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2×5 Interview mit Tatjana Gürbaca, Operndirektorin am Staatstheater Mainz

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Interview: David Gutsche, Foto: Ramon Haindl

Was machen Sie eigentlich so den ganzen Tag?
Ich habe im Theater eine Art Doppelfunktion. Als Operndirektorin mache ich den Spielplan, bestimme, welche Stücke gespielt werden, mit welchen Regisseuren und welcher Besetzung. Ich bin aber auch für andere Regisseure Gastgeberin und betreue deren Arbeiten. Bis zum Sommer betreue ich noch drei Stücke, zum Beispiel Verdis La Traviata, mit Premiere am 11. Januar. Danach wechsle ich nach drei Jahren Mainz woanders hin.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Ihnen aus?
Ich bin süchtig nach Menschen – süchtig nach dem Gegenüber. Ich bin sehr neugierig, zum Beispiel auf die Stimme und den Körper, die Art sich auszudrücken und sich zu bewegen. Ich schaue genau, was kann ich wem zumuten? Warum will ich dieses Stück spielen? Was hat es mit mir zu tun und vor allem mit unserer Zeit? Als Regisseur kann man sich oft nur wenig austauschen. Und wir leben in einer Zeit, in der der Markt brutal ist. Häuser sind oft genau durchstrukturiert. Es hilft zu verstehen, welches Rädchen im Getriebe man als Regisseur ist. Kurz: Wie kann ich die Maschine reiten, ohne dass die Maschine mich reitet?

Wurden Sie in Mainz geritten?
Mit dem meisten bin ich gut klar gekommen. Geld ist natürlich immer ein Problem. Viele Stücke können wir gar nicht spielen, weil das Ensemble nicht ausreicht. Das ist bitter. Und sicherlich ist es eine Sehnsucht von mir, herauszufinden, wie man mit Oper anders umgehen kann und sie näher an Menschen heranbringen kann. Das hoffe ich, ist mir gelungen.

Dieses Jahr gab es für Sie zwei wichtige Preise, unter anderem für den Parzival. Was bedeuten Ihnen Auszeichnungen?
Es ist natürlich eine Bestätigung und ich freue mich wahnsinnig, weil man als junger Regisseur immer auch Vorbilder hat und die anderen Regisseure, die so etwas bekommen, teilweise auch wahnsinnig bewundert und denkt: Da will ich auch einmal hin. Aber in dem Moment, wo der Preis da ist, kriegt man auch ein wenig einen Schreck und denkt: OK, jetzt muss ich aber mit den nächsten 100 Arbeiten auch beweisen, dass ich es verdient habe.

Woher kommt Ihre Liebe zur Musik?
Meine Mutter hat schon Opern gehört, als ich bei ihr im Bauch war. Mein Vater hat in der Türkei klassischen Gesang studiert. Mit vier Jahren habe ich mit Ballett angefangen und parallel Instrumente gespielt und bin auf ein musisches Gymnasium gegangen. Ich dachte lange Zeit, ich studiere vielleicht mal Cello oder Kontrabass, habe dann aber Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften und ein bisschen Literaturwissenschaft studiert. Das habe ich ein Jahr lang gemacht und dachte die ganze Zeit: Ist ja alles interessant und nett, aber was wird man damit? Führt das irgendwohin, außer dass ich eine private Freude daran habe? Und dann habe ich von diesem Regiestudiengang gehört und hatte zwar immer noch nicht das Gefühl, dass man damit irgendwas wird. Aber ich hatte zumindest das Gefühl, das ist ein bisschen praxisbezogener und man ist wirklich im Theater. Und hab mich da dann sehr blauäugig beworben. Das hat auf Anhieb geklappt und dann saß ich in diesem Studium, aber das ist eine eigene Geschichte.

Mensch

Sie strahlen so viel Begeisterung aus. Woher kommt das?
Ich glaube, ich habe sehr großes Glück gehabt, einen Beruf haben zu dürfen, wo man den ganzen Tag lang einfach nur spielen, Quatsch machen und Ideen entwickeln darf und wirklich das tun, was man mit ganzer Leidenschaft lebt. Immer wieder mit anderen Menschen arbeiten zu dürfen und jeder Mensch, der wieder neu dazukommt, bringt neue Impulse und Ideen mit sich und bereichert einen – das ist total beglückend.

Haben Sie noch andere Interessen?
Ja, ganz viele. Ich lese leidenschaftlich gerne. Mein Mann ist Maler, bildender Künstler. Wir gehen viel in Ausstellungen und gucken Kunst, Kino, Theater, etc. Stierkampf ist auch ein großes Thema. Mein Mann hatte das angeregt, auch durch seine Leidenschaft für Picasso und Goya und auch über Hemingway. Der erste Kampf war noch ganz furchtbar, aber irgendwann hat’s mich angefixt. Stierkampf ist für mich eine Möglichkeit, mich mit Themen auseinanderzusetzen, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt werden: Tod, Krankheit oder auch alt werden. Man geht da nicht hin und feiert und alles ist toll, sondern man kommt da raus und ist sehr berührt und es wühlt einen auf.

Was wären Sie beruflich geworden, wenn Sie jetzt nicht das wären, was Sie sind?
Astronautin. Andere Welten entdecken. Vielleicht auch Meeresbiologin. Und dann die Analogien suchen – was ist fremd, was ist mir vertraut? So was in der Art.

Welche Interview-Frage ist die Ihnen am meisten gestellte und verhasste?
Wie sehen Sie dieses Stück als Frau? Wie inszenieren Sie das als Frau? Find ich völlig bescheuert. Frauen sind doch auch Menschen! (lacht) Ich hab natürlich nicht ausprobiert, wie es als Mann ist und außerdem glaube ich, leben wir nicht in einer Zeit, wo der Unterschied zwischen Frauen und Männern der Hauptunterschied zwischen Mensch und Mensch überhaupt ist. Die Identität macht viel mehr aus, als einfach nur Frau oder Mann zu sein.

Wenn Mainz eine Person wäre, wie sähe sie aus?
Sehr gefleckt und unterschiedlich. Ich finde, Mainz hat so viele verschiedene Seiten. Als ich 2011 hierher gekommen bin, hat mich die ganze Geschichte total angefixt. Die alten Römer: Mein Mann ist archäologisch interessiert und hat sich hier gleich zu einem Freiwilligenteam gemeldet und bei Ausgrabungen teilgenommen. Dann aber auch Mainz als Jakobinerrepublik nach der Französischen Revolution. Das Zentrum der deutschen Romantik. Wer sich hier alles getroffen hat. Weimar und Mainz waren die ersten Deutschen Republiken und auch Gutenberg – Wahnsinn, was hier für ein geschichtlicher Reichtum ist. Was ich auch ganz spannend finde ist das Ländliche, dass man schnell im Rheingau ist und es da die guten Weine gibt. Womit ich eher etwas fremdle, was mich aber durchaus fasziniert, ist die Fastnacht. Für eine Berlinerin kann ich sagen, wäre ein afrikanischer Initiationstanz nicht fremder. Aber ich finde es spannend, dass es die Lust an der Verkleidung gibt und am Spiel, auch am Spiel mit Worten. Außerdem finde ich es interessant, dass es für eine verhältnismäßig kleine Stadt ein großes Universitätsangebot gibt. Spannend fürs Theater finde ich auch, dass wir zwischen anderen großen Städten liegen, die auch große und wichtige Theater haben, wie Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt und Koblenz. Und es gibt in Mainz viele kleine charmante Gässchen, wie die Zanggasse. Plötzlich wird es da international und es gibt viele türkische und asiatische Läden. Ich weiß gar nicht, ob sich alle Mainzer dessen so bewusst sind.