandel. Neben dem Multiplex CineStar und dem Kommunalen Kino CinéMayence gibt es in Mainz das Programmkino Capitol, das nach der Schließung 2023 vor wenigen Wochen unter neuer Leitung seine Wiedereröffnung feierte. Nach monatelangen Verhandlungen, Sitzungen und Bemühungen war der Neustart des Capitol für die gesamte Filmszene ein Erfolg. „Hier in Mainz ist eine riesige Welle an Zuspruch auf uns zugekommen. Für uns war es so, als würde man das erste Mal im Kino arbeiten“, sagt Laurenz Mitzam, einer der neuen Betreiber. „Wir hoffen natürlich, dass diese Welle auch ins Kino schwappt.“
Die „Arthouse Kinos Frankfurt“-Gruppe betreibt bereits vier Programmkinos in Frankfurt und Aschaffenburg. In Mainz will das Team neue Impulse setzen. „Wir möchten das beste Programm präsentieren, das wir in Zusammenarbeit mit Verleihern, der Stadt und Filmliebhabern auf die Beine stellen können. Von Dokumentarfilmen über Kinderfilme, Genrefilme, Festivalgewinner, Crossover-Filme bis hin zu traditioneller Filmkunst. Das ist viel für einen Saal.“
Während im Cinestar die großen Hollywood-Blockbuster ihren Weg auf die Leinwand finden, konzentriert sich das Ciné- Mayence auf internationale Filmkunst und Arthouse-Filme – also Filme, die außerhalb des Mainstreams angesiedelt sind. „Das CinéMayence macht ein Filmangebot, das bezüglich der Filmgattungen, diverser Filmkulturen und internationaler Herkunft ein breites Spektrum repräsentiert“, sagt Leiter Reinhard Wolf. Das Kommunale Kino am Schillerplatz wird von der gemeinnützigen Arbeitsgemeinschaft Stadtkino e.V. getragen und versteht sich über die reine Filmvorführung hinaus als kultureller Begegnungsort. „Das CinéMayence ist ein Ort an dem Menschen verschiedener Herkunft und Interessen zusammenkommen und miteinander reden können. Kinomachen ist auch Kommunikation!“ Die Zukunft des Kinos wird zurzeit rege diskutiert. So hat die Arbeitsgemeinschaft Stadtkino e.V. ein Konzept erarbeitet, das den Umzug in das neu zu bauende Kulturhaus in der Ludwigsstraße vorsieht. „Von vielen Unterstützern und Besuchern wird ein gut und schön ausgestattetes Haus mit Spannung erwartet“, so Wolf. „Die Film- und Medienbranche braucht einen Begegnungsort.“
Aber auch abseits der großen Säle gibt es in Mainz eine Vielzahl weiterer Kino-Angebote. So wird Studierenden während des Semesters jeden Mittwoch im KlubKino an der Uni eine Mischung aus Blockbustern und Arthouse-Filmen präsentiert, während der Verein „Mainz für Kino“ regelmäßig in verschiedenen Kirchen und Kulturräumen Filmvorführungen veranstaltet. Außerdem organisiert das Kultur- und Kommunikationszentrum „Bar jeder Sicht“ die Filmreihe „Kino am Mittwoch“, in der vor allem Filme mit dem Fokus auf queere Themen gezeigt werden. „Mainz ist eine Landeshauptstadt. Und eine Landeshauptstadt braucht ein kulturelles Angebot. Junge Menschen brauchen Ausgehmöglichkeiten, die sich nicht nur auf Bars und Clubs beziehen, sondern auch auf Theater, auf Veranstaltungen und Filme“, sagt Laurenz Mitzam. „Wir in der Arthouse- Szene wünschen uns einfach, dass es viele Kinos gibt und die Menschen Filme schauen.“
Filmkultur gemeinsam erleben
Zu einer gelebten Filmkultur zählen neben Kinos und alternativen Filmvorführungen auch Festivals. Als kulturelle Veranstaltung bieten Filmfestivals die Möglichkeit, kleinere und ungewöhnlichere Filme, die oftmals keinen Kinostart erhalten, einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Gleichzeitig können Festivals als Ort des kreativen Austauschs und der Vernetzung innerhalb der lokalen wie internationalen Filmbranche genutzt werden.
„Bei einem Filmfestival erlebe ich kondensiert die Welt des Films. Ich kann Drehbuch-Pitchings besuchen, kann Filmschaffende direkt auf die beste Szene ihres Films ansprechen und ich kann Freunde finden und die Festivaltage gemeinsam erleben“ so Hannah Wieland, Vorstandsmitglied des traditionsreichen FILMZ-Festivals, das seit 2001 jährlich in Mainz stattfindet. Das Publikumsfestival legt seinen Fokus auf deutschsprachige Produktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Wir wollen Filmkultur fördern und vor allem auch Nachwuchsfilmschaffenden eine Bühne bieten und es ihnen ermöglichen, mit ihrem Publikum in den Austausch zu gehen“, so Hannah. „Außerdem geht es uns darum zu zeigen, dass Deutsches Kino mehr kann, als ihm sein Ruf nachsagt.“
Neben dem FILMZ bieten das Arc Film Festival, das Visionär Film Festival, sowie der Filmsommer Mainz eine große Auswahl an Filmangeboten und Möglichkeiten des Austauschs. Während das Arc Festival jedes Jahr gemeinsam mit einem Partnerland verschiedenste Workshops, Scene-Talks und Networking- Events veranstaltet, widmet sich das Visionär Festival sowie über einen interdisziplinaren Ansatz der Förderung und Sichtbarkeit von weniger häufig vertretenen Ländern, Personengruppen und Themenschwerpunkten. So will es gezielt BIPOC- und LGBTQIA+-Regisseuren eine Bühne geben. Der Filmsommer dagegen verlagert die Festivalatmosphäre nach draußen und veranstaltet über mehrere Tage hinweg an der Kulturei auf der Zitadelle eine Freiluft-Kinoreihe, in der Filme unterschiedlichster Länder und Genres gezeigt werden. Gerahmt wird das Programm von Live-Musik und diversen Kunstaktionen.
Für Hannah Wieland ist ein solches Festivalnetzwerk für das Kulturerleben unerlässlich. „Je bunter und vielfältiger das Film- und Festivalangebot in diesem Rahmen ist, umso mehr Menschen können wir Filmkultur in all ihren Facetten näherbringen.“ Und auch untereinander stehen die Mainzer Filmfestivals in engem Austausch. So gibt es immer wieder gemeinsame Events, wie beispielsweise den FILMZ-Abend im Rahmen des Mainzer Filmsommers. „Was bleibt, ist das Erlebnis Kino und das soll und muss in Mainz auch in Zukunft einen hohen Stellenwert genießen, denn dieses Erlebnis ist eines, das die Menschen bewegt und das sie einfordern.“ Das aktuelle FILMZ-Festival läuft vom 7. bis 17. November vorrangig im Capitol-Kino!
Was bleibt?
Die Mainzer Filmszene hat viele Gesichter. Ob hinter der Kamera, im Lehrraum, Kino oder auf Festivals – alle sorgen auf unterschiedliche Art und Weise für den Erhalt eines lebendigen, kulturellen Miteinanders. Die Wiedereröffnung des Capitol hat gezeigt, wie groß nach wie vor das öffentliche Interesse und die Nachfrage nach Vielfalt in Mainz ist. Aber dafür braucht es auch die Unterstützung der Stadt und nachhaltig funktionierende Förderstrukturen. Denn ohne wirtschaftliche Rahmenbedingungen hat die lokale Filmszene keine Möglichkeit, junge Talente zu halten und langfristig zu wachsen. Filmfans und Medienschaffende dürfen gespannt sein, was die Zukunft mit sich bringt.
Text: Moritz Hoppe
Fotos: Jana Kay