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Zwischen Naturschutz, Management und Wildbolognese

Viele Möglichkeiten zu Spaziergängen unter dichten Bäumen gibt es in Mainz und Umgebung wahrlich nicht. Der Lennebergwald bei Gonsenheim bildet eine Ausnahme. Vielfach als liebstes Naherholungsgebiet der Mainzer bezeichnet, ist er vor allem Waldliebhabern und Joggern bekannt. Was viele nicht wissen: Im Lennebergwald wird unter besonderen Bedingungen und strenger Aufsicht auch gejagt.

Viel Verantwortung gegenüber Wald und Wild:
Der Auszubildende Tim im Einsatz

Dreh- und Angelpunkt dafür ist das Grüne Haus, in dem Revierjagdmeister Thomas Köhrer und Revierförster Stefan Dorschel zweimal die Woche das gejagte Wild verkaufen und sich Zeit nehmen, den Hintergrund der Jagd darzulegen. Der Lennebergwald ist ein gleichermaßen wertvolles wie bedrohtes Gebiet. Dies verdeutlichen schon die vielen Informationstafeln an den Eingängen des Naturschutzgebietes. Insbesondere der Klimawandel und Ausstöße der umliegenden Industrie machen der Natur zu schaffen. Damit auch in der Zukunft etwas vom etwa 700 Hektar großen Wald übrig bleibt, erklärt Stefan Dorschel, dass der Lennebergwald klimastabil gemacht wird. Ein Unterfangen, welches von Essgewohnheiten der tierischen Einwohner des Waldes bedroht wird. So mögen etwa Rehe Pflanzen, welche für die Weiterentwicklung des Waldes elementar sind. Sie sind gemeinsam mit dem sogenannten Schwarzwild, welches Wildschweine umfasst, die hauptsächlich vor Ort gejagten Arten. Dabei ist nicht deren Existenz generell problematisch, sondern die sich stark vermehrende Population, befördert auch durch die immer milderen Winter. Weil natürliche Jäger wie etwa der Wolf und der Luchs in der waldarmen Region nicht existieren, wächst auch die Zahl der Wildschweine rapide. Neben der Bedrohung für nachhaltige Wälder und das lokale Ökosystem sorgen die Tiere auch für Wildunfälle an anliegenden Straßen und Begegnungen in waldnahen Wohngebieten.

Die Jagd als Wildmanagement
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken ist Thomas Köhrer als Revierjagdmeister für die Jagd im gesamten Lennebergwald und der ganzen Budenheimer Gemarkung (insgesamt 1.400 Hektar) verantwortlich. Die besonderen Herausforderungen im „sehr urbanen Um-feld“, wie er die Lage des Gebietes treffend beschreibt, sind ihm dabei bewusst und spiegeln sich in der Jagdpraxis wider. Treibjagden mit mehreren Jägern sind so undenkbar. Doch auch die Einzeljagd wird nicht in den Vordergrund gedrängt. Beachtenswert ist, dass selbst dem aufmerksamen Spaziergänger nur vereinzelte Hochsitze auffallen – dabei gibt es insgesamt um die 90. Thomas Köhrer und Stefan Dorschel distanzieren sich vom Image der adrenalingeladenen Vergnügungsjagd. Dass es hier nicht um den Spaß geht, sondern Seriosität im Vordergrund steht, verdeutlicht Dorschel mit der Verwendung entliehener Business-Vokabeln wie „Wildmanagement“, welches die Tätigkeit des Revierjagdmeisters passend beschreibt. Bei der Durchführung der Jagd greift der kommunal beauftragte Berufsjäger auf Hilfe von Freizeitjägern zurück, die an Wochenenden unterstützen und sich den gegebenen Bedingungen anpassen. Eine zentrale Rolle spielt auch der derzeitige Auszubildende Tim. Gemeinsam mit seinen eine Generation älteren Kollegen präsentiert der junge Mann die technischen Hilfsmittel, welche die Jagd vor allem in Punkto Effizienz und Sicherheit unterstützen: Neben Wärmebildkameras für den Ausblick vom Hochsitz gehören dazu auch spezielle Lichtquellen und in Camouflage verpackte Überwachungskameras, mit denen die Jäger die Tagesabläufe der Tiere überwachen und sich zur richtigen Zeit an den richtigen Ort bewegen können. Bei der Jagd selbst steht hingegen der Schutz des Waldes und Tieres im Vordergrund. Geschossen wird nur, wenn das Wild schnell, sauber und sicher erlegt werden kann und so, dassein eventueller Fehlschuss direkt im Waldboden versinkt. „Alles, was der Tierart dient, um Leid zu vermeiden, setzen wir ein“, stellt Thomas Köhrer unmissverständlich klar. Die bleifreie Munition schützt das Ökosystem und ist auch für die Weiterverarbeitung relevant. Die erfolgt streng überwacht und so lokal, wie es gehen kann.

Mehr Bio geht nicht
Im Waldladen „Grünes Haus“, wo später das Wild auch verkauft wird, werden die Tiere schließlich ausgenommen und ausgekühlt sowie in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt auf eventuelle Krankheiten untersucht und schließlich weiterverarbeitet. Dies geschieht in mehreren extra dafür angelegten Räumlichkeiten und wird von den Jägern wie Tim selbst durchgeführt. Von den erlegten Tieren wird möglichst alles verwertet, erzählt der Auszubildende. Teile davon werden in Kooperation mit einer Metzgerei zu Wildgulasch oder Wildbolognese weiterverarbeitet und landen in den Konservenregalen im kleinen Laden. Zudem werden unverarbeitete Stücke vakuumiert und schließlich der Haltbarkeit wegen eingefroren – eine geläufigeund unproblematische Praxis bei Wildfleisch, da es diesem nicht schadet, sondern vielmehr zugutekommt. Etwa 200 Wildschweine und circa 70 Rehe finden so pro Jahr ihren Weg in die Tiefkühltruhen und Regale des Ladens und werden dort von einer gemischten Kundschaft erworben.

Hinter dem Grünen Haus wird das Wild weiterverarbeitet

„Die Leute essen weniger Fleisch. Aber wenn, dann wollen sie wissen, dass es vernünftig hergestellt wird“, beschreibt Thomas Köhrer und erklärt damit die wachsende Popularität des Wildverkaufs. „Mehr Bio geht gar nicht“, fasst er zusammen und weist darauf hin, dass im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch auch keine Medikamente im Spiel sind. Inzwischen sind Wildschweinrücken, Rehkeule, Wildbratwurst & Co. so beliebt, dass der Bedarf allmählich das von den Jägern erlegte Wild übersteigt. Jedoch wachsen die Reh- und Wildschweinpopulationen trotz der Jagd immer weiter, sodass auch in den nächsten Jahren der Laden im Grünen Haus gut gefüllt bleiben wird. Während im Lennebergwald Jäger und Förster das rare Naturschutzgebiet bestmöglich erhalten und weiterentwickeln.

Text Till Bärwaldt Fotos Daniel Rettig – StickUp Studio