Ein gemütliches Zimmer, ein kuscheliges Bett und womöglich sogar Familienanschluss: „Entdecke Privatzimmer und gesamte Unterkünfte, die sich perfekt für jede Art von Reise eignen“, wirbt die Startseite von Airbnb. Die Buchungsplattform, ursprünglich gedacht für private Gastgeber, die ein Zimmer in ihrer Wohnung, ein Appartement oder auch ihr ganzes Haus an zahlende Gäste vermieten möchten, hat sich zu einem Riesen-Business entwickelt. Weltweit zählt die Plattform mehr als 5 Millionen Zimmer und Wohnungen. Laut der Tech-Seite „Recode“ ist das ein Fünftel des privaten Übernachtungsmarktes alleine in den USA. In Mainz erscheinen mehr als 300 Optionen, doch sind hier auch Wiesbaden und weite Teile Rheinhessens eingerechnet.
Übernachten ab 10 Euro
Schon ab 10 Euro pro Nacht finden zwei Gäste eine Unterkunft, zum Beispiel mit einem „Cozy Appartement“ in Mainz-Kostheim. Wenn es ein bisschen mehr sein soll, bietet Gastgeber Mike ein „zentral gelegenes 1-Zimmer-Appartement mit 18 qm“ für 563 Euro pro Nacht „in einem Haus mit Aufzug“. Ob hier goldene Wasserhähne und exotische Tänzerinnen auf dem Bettvorleger warten, ist der Beschreibung nicht zu entnehmen. Der Großteil der Angebote liegt in der goldenen Mitte und unter 100 Euro. Durchschnitt pro Nacht sind um die 37 Euro – deutlich niedriger als der Preis für ein lokales Hotelzimmer. Vor die Buchungsanfrage hat Airbnb die Registrierung gesetzt: „Gastgeber und Gäste auf Airbnb sind echte Menschen mit einem richtigen Zuhause“, erfährt man dort. Hat man seine Telefonnummer angegeben, ruft eine freundliche Automatenstimme zurück und teilt den einzugebenden Code mit: „Jetzt kannst du die ganze Welt bereisen und dein Zuhause bei Airbnb vermieten!“ Seit 2011 kann man sein Profil mit sozialen Netzwerken wie Facebook aufrufen und verbinden. Bewertungen, ob von Vermieter oder Gast, sind für Dritte einsehbar und sollen ein Gefühl von Sicherheit und Transparenz schaffen.
Die Selbstdarsteller
„Seit seiner Gründung 2008 ist es die Mission von Airbnb, eine Welt zu schaffen, in der sich jeder durch gesundes Reisen, das lokal, authentisch, vielfältig, inklusiv und nachhaltig ist, weltweit wie zuhause fühlen kann.“ So der Werbe-O-Ton. Als Vermittler gibt sich der Konzern professionell und veröffentlicht seit 2017 sogar ein eigenes Online-Magazin – in den USA gibt es das auch in gedruckter Form mit einer Auflage von 350.000 Exemplaren. Da werden Reisetipps gegeben, Gastgeber vorgestellt und Erlebnisse erzählt. Alles mit schönen Fotos natürlich. Die Idee der „Community“ wird gefeiert. Der Versuch, in Europa 2014 ein solches Hochglanz-Imageblatt („Pineapple“) zu lancieren, wurde wieder eingestellt.
Zufriedene Gastgeber
Drei bis fünf Prozent Gebühren zahlt man als Gastgeber an Airbnb. Darin sind Versicherungen gegen Sachschäden und eine Unfallversicherung enthalten. Wer also sein Haus oder seine Wohnung für Gäste öffnet, scheint auf der sicheren Seite zu sein. Und Airbnb verdient dabei. Denn der Konzern muss, anders als ein Hotel oder eine Pension, keine eigenen Räume vorhalten, sondern ist ausschließlich für die Abwicklung der Buchung verantwortlich. Eine Gastgeberin, die sich mit dem System rundum zufrieden zeigt, ist Edith K. aus einem Vorort von Mainz. Seit 2015 bietet die Jungrentnerin ein Zimmer in ihrem Reihenhaus an und hat „noch nie wirklich schlechte Erfahrungen gemacht.“ Ihre Gäste erhalten Hausschlüssel und Pantoffeln, zum Frühstück gibt es Kaffee oder Tee. Ediths Gastzimmer ist gemütlich und blitzsauber, sie selbst freundlich und kommunikationsfreudig. „Für mich, die nicht viel reist, ist es interessant, sich mit den Gästen zu unterhalten: Die Welt kommt so zu mir.“ Handtücher und frische Bettwäsche sind selbstverständlich und in Ediths Küche darf der Gast sich auch sein eigenes Essen zubereiten. Für ihr Engagement wurde sie das dritte Mal in Folge als 5-Sterne-Gastgeber ausgezeichnet, ein `Superhost´, wie es bei Airbnb heißt. Für die Urlauber hat Edith eine Infokiste zusammengestellt: Stadtplan und Fahrpläne, Prospekte über Sehenswürdigkeiten sowie einige Bücher über Mainz. „Ich bin aber auch vorsichtig“, sagt Edith. „Wer über sich gar keine Auskunft gibt, wird von mir als Gast nicht akzeptiert.“
Neustadt-Wohnen beim Junggesellen
Ein anderer Gastgeber ist Marco M., der ein Zimmer in seiner Junggesellenwohnung anbietet. „Ursprünglich war das mal eine WG. Aber als meine Mitbewohnerin auszog, stellte sich die Frage, was ich mit dem freigewordenen Raum mache.“ Seit drei Jahren empfängt er also zahlende Gäste. Als Selbstständiger ist Marco weitgehend Herr seiner Zeit: „Dadurch lassen sich An- und Abreisen gut und individuell organisieren. Es kommen viele Durchreisende, Menschen von überall. Die bleiben meistens ein bis zwei Tage. Für die ist vor allem die Nähe zum Bahnhof günstig.“ Andere verweilen auch mal länger: „Theoretisch bietet das Zimmer Raum für zwei. Aber zur Wahrung meiner Privatsphäre ist es mir lieber, wenn nur ein Gast in der Wohnung ist.“ Auch näheres Kennenlernen sei gelegentlich vorgekommen. „Airbnb lässt immer auch Raum für Interaktion zwischen Mann und Frau“, weist Marco auf einen Aspekt hin, der auf der Website nicht thematisiert wird. „Pro Jahr ergeben sich zwei bis drei Gelegenheiten. Aber die Entfernung der Wohnorte war bisher für die Liebe zu groß…“
Zufriedene Gäste
Bei einer Buchung zahlt der Gast zwischen 5 und 15 Prozent Gebühren. Die genaue Höhe errechnet sich aus der Aufenthaltsdauer, der Art der Unterkunft und dem Preis. Damit scheinen die Klienten zufrieden zu sein, denn Klagen oder Beschwerden findet man kaum. Die Beurteilungen von den Gästen zu Gastgebern und Angeboten sind überwiegend wohlwollend bis enthusiastisch. „Das Einzige, was fehlte, war ein Wasserkocher“, berichtet Gerdy B. von ihrer eigenen Erfahrung. „Auf meine Anfrage nach der Lage der Unterkunft erhielt ich vom Gastgeber aber sehr schnell eine Antwort.“ So konnte sie ganz in der Nähe des Ortes wohnen, an dem ihr Kurs stattfand. Nur „die Bedienung der Seite nervt ohne Ende“. Außerdem war ihr die ständige Werbung lästig. Aber eine Mail an Airbnb genügte, und dies wurde abgestellt. Tim L. hatte die Buchungsplattform als Student kennen gelernt und ist seither überzeugter Gast. Schon zwei Mal bezog er das Zimmer bei Edith: „Ich bin aus beruflichen Gründen nach Mainz gezogen und brauchte eine Übergangszeit, bis ich in meine neue Wohnung konnte.“ Tim geht davon aus, dass man sich auf das Urteil anderer Gäste verlassen kann, und er schätzt den persönlichen Kontakt: „Bei Airbnb kommt man direkt in der Kultur einer Stadt an.“ Doch es gibt auch ethische Bedenken. „Spekulanten und Investoren sollte ein Riegel vorgeschoben werden“, meint Heike. „Es kann nicht angehen, dass ganze Häuserblocks entmietet und Einheimische vertrieben werden, um an Touristen zu verdienen.“ In Berlin und anderen Metropolen seien davon ganze Viertel betroffen. Paris zieht gegen Airbnb vor Gericht und fordert eine Rekordstrafe von 12,5 Millionen Euro wegen „illegaler Touristenunterkünfte, die die Mietpreise erhöhen und die Bewohner belästigen“, so die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Barcelona schickt Inspektoren durch die Stadt, um illegale Vermietungen aufzuspüren. Und in Amsterdam dürfen Privatquartiere nur noch an 30 Tagen im Jahr an Touristen vermietet werden. Auch einige deutsche Städte haben Konsequenzen gezogen: Berlin, Hamburg, Köln und München erheben Bußgelder bis zu 50.000 Euro für illegale Vermietungen. In Mainz ist man – trotz Wohnungsnot – noch nicht so weit. „Eine Handhabe habe man nicht, das Land Rheinland-Pfalz müsse gegebenenfalls eine entsprechende Gesetzesgrundlage schaffen“, lautet der Kommentar der Stadt. Airbnb-Vermieter können dem Wohnungsmarkt also gravierend Raum entziehen, vor allem in den Innenstädten. Auch so geraten Mieten unter Druck.
In Mainz sind alle Gäste willkommen
„Airbnb ist ein Segment innerhalb der Übernachtungsmöglichkeiten“, sagt Philipp Meier vom Stadtvermarkter mainzplus. Der städtischen Tourismussparte geht es darum, Mainz attraktiv zu machen – für alle Besucher. „Wir freuen uns über jeden Gast, der nach Mainz kommt“, sagt Meier. Auf der Website von mainzplus finden sich ein Dutzend Hotel-Empfehlungen, eine Broschüre zum Download enthält noch mehr. Außerdem gibt es eine online-Adressdatenbank mit ca. 90 Anbietern von Privatzimmern und Ferienwohnungen. „Pro Jahr werden knapp 1 Mio. Übernachtungen in der Stadt gezählt“, weiß Meier. „Airbnb ist aber für uns eine Blackbox. Wir haben hier keine Einblicke.“ Vorsichtig formuliert er: „Das Thema sollte vonseiten der Politik angegangen werden.“ Anfang März berichtete die Allgemeine Zeitung von einem Rückgang der Hotelübernachtungen in Mainz trotz insgesamt steigender Übernachtungszahlen. Andererseits sind weitere Hotels in Planung. Wird es womöglich bald einen Bettenüberhang geben? Macht sich die Expansion von Airbnb bereits bemerkbar? mainzplus-Geschäftsführer August Moderer bemerkt: „Für Hoteliers sind diese Privatanbieter ein rotes Tuch.“
Gastfreundschaft oder Spekulationsobjekt?
Es sind nicht unbedingt die Anbieter von einem kleinen „Zimmer mit Aussicht“, die den Zorn der Hoteliers erregen. Ganze Wohnungen und Häuser werden über Airbnb angeboten. Und während in Mainz Wohnungsknappheit herrscht, kaufen Spekulanten Eigentumswohnungen, um sie ausschließlich über Buchungsplattformen anzubieten. Dabei werden teils größere Gewinne erzielt, als es mit normaler Vermietung möglich wäre. „Airbnb bedient einen Markt, der durchaus seine Berechtigung hat“, formuliert Christian Barth vom Favorite-Parkhotel. „Aber es herrscht ein Wettbewerb unter ungleichen Bedingungen.“ Dieser Ansicht ist auch Otto Lindner, Vorstandsvorsitzender der Lindnergruppe, die im vergangenen Jahr am Binger Schlag das „me and all hotel“ eröffnete: „Die Hotellerie kann von dem Konzept lernen. Aber es gibt viele Faktoren, die uns an Airbnb stören.“ In weniger als einem Dutzend Jahren ist die Plattform zu einem Milliardenkonzern gewachsen. Lindner spricht von über 200 Millionen Dollar Steuerhinterziehung. „Es kann und darf nicht sein, dass jemand gewerbsmäßig eine Wohnung ohne Auflagen vermietet“, wettert er. „Ich habe den Eindruck, dass die Mehrzahl der angebotenen Zimmer oder Wohnungen rein kommerziell sind.“ „Während jedes Hotel Auflagen unterworfen ist, was Sicherheit und Hygiene angeht“ so Hotelier Barth, „gilt dies für Airbnb-Anbieter nicht.“ Lindner ergänzt: „Es gibt auch keinen direkten Kontakt zu Airbnb. Ein Beschwerdemanagement existiert nicht.“ Und er fragt polemisch: „Würden Sie wirklich ein Zimmer mieten wollen und dann am Morgen mit der Oma frühstücken?“ Die „Sozialromantik“, wie er es nennt, auf der das System Airbnb aufbaut und das ursprünglich nur eine gehobene Version von `Couchsurfing´ war, „wird nur in den seltensten Fällen zutreffen“.
Wo geht es hin?
Es begann klein und harmlos, sagt der Mythos: Zwei arbeitslose Kunsthochschul-Absolventen vermieteten Schlafplätze auf Luftmatratzen, um ihre Wohnung zu finanzieren. Das Ganze natürlich im Silicon Valley. Nathan Blecharczyk, Brian Chesky und Joe Gebbia, die „Erfinder“ von Airbnb, waren jedoch keine Tellerwäscher, sondern geschäftstüchtige junge Männer. Anders wäre es kaum gelungen, aus der Mangel-Situation einen Millionenkonzern zu schmieden. Parallel zum wachsenden Angebot an Airbnb-Privatquartieren wuchs auch die Zahl der über Airbnb zu buchenden Hotelzimmer, Hostels und Resorts. „Sechs Millionen Häuser, Jurten, Baumhäuser und Boote“ stehen den Gästen zur Verfügung, jubelt die Plattform. Seit der Gründung konnten Airbnb-Wirte eine halbe Milliarde Gäste empfangen. Airbnb-Gastgeber haben über 65 Millionen Dollar verdient. Und in einer Pressemeldung vom März 2019 heißt es: „…gehen wir davon aus, dass die Airbnb-Community erst am Anfang steht.“ Schöne Aussichten…
Text Ulla Grall
Fotos: Stephan Dinges