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50 Jahre Woodstock am 10. August – und dazu ein paar Eventtipps!

Woodstock Festival Bethel, NY 1969. Photo By ©Elliott Landy, LandyVision Inc.

„Alright Friends, you have seen the heavy groups, now you will see morning maniac music. Believe me, yeah, it’s a new dawn.” Mit diesen Worten eröffnete Grace Slick von The Jefferson Airplane ihren Auftritt bei Woodstock. „An Aquarius Exhibition – 3 Days of Peace & Music“. Woodstock beschreibt den Höhepunkt einer Protestbewegung in Amerika: Hippies, wie sie genannt wurden, setzten sich für Frieden und gegen den Krieg ein und traten mit Idealen von Gemeinschaft, Liebe, Freiheit und Gleichberechtigung der Politik entgegen. Das Festival wurde zum Sinnbild einer ganzen Generation und für den festen Glauben daran, in der Welt etwas zu bewegen. 2019, fünfzig Jahre nach Woodstock, denkt man zurück und fragt sich, ob es wieder Zeit wird: Mit den Fridays-for-Future-Protesten scheint sich die Jugend wieder zu politisieren und zu aktivieren. So wie damals?

Damals in Bethel auf Max Yasgurs Farm

Der Wahl-Wiesbadener Erik Klingenberg, gebürtiger US-Amerikaner und seit den Achtzigern in Deutschland lebend, war als 19-Jähriger auf dem Festival dabei, das rund um den Globus Bekanntheit erlangte. Mit nur zwanzig Dollar in der Tasche und ohne Eintrittskarte trampte er mit zwei Freunden von Virginia Beach nach Bethel. Bereits ein paar Tage vor Beginn des Festivals kam er am Gelände an. Glück, wie sich im Nachhinein herausstellte. Er erhielt einen Job vor Ort bei der Firma „Food for Love“, die Hot-Dog-Stände betrieb. Ebenso half er dabei, die Zäune aufzubauen und war während des Festivals für die Sicherheit der Besucher zuständig. Trotz 18-Stunden-Schichten, Regen und Auseinandersetzungen mit berauschten Gästen beschreibt er das Festival als ein „wunderschönes Erlebnis“, das heute noch Gänsehaut bei ihm hervorruft. Der Konsum von LSD, Marihuana, Opium und Kokain habe für eine friedliche, manchmal leicht abgedrehte Atmosphäre gesorgt, die am Ende aber alle Besucher zusammenführte.

So störten auch Regen und Sommergewitter nicht. Die einst grünen Wiesen des Farmers Max Yasgurs verwandelten sich in ein kriegsähnliches Gebiet. Massive Schlammschichten, darauf liegende, sitzende, stehende Menschen, Schlafsack-Lager. Als einen besonders außergewöhnlichen Moment erinnert sich der Wiesbadener Woodstock-Veteran an den Soloauftritt von Country Joe: Von einer Anhöhe aus betrachtete er die Bühne mit hunderttausenden Besuchern davor und spielte „Feel Like I’m Fixin‘ To Die Rag“ – ein Protestlied gegen den Vietnamkrieg. Die Menschenmasse sang und fühlte mit, hielt zusammen. In diesem Moment sei der Spirit Woodstocks greifbar gewesen: Es sollte einem Land gezeigt werden, dass die Jugend genug von Kriegen hat und sich vereint dagegen wehren wird. Am Ende blieb ein großes Chaos, das nur durch viel Hilfe von Freiwilligen beseitigt werden konnte. Klingenberg blieb noch ein paar Tage länger und half beim Aufräumen. Am Ende bekam er zweihundert Dollar und war glücklich, sich den Bus nach Hause leisten zu können. 50 Jahre später sagt er von sich, dass noch vieles von dem 19-jährigen Jungen übrig geblieben sei. Er habe – auch mit ein bisschen mehr Lebenserfahrung – seine Ideale von damals behalten und freut sich zu sehen, wenn die heutige Jugend sich für etwas einsetzt. Er selbst hält die Musik und den Spirit von einst bis heute als Sänger selbst am Leben, unter anderem am Mikro der The Doors-Tributeband „Morrison Hotel“.

Der Einfluss der Musik auf Europa

Nicht nur in der Musikszene hat sich in den Jahren nach Woodstock einiges getan. Rainer Zosel, jahrzehntelang als Konzertveranstalter für Agenturen im Rhein-Main-Gebiet verantwortlich, realisierte in Mainz, Wiesbaden, Frankfurt und im Saarland etliche Konzerte. Dazu gehörten auch Auftritte von Bands, die bei Woodstock performten. Eine beachtliche Konzertposter-Sammlung in seinem Taunussteiner Zuhause zeugt davon. Vor allem in den Jahren nach Woodstock, zwischen 1970 und 1990, kamen die Musiklegenden für Shows in den deutschsprachigen Raum. Einfach sei die Organisation nicht immer gewesen, berichtet Zosel. Probleme gab es beim Anmieten der Konzerthallen, Umsteigen von bestuhlten Veranstaltungen auf Steh-Konzerte – es dauerte, bis das Feeling jener Musik in Deutschland ankam und akzeptiert wurde. Besonders die Atmosphäre zwischen Bands und Konzertveranstaltern beschreibt er als außergewöhnlich im Vergleich zu heute. Dabei kam es durchaus vor, dass Veranstalter nach dem Auftritt noch mit der Band essen gingen und Anekdoten ausgetauscht wurden. Die Künstler hätten sich allgemein mit weniger zufrieden gegeben, weniger gefordert – sei es die Gage betreffend oder die Annehmlichkeiten Backstage. Der Ruhm und die Ehre, die ihnen heute zuteil wird, hätten sie erst über die Jahre zu spüren bekommen, so der Konzertprofi. Auch die Kommunikation habe sich anders gestaltet: Konnte man früher einfach die Künstler ansprechen, sei das „natürlich heute alles anonymer geworden und auch schnelllebiger“. Obwohl der ehemalige Konzertveranstalter selbst nicht beim Original in den USA dabei war, so fällt ihm das „Love-and-Peace- Festival“ ein, das ein Jahr nach Woodstock auf der Ostseeinsel Fehmarn stattfand. Jimi Hendrix hatte dort einen seiner letzten Auftritte, bevor er eine Woche später an einer Überdosis starb. Die Atmosphäre und der Spirit von Woodstock seien dort zu spüren gewesen, nicht zuletzt wegen der Musik, den ähnlich chaotischen Verhältnissen und des regnerischen Wetters. Die Auftritte bei Woodstock erachtet Zosel als prägend für die Musikszene in Deutschland. So habe man über das Festival Bands kennengelernt, insbesondere jene, die tougheren Rock spielten. Vor allem die Diversität der Bands und der Musik schätzt er bis heute.

Spirit(ualität) von Woodstock – Hippies und die östliche Kultur

Dabei ist es nicht nur die Musik, die die einstigen Anhänger der Protestbewegung zusammenhält. Spiritualität und das Interesse an östlicher Kultur äußern sich in den Handlungen und prägen den Wunsch nach antikapitalistischen Gesellschaftsformen. So kommt es, dass Chris Kirchner mit ihrem damaligen Lebenspartner 1979 eine Reise wagt, die mit dem Zug und Bus von Wiesbaden über Griechenland, den Iran und Afghanistan nach Indien führt. Trekking in Nepal, Aufenthalte in Ashrams, Delhi, Bombay, Goa – all das sind Stationen, bei denen sie in Indien Halt macht. Die Trekkingtour durch Nepal lehrt Demut und Ehrfurcht: Gerade das wünschte sie sich für die westliche Welt, die vom Wirtschaftsboom und dem Kapitalismus prosperierte: „Indien versprach durch seine Kultur und Religion sowohl Ruhe als auch Besinnung auf das Nötigste. Zufrieden sein mit dem, was man hat, anstatt Kriege um Macht“. Bis heute haben sich die Ereignisse in Indien und ihre gesammelten Erfahrungen auf ihr Denken und ihr Handeln ausgewirkt. Während Chris erzählt, erscheint die damalige Zeit in einem ganz besonderen Zauber. Der Aufbruch in eine unbekannte Welt, die Freiheit, alles zu tun, was man möchte und der Glaube, alles zu erreichen – auch das sind Gedanken und Gefühle, die durch die Hippiebewegung in die ganze Welt transportiert wurden.

 

Woodstock-Picknick auf dem Öko-Weingut

Auch heute noch, 50 Jahre später, ist die Faszination Woodstock präsent: viele Veranstaltungen anlässlich des Jubiläums oder mit Bezug dazu finden in diesem Sommer und bis in den Herbst hinein statt. Eine davon organisiert Eva Vollmer, Vollblutwinzerin aus Mainz-Ebersheim. Sie packt auf ihrem Weingut selbst an und erzählt über ihre Vorhaben, während sie im Lager Weinkisten für die nächsten Events zusammenstellt. Im August lädt sie zum „Woodstock-Weinpicknick“. Ein bisschen soll dabei das Gefühl von früher gelebt werden: „Damals haben sie auch alle auf der Wiese rumgelegen und irgendwie Spaß gehabt. Und eigentlich kann man das in die moderne Zeit reinkopieren“. Auf ihrer großen Wiese kommen die Leute zum Zusammensitzen auf Decken, Kinder haben Platz zum Toben, und man trinkt gemeinsam ein Glas Wein. „Authentische Kleidung“ sei erwünscht und werde mit einem Gläschen belohnt, verspricht sie mit einem Grinsen. Während die Naturverbundenheit damals vor allem für Anhänger der Hippiebewegung wichtig gewesen sei, scheine sie heute gesellschaftsfähig geworden – diese Entwicklung kann auch sie beobachten. Viele ihrer Besucher und Kunden würden „auf Natürlichkeit achten“, beim Wein und auch im Alltag. Als erste in Rheinhessen druckt sie ihren Namen auf die Weinflasche und ist auch im Bereich Vermarktung Pionierin gewesen. Jahre später erst ziehen andere Weingüter nach und verstehen es, den Wein auf moderne Art zu präsentieren. Veränderungen, damals wie heute, erfordern Mut und Aktionismus. Ein bisschen Verrücktheit gehöre zur Revolution dazu, findet sie: „Damals waren es die Spinner, und heutzutage – naja, wir sind auch Spinner, weil man echt wahnsinnig ist in dem, was man tut. Genau diese Wahnsinnigkeit ist der richtige Weg“, meint sie. Dieser Funken des anders Denkens, sich gegen die Norm stellen, bringt Veränderungen – Für Eva ist ihr Weingut Woodstock.

Echte Hippies: Gibt’s die noch?

Die Ideale von damals – Freiheit, Gleichheit, Frieden, Liebe – sind vielleicht auch heute noch in einigen Menschen verankert. Die Art und Weise, wie das Gefühl gelebt wird, hat sich jedoch in den Augen der meisten verändert. Die grenzenlose Freiheit, der Spirit, das Gemeinschaftsgefühl und der damit verbundene Glaube, wirklich etwas verändern zu können, ist in der heutigen Gesellschaft realistischeren Ansichten gewichen. Glaubhaftigkeit und Bodenständigkeit sind Attribute, die gefordert werden, wenn sich etwas ändern soll. Durch die Digitalisierung verbreiten sich Informationen rasant, und so bleibt heute nur noch ein Zauber, denkt man an die damalige Zeit zurück. Dennoch zeigen etliche Veranstaltungen rund um Woodstock oder auch die aufkeimenden Proteste junger Leute, dass die Ideen und Gedanken präsent und relevant sind.

Text Marie-Luise Raupach Fotos Samira Schulz

50 Jahre Woodstock – Festivals und Events:

50 Jahre Burg Herzberg Festival „Traditional Hippie Convention“, u.a. mit Graham Nash (25.-28.7.), Tropen Tango (2.-4.8.), KUZstock (10.8.), Ziegelei Open Air Neu-Anspach (16.-18.8), Symphonic Rock Night mit Woodstock-Programm auf dem Domplatz Mainz (18.8.), Energy Rock mit „Love & Peace Revue“ (18.10.)